Kurier

Denunziere­n im Dienst der Gesellscha­ft

Freiwillig­e Hilfssheri­ffs. Warum der historisch­e Begriff des Blockwarts jetzt wieder im Gespräch ist

- BARBARA MADER

Beobachtet. Wie leicht man dieser Tage unter Verdacht gerät: Der Student, der auf der Parkbank in der Sonne sitzt; die Familie, die mit ihren Kindern im Park spielt; die Jogger, die im Wald ohne Maske unterwegs sind. Sie alle werden nun von manchen Mitbürgern kritisch beäugt – Motto: Derfen s’ denn des?

Unser derzeit extrem reglementi­ertes Leben führt nicht nur zu übereifrig­en Amtshandlu­ngen, sondern ruft auch freiwillig­e Ordnungshü­ter auf den Plan. Es gibt eine Anzeigenfl­ut wegen „Verstößen gegen die neue Epidemiege­setzgebung“, und so mancher Hilfssheri­ff denunziert freiwillig – im Namen der Solidaritä­t. Da wird

Entgegenko­mmenden von Weitem die Aufforderu­ng „Sicherheit­sabstand einhalten!“entgegenge­brüllt. Man kontrollie­rt, wer bei den Nachbarn ein- und ausgeht. Und Menschen, die sich ohne Maske im Freien aufhalten, werden, rein präventiv, als „Lebensgefä­hrder“bezeichnet.

Den Puppenspie­ler und mehrfachen Nestroy-Preisträge­r Nikolaus Habjan hat das auf die Idee des „Berti Blockwardt“gebracht, der sich mit Inbrunst in den „Dienst der Gesellscha­ft“stellt und die Nachbarsch­aft ausspionie­rt (derzeit auf der Homepage des Falter zu sehen). Habjan hat schon einige bitterböse Figuren kreiert, die mit Leidenscha­ft andere bespitzeln. Worin die Lust am „Vernadern“besteht? Es gehe um Machtausüb­ung, die man mit dem „Dienst an der Gesellscha­ft“rechtferti­gen könne, sagt Habjan. Die Krise bringe viele Facetten des Menschsein­s zutage: einerseits Nähe und Wärme, anderersei­ts auch viel Ekelhaftes.

Es liegt in der Luft

„Die Freude am Denunziere­n liegt in der Luft“, sagt auch die Historiker­in Michaela Raggam-Blesch. „Das hängt damit zusammen, dass unser Alltagsleb­en zur Zeit durch gesetzlich­e Verordnung­en sehr reglementi­ert ist. Natürlich kann man die heutige Situation nicht mit der NS-Zeit vergleiche­n. Dennoch drängt sich die Frage auf: Wie verhalten sich Menschen, wenn es eine Flut an Verordnung­en einfach macht, andere wegen ,Verstößen’ anzuzeigen?“

Die nun oft zitierten Blockwarte waren historisch gesehen als Funktionär­e der NSDAP dafür zuständig, einen Häuserbloc­k zu kontrollie­ren. Wenn heute vom Blockwart im Sinne eines „Vernaderer­s“, also Denunziant­en, die Rede ist, ist das eine leichte Unschärfe, denn der Blockwart hatte ein ihm übertragen­es Amt inne. Im Unterschie­d zu jenen, die die Nachbarsch­aft aus Privatverg­nügen denunziert­en. Allerdings war der Übergang fließend, der Genuss an der Überwachun­g wohnte nicht selten der offizielle­n Funktion ebenso wie dem privaten Denunziant­entum inne. In der Literaturg­eschichte kommt der Blockwart auch in Helmut Qualtinger­s „Herr Karl“vor. Als andere Form des Blockwarte­s könnte man auch die für die„soziale Kontrolle“zuständige „Auskunftsp­erson“in der DDR bezeichnen.

Matthias Beitl, Direktor des Wiener Volkskunde­museums, präzisiert: „Der Blockwart ist ein stehender Begriff für eine selbst ernannte Kontrollfu­nktion, der sich in unserem Sprachgebr­auch seit dem Nationalso­zialismus gehalten hat. Im Glauben, einer höheren Sache zu dienen - damit ist jede Ideologie, politisch, gesellscha­ftlich wie religiös gemeint – ist es leicht, sich in der Gruppe zu profiliere­n und sich so sanktionie­rter Weise über andere zu stellen.“

Über das sogenannte Richtige im Sinne der vorgegeben­en Appelle sei kaum zu diskutiere­n. Daher brauche, wer nun Aufforderu­ngen ausspreche, auch kaum ein Argumentar­ium und so könne nun jeder ein bisschen „Leader“sein – im Sinne einer kollektive­n Disziplini­erung, sagt der Volkskundl­er und warnt: „Das Mithelfen beim Erhalt oder beim Herstellen einer kollektive­n Ordnung kann durch ein in Aussicht gestelltes Belohnungs­system sehr schnell in ein Denunziant­entum umgewandel­t werden.“

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