Wird Afrika zum Corona-Epizentrum?
Alarmstimmung. In Europa sind bereits mehr als 100.000 Menschen am Virus gestorben. Das nächste Epizentrum der Pandemie droht Afrika zu werden
Geht es nach Infektiologen Wenisch, wird es einen „normalen Alltag erst nach Covid“und mit Impfung geben. Das sei frühestens 2022, 2023. Geht es nach aktuellen Zahlen, so entwickelt sich Afrika zum neuen Epizentrum der Pandemie. Die Zahl der Infizierten stieg vergangene Woche um 51 Prozent.
Wie gefährlich das Coronavirus ist, lässt sich an den Zahlen vom Samstag ermessen: Mehr als 100.000 Menschen starben mittlerweile in Europa an den Folgen der Infektion mit dem Virus. Fast zwei Drittel der Toten werden in drei Länder beweint: Italien (23.227), Spanien (20.043) und Frankreich (19.323).
Angesichts dieser Dimensionen klingen die bestätigten Corona-Infektionszahlen für ganz Afrika auf den ersten Blick harmlos: 19.773 bestätigte Corona-Fälle und 1.016 Tote listet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrer aktuellen Afrika-Statistik auf. Doch das Virus verbreitete sich immer rascher auf dem Kontinent. Allein in der vergangenen Woche habe sich die Zahl der Infizierten in Afrika um 51 Prozent erhöht, schlägt WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus Alarm. Die Zahl der Todesopfer sei um 60 Prozent gestiegen. Und: Angesichts des Mangels an Corona-Tests gebe es wohl eine sehr hohe Dunkelziffer.
Gemessen an den bestätigten Todeszahlen führte die Statistik am Samstag Algerien mit 364 Toten an, gefolgt von Ägypten (205 Tote) und Marokko (135 Tote). Danach folgten Südafrika (50 Tote), Tunesien (37) und Kamerun (22).
Mittlerweile steigen auch in West- und in Zentralafrika die Zahlen der Infizierten. Verschärft wird die Gefahr für die Menschen durch Mangelernährung, fehlendes sauberes Wasser und mangelnde Hygienemöglichkeiten. Zudem gibt es eklatante Engpässe in der medizinischen Versorgung.
Enormes Risiko
Wer dann noch vielleicht dicht gedrängt in Slums wie in Kenias Hauptstadt Nairobi oder in Nigerias Millionenmetropole Abuja lebt, der hat fast keine Chance, nicht mit dem Virus angesteckt zu werden. Auch wenn die Behörden mittlerweile großflächig mit Desinfektionsmitteln versuchen, das Risiko wenigstens ein bisschen einzudämmen. Die wirklichen Infektionszahlen dürften dramatisch höher sein, gibt es doch in den meisten afrikanischen Ländern viel zu wenige Tests.
Doch das Virus trifft auch in Afrika nicht nur die Schwächsten der Gesellschaft: Mallam Abba Kyari, einer der mächtigsten Politiker Nigerias, ist nach einer Ansteckung mit dem Coronavirus gestorben. Der Stabschef von Staatspräsident Muhammadu Buhari sei zuvor positiv getestet worden und habe sich in Behandlung befunden, teilte ein Regierungssprecher am Samstag mit.
Auch Südafrika, die stärkste Wirtschaftsnation des Kontinents, kämpft trotz rigider Ausgangssperren und dem Einsatz des Militärs mit steigenden Krankheitszahlen. Südafrika hat erstklassige Forscher und Ärzte, aber noch immer ein erschreckendes Ausmaß an Armut. In den Slums der Großstädte hat Covid-19 leichtes Spiel.
Die WHO bittet die internationale Gemeinschaft, die afrikanischen Länder im Kampf gegen die Pandemie finanziell und durch die Lieferung medizinischer Ausrüstung zu unterstützen. Noch könne die Ausbreitung des Virus in Afrika unter Kontrolle gebracht werden, glaubt der WHO-Direktor für Notfälle, Michael Ryan.
Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat am Samstag ebenfalls vor verheerenden Auswirkungen der Corona-Krise auf afrikanische Staaten gewarnt. Nicht nur die Gesundheitskrise selbst stelle eine Gefahr für afrikanische Länder da – „sondern es erwachsen daraus Spannungen, Unruhen, Hunger, bis hin zur Gefahr des Staatsverfalls in bestimmten Regionen“, sagte Müller dem Deutschlandfunk.
Als anschauliches Beispiel wählte der Deutsche Äthiopien, das mehr Einwohner als Deutschland habe, aber nur 100 Intensivbetten. Bei einer Ausbreitung des Virus wie in Deutschland könne es dort Hunderttausende Tote geben.
„Nicht die letzte Pandemie“
Müller plädierte dafür, die WHO zu einer Art Weltpandemie-Zentrum auszubauen. „Diese Pandemie ist nicht die letzte“, warnte der Minister. Man müsse neue Gesundheitsgefahren schnell erkennen und die Beschaffung von Medikamenten und Impfkampagnen weltweit koordinieren. „Dafür hat die WHO gute Voraussetzungen und ist die Organisation“, sagte Müller. Er hoffe, dass Washington das auch einsehe, „nachdem dieses Virus gerade in den USA so massiv die Bevölkerung“treffe. „Die Strukturen der WHO sind weltweit funktionsfähig.“
US-Präsident Donald Trump hat die Finanzierung der WHO wegen China-Hörigkeit eingestellt (siehe
Artikel links unten). Müller schlägt vor, die WHO stärker staatlich zu finanzieren und von Spenden unabhängiger zu machen.
„Ruhe vor dem Sturm“
In Österreich drängt Caritas-Auslandshilfechef Andreas Knapp, die Menschen in Afrika nicht im Stich zu lassen. Inzwischen hat sich das Virus in fast allen 54 afrikanischen Staaten ausgebreitet. Dem nicht genug kämpfen mehr als zehn ostafrikanische Staaten mit einer Heuschreckenplage, die Ernährung von mehr als 20 Millionen Menschen stehe hier auf dem Spiel. Knapp: „Es ist wie die Ruhe vor dem Sturm“.
„Aus Corona erwachsen für bestimmte Regionen Afrikas auch Spannungen, Unruhen, Hunger, bis hin zur Gefahr des Staatsverfalls“
Gerd Müller Deutscher Entwicklungsminister