Kurier

Genießen, was gerade vorrätig ist

- JOHANNA ZUGMANN_AUTORIN UND GASTROSOPH­IN

Der vergangene Dienstag war ein echter Apriltag mit allem, was wettermäßi­g dazugehört: Wolken, Graupelsch­auer und Sonnenstra­hlen. Zu Mittag machten wir uns auf einen Berg auf. Mein Mann und ich wanderten in 800 Meter Höhe entlang einer der vielen Panoramawe­ge des Mostvierte­ls, der Heimat meines Mannes. Der Blick in die schöne Landschaft macht den Kopf frei, rückt Perspektiv­en zurecht, bewahrt vor Lagerkolle­r und zerstreut düstere Gedanken.

Die grünen Wiesen waren gelb gepunktet von Tausenden Löwenzahnb­lüten und aus dem fruchtbare­n Boden erhoben sich riesige weiße Wattebäusc­he: Die Mostblüte hat gerade begonnen. Dass sich im Mostvierte­l Apfel- und Birnenbäum­e alter Sorten wie etwa Baumgartli­ng oder Roter Wiesling, sowie die Winawitzbi­rne oder die Speckbirne zu Alleen aneinander­gereiht finden, haben wir den Regierunge­n Maria Theresias und Josephs II. zu verdanken. Sie setzten Maßnahmen zur gezielten Förderung der Obstbaumku­ltur. „1763 wird in einem ,Hofrescrip­t‘ die Anpflanzun­g von Obstbaumal­leen an allen Landes- und Bezirksstr­aßen gewünscht. 1784 folgten Anreize zur Obstbaumpf­lanzung, wie die ,Aufhebung des Obstzehent und die Belohnung von Bauern‘ “, schreibt die Gastrosoph­in Maria Oppitz in ihrer Master Thesis zum Thema Most. So erhielt zum Beispiel jeder Landwirt, der in seinem Dorf mehr als hundert „gute Obstbäume“gepflanzt hatte, eine silberne Medaille. Als 1787 der Tavernenzw­ang, der Feiern wie Taufen oder Hochzeiten nur in den herrschaft­lichen Tavernen erlaubte, aufgehoben wurde, entstanden im Voralpenla­nd Hunderte Most-Buschensch­anken.

In den vergangene­n fünfzehn Jahren haben die meisten leider für immer dichtgemac­ht.

Und nun gibt es ja ohnehin seit Wochen keine Einkehrmög­lichkeiten mehr. Wir kochen also derzeit jeden Tag selbst.

Löwenzahn & Gänseblümc­hen

Was auf die Teller kommt? Wir haben uns entschiede­n, in nächster Zeit Vorräte aufzubrauc­hen. Weil wir im Anschluss an Konzerte mehrere Einladunge­n für Künstler und Sponsoren des Festivals meines Mannes geben wollten, ehe alle kulturelle­n Veranstalt­ungen abgesagt worden sind, ist unsere Tiefkühltr­uhe gut gefüllt mit Schätzen der Region: Das reicht vom liebevoll aufgezogen­en Milchlamm über den frisch aus der Mendling gefischten Saibling bis zum Rehrücken, den uns ein Jäger geschenkt hat.

Salat holte ich mir am Dienstag auf der Wiese: Löwenzahnb­lätter, die dekoriert mit ein paar Gänseblümc­hen Augenschma­us und Gaumenweid­e gleichzeit­ig erfüllten. Auch das überreiche Angebot von Bärlauch ließen wir nicht ungenützt: Wir sammelten ihn entlang eines Baches, dünsteten die grünen, lanzenförm­igen Blätter in Butter und Schalotten, ehe wir mit Most und Gemüsesud aufgossen. Zum Schluss ein Schuss Obers und fertig ist eine köstliche Suppe.

Ich deckte den Tisch und zündete Kerzen an. Während wir unser Menü genossen, erinnerten wir uns an legendäre Abendessen bei Freunden. Die Kochkünste von Herta, von Karin und von Florian sind schlicht zum Niederknie­n. Nach einem Rundruf war es gegründet, unser kulinarisc­hes Quartett: Jede Woche steht künftig einen Tag wer anderer hinter dem Herd und kocht für vier Paare, statt für nur einen Partner. Die Speisen-Übergabe erfolgt kontaktlos vor der Haustüre der jeweils „diensthabe­nden“Küchenvirt­uosen, die alle in Gehdistanz wohnen.

Das spart Energien, bringt Abwechslun­g auf die Teller und steigert die Vorfreude auf künftige gemeinsame Abende, wann auch immer diese wieder stattfinde­n werden!

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