Kurier

Essenszeit­en

Eine Wohnung, zwei Büros und viele Rituale. So ein Tag im Wechselspi­el zwischen Arbeit, Nahrungsau­fnahme und Boshaftigk­eit kann ziemlich lang werden

- VON GABRIELE KUHN & MICHAEL HUFNAGL

Sie

Schön langsam zeichnet sich eine seltsam-skurrile Isolations-Stereotypi­e ab: Der Mann nebenan wird zum Fixstern des Vorhersehb­aren. Ich weiß immer genauer, was er wann sagen wird und was als Nächstes kommt. Und täglich grüßt mein Murmeltier. Andere lesen die Zeit am Stand der Sonne ab oder anhand einer blühenden Blumenuhr – ich hingegen lebe seit mehreren Wochen mit der Chronobiol­ogie des Hufnagl’schen Heißhunger­s, auch HH genannt.

Und das ist dann ungefähr so:

8.30: Stille. Er sagt (noch) nix, sondern schnurfür chelt (= meine liebevolle Bezeichnun­g sein zärtliches Schnarchen). 9 Uhr: „Guten Morgen. Hamma eigentlich noch Kipferln und Butter daheim?“11.30: „Weißt du schon, was du am Abend kochen wirst?“12 Uhr: „Ist noch was von dem guten Schinken daheim? Spiegelei wäre jetzt irgendwie super.“13 Uhr: „Herrlich war das, gibt’s allenfalls Pudding zur Nachspeise?“13.05, mit flirrendem Blick: „Oder Germknödel? Mit Vanillesau­ce?“13.20: Und weil es – ohjegerl – weder Pudvom ding noch Knödel und auch keine Sauce siebten Küchenhimm­el regnet, kommt nun Rascheln in der Naschlade. Gefolgt, um 13.21, von jenem ruckartig-fetzigen Geräusch, entsteht, wenn ein Mann eine Packung und sie entschloss­en aufreißt. 14 Uhr, vielleicht sogar einen Hauch früher, je nach Snips-Inhalation­s-Tempo: „So. Fertig. Bitte schreib Erdnusssni­ps auf die Einkaufsli­ste.“14.20 Uhr: Stille. Schnurchel­n. Sein Verdauungs-Power-Nap auf der Wohnzimmer­couch. 15 Uhr: „Weißt du endlich, was du am Abend kochen wirst?“15.30 bis 16.30 Uhr: „Ich google jetzt Rezept-Ideen.“17 Uhr: „So. Habe mich für Reisfleisc­h entschiede­n. Machst du oder soll ich?“Zirka um 17.01 melde ich mich erstmals zu Wort: „Du, mein Schatz!“Er: „Warum?“Ich: „Weil du es kannst.“18.03: „Wo ist der depperte Paprika?“Ja, auf diesen Mann ist wirklich Verlass.

Er

Ja, Homeoffice macht hungrig. Was auch daran liegen könnte, dass zwischen Laptop und Kühlschran­k nur ein paar Schritte liegen. Und man auf dem Rückweg quasi an der Naschlade vorbeistol­pert. Das Hirn ist ja bekanntlic­h ein Teufelchen. Das ständig flüstert:

Du, Hufnagl, pass’ auf – wenn die Gedanken nicht hüpfen, mach’ einen Hupfer ins Häppchenpa­radies.

Nun ist es aber keineswegs so, dass ich Schinkenbr­ot und Erdnussund Schokopudd­ing für mich alleine gehört nämlich zu jener Art Frau, die „Jetzt stopfst du schon wieder etwas in Und dann beherzt zugreift. Einmal. Dreimal. Um am Ende zu erklären: kurz kosten.“

Gewissensf­ragen

Dennoch belächelt sie die Menschen, die seit vielen Wochen via Facebook ihre Gewichtszu­nahme proklamier­en. Diese spitzmädis­che Gelassenhe­it liegt aber vor allem daran, dass wir keine besitzen. Worüber ich ehrlich gesehr froh bin, weil ich als Futterant will, nur sicher keinen Dialog mit Gewissen führen. Mir reichen jene Liebsten. Sie: „Sag’, weißt du eigentKalo­rien das Zeug hat?“Ich: „Nein.“Ich: „Nein.“Sie: „Na ja, g’sund ist das „Wurscht.“Danach schnappt sie sich eine Schnitte aus meiner Schüssel (oder zwei oder drei) und zieht sich ins Arbeitszim­mer zurück. Wo sie in aller Ruhe ihre Aufschubri­tuale pflegt. Was bedeutet: Sie schreibt einen Absatz und macht sich einen Tee. Schreibt einen Absatz und gießt Blumen. Schreibt einen Absatz und putzt das Waschbecke­n. Und wenn dann endlich Abendessen-Zeit ist, bittet sie mich, den Herd-Nerd zu spielen ... weil sie vor lauter Hack’n „zu nix kommt“. Später vor dem Fernseher formuliert sie ihren Heißhunger übrigens so: „Und, magst du keine Soletti knabbern?“Heißt: Sie würde gerne kurz kosten. Und ich gestehe, dass ich lustvoll antworte: „Nein, total ung’sund.“

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