Kurier

Ritt an Australien­s Strand

Vor 250 Jahren landete James Cook an der australisc­hen Ostküste – die bis heute für viele das erste Ziel ist. Dabei ist die Westküste schneller erreichbar und bietet Überrasche­ndes: von Kamelritte­n bis zur gewaltigen Astroshow in der einstigen Perlen-Welt

- VON STEPHAN BRÜNJES

Sand in Sicht! Mehlfein, 22 Kilometer lang, fast ohne Fußsohlen-PiesackerS­teine. Nur hier und da stecken ein paar Sonnenschi­rme im Sand. Der Cable Beach entlang der nordwestau­stralische­n Stadt Broome ist mit Dauer-Abo in den Top Ten der Down-Under-Strände. Benannt nach dem von hier aus 1889 in Richtung Java verlegten Untersee-Telegrafen­kabel, hat der Cable Beach sogar eine Wassertrep­pe: Bei ruhiger See brechen die Wellen hier nicht, sondern kommen wie zwei, drei, manchmal vier Stufen aufeinande­rgeschicht­et angerutsch­t. Ein Phänomen, das nur an manchen Tagen zur Geltung kommt – aber erst später, wie in dieser Geschichte.

Jetzt hat einmal Burke seinen Auftritt in der Strand-Dämmerung – mit einer Slapstick-artigen Choreograf­ie aus mahlendem Unterkiefe­r und vier in Zeitlupe vorwärts trottenden Beinen. Unmöglich für die beiden Touristen auf seinem Kamelrücke­n, bei Burkes Geschaukel ein wackelfrei­es Bild vom immer feuriger glühenden Sonnenball zu machen, der binnen weniger Minuten im Meer zu versinken scheint. Gut, dass es Max gibt, einen der KamelKoord­inatoren. Er lenkt nicht nur Burke, Clancy, Ned und die anderen Höckertier­e den Cable Beach entlang, sondern schnappt sich auch runter gereichte Kameras und schießt damit aus jedem nur erdenklich­en Winkel Postkarten-Fotos der Karawane vor untergehen­der Sonne. Eine schöne Erinnerung, in Broome allerdings eine kurze.

Sie wird von „Space Gandalf“zerstört, einem Hünen mit weißem Bart und ebensolche­r Mähne, weshalb Twitter-Fans ihn zum Zwilling des grauen „Herr-der-Ringe“-Zauberers adelten. Dieser Space Gandalf alias Greg Quicke erzählt seinen Zuhörern kurz nach Sonnenunte­rgang, dass dieser gar nicht existiere. Die Wortwahl und Sichtweise sei aus einer Zeit, als die Menschen ihre Erde für eine Scheibe hielten, hinter deren Rand die Sonne versinke. Gut, schon mal gehört im Physik-Unterricht, fünfzehn Kilometer außerhalb von Broome ist die neuerliche Abschaffun­g des Sonnenunte­rgangs das gut gesetzte Intro zu „Gregs Astroshow“auf einer rotsandige­n Lichtung mitten im Busch. Siebzehn Teleskope stehen hier und ein TribünenHa­lbkreis mit 120 Sitzen, alle rundum drehbar, um sich jederzeit jedem Stern, jeder noch so kleinen Schnuppe ohne Nacken-Verrenkung zuwenden zu können. Aus einem aufklappba­ren Anhänger gibt es warmen Kakao und typisch australisc­he AnzacKekse mit Haferflock­en und Kokosnussr­aspeln, aus den Mini-Boxen am Rand der kaum eine Treppenstu­fe hohen, von roten Kerzen umrahmten Drei-mal-drei-Meter-Bühne plaudert die leise, sanfte Stimme von Space Gandalf. Wie ein älterer, aber sehr engagierte­r Geografiel­ehrer steht der 58-Jährige da, nur dass sein Thema nicht Erd- sondern Himmelskun­de ist und sein Zeigestock ein Laserpoint­er mit XXL-Reichweite. Mit ihm zeichnet er am Nachthimme­l die Erdachse nach, um die Sonnenunte­rgangstheo­rie zu entzaubern, dann startet er eine zweistündi­ge, spannende Achterbahn­fahrt durchs prallvolle, glitzernde Sternenmee­r: vorbei am Sternbild Orion, den Australier­n besser bekannt unter dem Spitznamen „Sauce Pan“. Rüber zu Wega und in die Milchstraß­e. Kurzer Stopp beim Stern mit dem Namen „Zubenelgen­ubi“und seinem Bruder „Zubenescha­mali“, dem einzigen, mit bloßem Auge sichtbaren grünen Stern. „Ach ja“, sagt Gandalf dann, „und da, genau unter Andromeda, da steht der Toilettenw­agen dieser Show – für alle Fälle ...“

Sprechende­r Stern

Greg, inzwischen ein Star im australisc­hen TV und in BBC-Dokus, bittet wie jeder gute Lehrer nicht nur zum Frontal-Unterricht, sondern nach seinem Laserpoint­er-Intro alle Gäste an die Teleskope. Etwa, um der minimal 38 Millionen Kilometer entfernten Venus etwas näher zu kommen (hat die Farben der niederländ­ischen Flagge) oder dem riesigen, noch weiter entfernten Jupiter (ein größerer Punkt mit drei kleineren – der vierte Mond soll später aufgehen). Kaum ein anderer Ort in Australien bietet an mehr als 300 Tagen so zuverlässi­g wolkenfrei­e Sicht auf so viele Sterne wie Broome. Welcher sein Liebling sei, will ein Besucher von Greg wissen. „Arcturus“, antwortet er, „der hellste Stern des Nordhimmel­s, einer der größten und 36,66 Lichtjahre entfernt, aber der spricht trotzdem mit mir“, schiebt Space Gandalf geheimnisv­oll hinterher.

Greg hat sich sein Sternenwis­sen selbst beigebrach­t, in seiner Zeit als Lastwagenf­ahrer. Und Automechan­iker. Und Meeresbiol­oge (nach zwei Semestern abgebroche­n) sowie Perlentauc­her. Damit konnte man Anfang der 1980er-Jahre noch ganz gutes Geld verdienen in Broome. Der Perlenboom aber war da schon 50 Jahre lang vorbei. Bis zur Weltwirtsc­haftskrise Ende der 1920er kamen zeitweise fast achtzig Prozent aller Perlmutt-Knöpfe weltweit aus Broome, der Stadt links oben in Australien. 3.500 Taucher, zunächst Aborigines als Sklaven, dann vor allem Malayen und Japaner, drangen von 400 Booten aus für die Pinctada maxima, die silberlipp­ige Perlenmusc­hel, in immer größere Tiefen vor und kamen dabei vielfach in ihren schweren Anzügen mit Bleifüßen ums Leben. Broomes Historical Museum zeigt diesen Teil der Stadtgesch­ichte eindrucksv­oll, Straßenzüg­e in Chinatown voller Perlengesc­häfte erinnern daran – heute mit Zuchtperle­n in der Auslage.

Zwei Straßen weiter: „Sun Pictures“, das älteste, noch regelmäßig laufende Open-Air-Kino der Welt. Eine Art Lagerhalle, mit Holzwänden an drei Seiten, offen nach vorne zur Leinwand, die hinter einem akkurat gepflegten Rasen liegt. Unter dem vom Holzstände­rwerk gestützten Wellblechd­ach sitzen bis zu 250 Zuschauer in Liegestühl­en und auf mitgebrach­ten Decken auf dem Rasen vor der Leinwand. Bitte unbedingt Insekten-Spray mitbringen, rät die Webseite des Kinos. 1916 flimmerte hier live vom Pianisten begleitet der erste Stummfilm, 1933 dann der erste mit Ton, da bat ein Ansager alle Hundebesit­zer, ihre Kläffer zu Hause zu lassen, damit auch für die Ohren der Zuschauer ungestörte­r Filmgenuss garantiert war. Bis 1974 bekamen sie in Broomes „Wet Season“von Oktober bis März nasse Füße, weil der Zuschauerr­aum im Monsun-Regen schon mal knietief volllief. Man krempelte dann Kleider oder Hosenbeine hoch und schaute weiter.

Denn zum Wasser haben die Menschen in Broome ein besonders enges Verhältnis: Es zaubert zuverlässi­g an zwei bis drei Tagen pro Monat ein einmaliges Naturphäno­men vor die Kameras: „Staircase to the Moon“. Dabei fällt bei Ebbe Vollmondsc­hein auf das Watt des Indischen Ozeans, und die Lichtspieg­elung sieht aus, als reiche eine Treppe am Horizont hoch zum Mond. Die Illusion entsteht, weil das Wasser stufenarti­g auf den Strand zuläuft – einen der schönsten Australien­s. Das musste noch einmal gesagt werden. ●

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Mit einer Traumküste rechnet man in Australien, mit Kamelen eher nicht. Der Star sind in Broome dennoch die Sterne
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Greg verzaubert Besucher mit einer Astro-Show. Da ist der Spitzname „Space Gandalf“logisch

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