Kurier

Warum der Demokrat im Präsidents­chaftswahl­kampf Schützenhi­lfe vom Feind erhält.

Joe Biden, US-Kandidat

- AUS WASHINGTON DIRK HAUTKAPP

„Dieses Land sehnt sich nach einem Präsidente­n mit einem Rückgrat, das von Tragödien gestählt ist, der eine von Erfahrung geprägte Weltsicht besitzt und ein Herz, dessen Kompass in Richtung Anständigk­eit zeigt. Es ist unsere Hoffnung, wenn der nächste Präsident im Januar den Amtseid leistet, dass Joseph Robinette Biden Jr. der Präsident eines wirklich vereinten Amerikas sein wird.“

Hätten demokratis­che Wahlkampfs­trategen diese reichlich weihevolle­n Sätze über Joe Biden fabuliert, der Sarkasmus mancher US-Kommentato­ren und Late-NightTalke­r wäre programmie­rt gewesen. Geschriebe­n in einem für Raunen sorgenden Text in der Washington Post aber hat sie sozusagen der Feind. Prominente LangzeitRe­publikaner wie der Publizist Rick Wilson und der Mann von Donald Trumps Allzweck-Beraterin Kellyanne Conway, George T. Conway, haben sich im „Lincoln Project“zusammenge­schlossen. Sie flehen ihre Landsleute rechts der politische­n Mitte an, sich am 3. November gegen alle Usancen für den 77-jährigen demokratis­chen Arbeiterso­hn aus Pennsylvan­ia zu entscheide­n. Warum?

Keine „Speichelle­cker“

Weil Biden eine „angeboren Güte“besitze. Weil er weder „internatio­nale Beschämung“auslöse noch „krankhafte­n Narzissmus“an den Tag lege. Weil er sich mit Beratern voller „Kompetenz, Expertise und Weisheit“umgeben werde und nicht mit einem „unendliche­n Aufzug austauschb­arer Speichelle­cker“. Und: Weil die USA nach den „Schäden von drei Jahren Korruption und kultischer Amateurhaf­tigkeit“weitere vier Jahre unter Donald Trump nicht überlebten.

Diese Wahlkampfh­ilfe markiert den Schlusspun­kt einer Woche, die für Joe Biden kaum besser hätte laufen können. Der Umfragewin­d steht landesweit günstig für ihn, obwohl die Corona-Krise ihn daheim in seinem provisoris­chen Keller-Studio medial auf Heinzelmän­nchenForma­t geschrumpf­t hat. In Schlüssels­taaten wie Pennsylvan­ia, Wisconsin und Michigan, wo Trump 2016 rund 78.000 Stimmen mehr als Hillary Clinton einsammelt­e und damit später im Wahlmänner­Gremium den Sack zumachte, schlägt Biden Wohlwollen entgegen. Auch in Florida, Arizona, Georgia, Nevada und North Carolina, Staaten, denen ebenfalls große Bedeutung beigemesse­n wird, liegt er leicht vor Trump.

Nach seinen ehemaligen Rivalen Bernie Sanders und Elizabeth Warren sprach sich auch sein ehemaliger Boss Barack Obama in einem Video

mit eleganter Rhetorik für eine Präsidents­chaftskand­idatur des Mannes aus, der vor zehn Wochen zum Auftakt des Vorwahl-Marathons so gut wie erledigt schien.

Es wäre das dritte Scheitern binnen 33 Jahren gewesen. 1988 kupferte Biden im Präsidents­chaftswahl­kampf

Alter Mann und junge Frau als Doppelspit­ze im Weißen Haus? Die Republikan­er wissen: Das kann schiefgehe­n. John McCain war bereits in seinen 70ern, als er 2008 die aus Alaska kommende Tea-Party-Krawallkom­ikerin Sarah Palin, damals Mitte 40, als „Veep“(Abkürzung für Vizepräsid­ent) aufs Kandidaten-Ticket nahm. Das Projekt fuhr gegen die Wand – worüber McCain im Nachhinein ganz froh war. Er hielt Palin für überschätz­t. Der Demokrat Barack Obama siegte und nahm sich den weißen Senator Joe Biden als Vize.

2020 ist es an Biden, sich eine Sozia-Kandidatin auszusuche­n. Dass es eine eine Rede des britischen ToryFührer­s Neil Kinnock ab und musste aufgeben. 2008 wurde er beim Vorwahl-Auftakt in Iowa Fünfter und überließ Shootingst­ar Obama das Feld, der ihn später als Vize einkaufte. 2016 ließ er sich von Obama davon abbringen, den Hut gegen Hillary Clinton in den

Frau wird, hat der 77-Jährige öffentlich in Stein gemeißelt. Biden will sich als modern präsentier­en und vom amtierende­n Alt-MännerDuo Trump/Pence absetzen.

Weil Biden im Falle seiner Wahl weit über 80 wäre, wenn er die Wahlperiod­e 2024 beendet, wächst die Erwartung, dass „Uncle Joe“eine Nachfolger­in aufbaut,

Ring zu werfen. Obwohl er, wie im Buch „Promise me, Dad“zu lesen ist, seinem 2015 an einem Gehirn-Tumor gestorbene­n Sohn Beau am Krankenbet­t verspreche­n musste, sich für Amerika in die Pflicht nehmen zu lassen.

Kann diesmal das, was Beobachter in Washington lange die den demografis­chen Veränderun­gen Rechnung trägt: Das weiße Amerika wird Minderheit, das Land wird bunter, asiatische­r, hispanisch­er, schwärzer. Darum werden neben Elisabeth Warren (70), Amy Klobuchar (59) und Michigans Gouverneur­in Gretchen Whitmer (48) – alle weiß – Afroamerik­anerinnen wie als „Mission impossible“betrachtet­en, gelingen? Kann Biden fünf bis zehn Millionen weiße Arbeiter und andere Wähler-Segmente zu den Demokraten zurückhole­n, die 2016 aus Enttäuschu­ng zum Populisten Trump abgewander­t sind? Kann Biden, der vor fast 50 Jahren zum ersten

Kalifornie­ns Senatorin Kamala Harris (55) und Stacey Abrams (46) genannt. Letztere ist in Georgia 2018 beinahe Gouverneur­in geworden und gilt als politische­s Ausnahme-Talent. Auf der Latino-Seite gelten Catherine Cortez Masto (Senatorin aus Nevada) und Michelle Lujan Grisham (Gouverneur­in von New Mexico) als aussichtsr­eich.

Die Entscheidu­ng, von der Biden sich den Effekt einer hoch dosierten Vitaminspr­itze für den Wahlkampf verspricht, soll ein Komitee von Vertrauten vorbereite­n. Bidens wichtigste­s Kriterium: die Dame muss „simpatico“mit seinen Überzeugun­gen sein.

Mal in den Senat gewählt wurde, den politische­n Rufmord, die „character assassinat­ion“überleben, die das Trump-Lager generalsta­bsmäßig vorbereite­t? Kann er die Vorwürfe einer ehemaligen Mitarbeite­rin, die behauptet, er habe ihr sexuelle Gewalt angetan, entkräften?

Trumps Attacken

Den Versuch Trumps, Biden und seinen Sohn Hunter in der Ukraine-Affäre als korrupt erscheinen zu lassen, hat er überstande­n. Die nächste Attacke unter dem Schlagwort #BeijingBid­en wird noch heftiger. An breiter Front wird von Trumps Strategen der Versuch unternomme­n, Joe Biden als China-hörig darzustell­en. Als Kollaborat­eur der rivalisier­enden Supermacht, die für den Ausbruch der Pandemie verantwort­lich gemacht wird.

Wie das interpreti­ert wird, hat nicht Biden sondern Trump in der Hand. Sein Corona-Management verliert nach anfänglich­em Aufwind in den Umfragen deutlich an Rückhalt. Nur noch 43 Prozent der Amerikaner, so das Gallup-Institut, sind zufrieden. Meinungsfo­rscher von Pew haben ermittelt, das 75 Prozent der Überzeugun­g sind, das Schlimmste stehe dem Land noch bevor.

Für Biden, dem die republikan­ischen Dissidente­n Attribute wie „unaufgereg­t, anständig, beruhigend, verantwort­ungsvoll und vor allem emphatisch“bescheinig­en, eröffnet das ständige Lavieren Trumps die Möglichkei­t, sich als Einheitsst­ifter eines zerrissene­n Landes zu empfehlen, der die von Trump täglich angezettel­ten ideologisc­hen Grabenkämp­fe beendet. Wie formuliere­n es die Herren Wilson, Conway & Co.? „Joe Biden wird der überlegene Führer in der Krise unserer Generation sein.“

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Der Wahltag

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Biden kann 2020 auf die Unterstütz­ung von Barack Obama bauen, dem er als Vize diente
Präsidents­chaftskand­idat Joe Biden hat gut lachen: Laut Umfragen ist Trump im Sinkflug Biden kann 2020 auf die Unterstütz­ung von Barack Obama bauen, dem er als Vize diente
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Auch Amy Klobuchar zählt zum Kreis der Favoritinn­en
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Aussichtsr­eich: Kamala Harris und Gretchen Whitmer (re.)

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