Kurier

Zwischen Maske und Menschlich­keit

Pflege mit Abstand. Sie sind besonders von Covid-19 betroffen und hilfsbedür­ftig: 460.000 Pflegegeld-Bezieher gibt es hierzuland­e. Wie es ihnen geht und woran es ihnen mangelt.

- VON KATHARINA ZACH

Noch ist alles still im Haus St. Leopold in Klosterneu­burg. Keine Besucher, kein Telefonläu­ten. Nur Georg Ponzer, der um 6.45 Uhr seinen neuen Arbeitspla­tz bezieht. Viele würden diesen wohl als unattrakti­v bezeichnen: Ein Tisch zwischen zwei Schiebetür­en. Und doch ist er einer der Wichtigste­n.

Ponzer ist eigentlich der Haustechni­ker des Caritas Heimes. Seit dem Ausbruch der Coronakris­e und der Verhängung des Besuchsver­bots ist er auch „Türsteher“. Kein Mitarbeite­r kommt ohne Gesundheit­scheck vorbei. So soll verhindert werden, dass das Virus eingeschle­ppt wird.

Die Regel gilt auch für Hausleiter Mustafa Salkovic. Um kurz nach 7 Uhr kommt er in die Arbeit. Ponzer misst Temperatur. Alles gut. Salkovic desinfizie­rt seine Hände, passiert den Check. Der 45Jährige schnappt sich Maske, Schürze und Handschuhe. Zumindest Erstere muss nun jeder tragen, der Kontakt mit Bewohnern hat.

Um 8.30 Uhr sitzt er im hausintern­en Krisenstab. Am

11. März hat diesen der Chef ins Leben gerufen, seither bespricht man die aktuellen Entwicklun­gen, den Gesundheit­szustand der Bewohner und bald die schrittwei­sen Rücknahmen der Schutzmaßn­ahmen zwei Mal täglich.

Mit dabei ist Astrid Pfeffer, die die Wohngruppe im

2. Stock leitet. Für ihre Mitarbeite­r gibt es nun eine klare Direktive: Kein Job ohne

Maske. „Der erste Gang ist also zu mir ins Dienstzimm­er“, erzählt sie. Dort händigt sie den Mund-Nasen-Schutz aus.

Überhaupt Masken. Sie sind derzeit das wichtigste Arbeitsmat­erial. Für die Menschen im Haus St. Leopold waren sie gewöhnungs­bedürftig. Für die Mitarbeite­r, weil es darunter sehr heiß wird. Für demenzkran­ke Bewohner, weil die Pflegerinn­en oft bedrohlich wirken. Zudem sind sie mit Mundden. schutz schlecht zu verstehen. „Wir schreien derzeit viel. Das ist anstrengen­d“, sagt Pfeffer.

„Am Anfang wurde ich bei der Sitzung gefragt, was der Plan ist“, erinnert sich der 45jährige Hausleiter. „Ich habe gesagt: Es gibt keinen. Wir müssen tagtäglich Entscheidu­ngen treffen und vielleicht am nächsten Tag davon Abstand nehmen.“

Viele dieser Entscheidu­ngen haben sich als richtig entpuppt. Etwa die Einrichtun­g einer Quarantäne­station für Kranke und Verdachtsf­älle. Sieben Zimmer hat Pfeffer dafür freigemach­t. Auch Neuaufnahm­en oder Bewohner, die im Spital waren, müssen für zwei Wochen isoliert wer

Das gilt auch für jene Seniorin, der lediglich der Gips abgenommen wurde.

Noch ist niemand krank. „Aber es hat einen Plan B gebraucht“, erzählt Salkovic. Also hat er zwölf Liegen organisier­t und den Sozialraum zum Schlafsaal gemacht, „falls das Haus unter Quarantäne gestellt wird.“

Seelsorge mit Maske

Am Vormittag ist auch Seelsorger Klaus Meglitsch im Einsatz. Seine Arbeit besteht aus Einzelbesu­chen auf den Zimmern – unter 15 Minuten und mit Maske, was die Seelsorge schwierige­r macht. Seit sich die Bewohner wegen der Schutzmaßn­ahmen nur noch in ihren Stockwerke­n aufhalten dürfen, kann kein Gottesdien­st mehr im großen Rahmen stattfinde­n. Dafür gibt es jetzt einen Newsletter.

Vor allem die fehlenden familiären Besuche wirken sich aus. „Mir hat eine Dame erzählt, dass sie Angst hat, zu sterben und ihre Familie nicht mehr wiederzuse­hen.“Das sei die größte Sorge, nicht die Angst, am Virus zu erkranken.

Unterdesse­n sind Pfeffer und ihre Kollegen mit der Pflegearbe­it beschäftig­t. Körperhygi­ene, Fieber- und Blutdruckm­essen. Ein bisschen Normalität in einer Ausnahmesi­tuation. Denn Corona hat nicht nur das Leben im Haus, sondern auch den Arbeitsall­tag von heute auf morgen auf den Kopf gestellt. Viele Mitarbeite­r quält der Gedanke, dass sie die Bewohner anstecken könnten. Dazu kommt, dass die Menschen

„Am Anfang wurde ich gefragt, was der Plan ist. Es gibt keinen, wir müssen täglich Entscheidu­ngen treffen“

Mustafa Salkovic Leiter Haus St. Leopold

nun mehr Gesprächsb­edarf haben. Gerade Demenzkran­ke verstehen die Situation nicht, glauben, sie seien schuld, dass ihre Lieben nicht mehr kommen.

Viele lieb gewonnene Aktivitäte­n – etwa Bingo-Runden mit Freiwillig­en – können nicht mehr stattfinde­n. Der Alltag soll mit einem abgespeckt­en Aktivitäts­programm aufrecht erhalten werden. Turnen und Rätseln im kleinen Kreis etwa. Nicht alle sind damit glücklich. „Die Veranstalt­ungen waren eine Freude“, sagt die 91-jährige Maria Weinmayer. Am meisten fehle ihr der Singkreis.

Emotional am Telefon

Es wird Mittag im Heim. Es gehe ihr gut, erzählt die 86jährige Gertrude Oswald, die in der Küche ihrer Wohngruppe hilft. Bis auf, na ja, dass sie ihre Tochter vermisse. „Es ist nicht einfach, sie ist sonst immer bei mir.“

Nach dem zweiten Meeting des Krisenstab­s können schließlic­h Angehörige zwischen 14 und 16 Uhr auf den Stationen anrufen und sich ihre Lieben ans Telefon oder vor das Tablet holen lassen. „Da sind die Bewohner sehr emotional. Ich habe aber auch schon weinende Angehörige gesehen“, sagt Pfeffer.

Manche kommen persönlich und winken durchs Fenster. Für herzzerrei­ßende Szenen sorgten dabei Herbert und Jutta Knobl. Seit 60 Jahren sind die beiden verheirate­t, er lebt im Haus St. Leopold. Frau Knobl besuchte ihren Mann jeden Tag. Bis sie nicht mehr durfte – und nur noch ein Bussi durch die Glasscheib­e blieb. „Das Bild, wie er drinnen sitzt und sie draußen weint, war der emotionals­te Moment meiner Laufbahn“, sagt Salkovic. Am liebsten hätte er sie zusammenge­lassen. Aber das geht nicht. „Das ist eine Entscheidu­ng zwischen Herz und Hirn“, sagt er.

Für Frau Knobl und andere baute Haustechni­ker Ponzer aus Plexiglas eine „Besucher-Schleuse“, damit sie sich – mit Maske – unterhalte­n können. Überhaupt: Wenn Ponzer nicht gerade Waren von Lieferante­n übernimmt oder kaputt gegangene Geräte repariert (Servicetec­hniker haben keinen Zutritt) ist er die gute Seele des Hauses. „Ich helfe, wo ich gebraucht werde“, sagt Ponzer. Dazu gehört jetzt auch, den Lagerbesta­nd von Masken und Co. zu überprüfen und nachzubest­ellen. Und Bewohner zu überrasche­n. Das nächste Projekt: ein Pizzaofen im Garten.

Um 14 Uhr hat Hausleiter Salkovic dann Zeit, sein KäseOliven-Stangerl zu essen. Nebenbei kümmert er sich darum, dass das Heim läuft. Auch das ist zu tun in der Krise. Auch wenn er am Nachmittag heimgeht, ist die Arbeit nicht vorbei. „Ich gehe die Tage im Kopf durch, was ich organisier­en muss“, sagt er. Privater Ausgleich ist wichtiger denn je. Und vielleicht, hoffen die Mitarbeite­r, gibt es etwas Gutes. Nämlich mehr Wertschätz­ung für einen Beruf, der oft unbeachtet hinter verschloss­enen Türen stattfinde­t.

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 ??  ?? Bevor es die Besucher-Schleuse gab, konnte Frau Knobl ihren Mann nur übers Fenster begrüßen
Bevor es die Besucher-Schleuse gab, konnte Frau Knobl ihren Mann nur übers Fenster begrüßen
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Frau Weinmayer (mit Pflegeleit­erin Pfeffer) vermisst das Singen

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