Zwischen Maske und Menschlichkeit
Pflege mit Abstand. Sie sind besonders von Covid-19 betroffen und hilfsbedürftig: 460.000 Pflegegeld-Bezieher gibt es hierzulande. Wie es ihnen geht und woran es ihnen mangelt.
Noch ist alles still im Haus St. Leopold in Klosterneuburg. Keine Besucher, kein Telefonläuten. Nur Georg Ponzer, der um 6.45 Uhr seinen neuen Arbeitsplatz bezieht. Viele würden diesen wohl als unattraktiv bezeichnen: Ein Tisch zwischen zwei Schiebetüren. Und doch ist er einer der Wichtigsten.
Ponzer ist eigentlich der Haustechniker des Caritas Heimes. Seit dem Ausbruch der Coronakrise und der Verhängung des Besuchsverbots ist er auch „Türsteher“. Kein Mitarbeiter kommt ohne Gesundheitscheck vorbei. So soll verhindert werden, dass das Virus eingeschleppt wird.
Die Regel gilt auch für Hausleiter Mustafa Salkovic. Um kurz nach 7 Uhr kommt er in die Arbeit. Ponzer misst Temperatur. Alles gut. Salkovic desinfiziert seine Hände, passiert den Check. Der 45Jährige schnappt sich Maske, Schürze und Handschuhe. Zumindest Erstere muss nun jeder tragen, der Kontakt mit Bewohnern hat.
Um 8.30 Uhr sitzt er im hausinternen Krisenstab. Am
11. März hat diesen der Chef ins Leben gerufen, seither bespricht man die aktuellen Entwicklungen, den Gesundheitszustand der Bewohner und bald die schrittweisen Rücknahmen der Schutzmaßnahmen zwei Mal täglich.
Mit dabei ist Astrid Pfeffer, die die Wohngruppe im
2. Stock leitet. Für ihre Mitarbeiter gibt es nun eine klare Direktive: Kein Job ohne
Maske. „Der erste Gang ist also zu mir ins Dienstzimmer“, erzählt sie. Dort händigt sie den Mund-Nasen-Schutz aus.
Überhaupt Masken. Sie sind derzeit das wichtigste Arbeitsmaterial. Für die Menschen im Haus St. Leopold waren sie gewöhnungsbedürftig. Für die Mitarbeiter, weil es darunter sehr heiß wird. Für demenzkranke Bewohner, weil die Pflegerinnen oft bedrohlich wirken. Zudem sind sie mit Mundden. schutz schlecht zu verstehen. „Wir schreien derzeit viel. Das ist anstrengend“, sagt Pfeffer.
„Am Anfang wurde ich bei der Sitzung gefragt, was der Plan ist“, erinnert sich der 45jährige Hausleiter. „Ich habe gesagt: Es gibt keinen. Wir müssen tagtäglich Entscheidungen treffen und vielleicht am nächsten Tag davon Abstand nehmen.“
Viele dieser Entscheidungen haben sich als richtig entpuppt. Etwa die Einrichtung einer Quarantänestation für Kranke und Verdachtsfälle. Sieben Zimmer hat Pfeffer dafür freigemacht. Auch Neuaufnahmen oder Bewohner, die im Spital waren, müssen für zwei Wochen isoliert wer
Das gilt auch für jene Seniorin, der lediglich der Gips abgenommen wurde.
Noch ist niemand krank. „Aber es hat einen Plan B gebraucht“, erzählt Salkovic. Also hat er zwölf Liegen organisiert und den Sozialraum zum Schlafsaal gemacht, „falls das Haus unter Quarantäne gestellt wird.“
Seelsorge mit Maske
Am Vormittag ist auch Seelsorger Klaus Meglitsch im Einsatz. Seine Arbeit besteht aus Einzelbesuchen auf den Zimmern – unter 15 Minuten und mit Maske, was die Seelsorge schwieriger macht. Seit sich die Bewohner wegen der Schutzmaßnahmen nur noch in ihren Stockwerken aufhalten dürfen, kann kein Gottesdienst mehr im großen Rahmen stattfinden. Dafür gibt es jetzt einen Newsletter.
Vor allem die fehlenden familiären Besuche wirken sich aus. „Mir hat eine Dame erzählt, dass sie Angst hat, zu sterben und ihre Familie nicht mehr wiederzusehen.“Das sei die größte Sorge, nicht die Angst, am Virus zu erkranken.
Unterdessen sind Pfeffer und ihre Kollegen mit der Pflegearbeit beschäftigt. Körperhygiene, Fieber- und Blutdruckmessen. Ein bisschen Normalität in einer Ausnahmesituation. Denn Corona hat nicht nur das Leben im Haus, sondern auch den Arbeitsalltag von heute auf morgen auf den Kopf gestellt. Viele Mitarbeiter quält der Gedanke, dass sie die Bewohner anstecken könnten. Dazu kommt, dass die Menschen
„Am Anfang wurde ich gefragt, was der Plan ist. Es gibt keinen, wir müssen täglich Entscheidungen treffen“
Mustafa Salkovic Leiter Haus St. Leopold
nun mehr Gesprächsbedarf haben. Gerade Demenzkranke verstehen die Situation nicht, glauben, sie seien schuld, dass ihre Lieben nicht mehr kommen.
Viele lieb gewonnene Aktivitäten – etwa Bingo-Runden mit Freiwilligen – können nicht mehr stattfinden. Der Alltag soll mit einem abgespeckten Aktivitätsprogramm aufrecht erhalten werden. Turnen und Rätseln im kleinen Kreis etwa. Nicht alle sind damit glücklich. „Die Veranstaltungen waren eine Freude“, sagt die 91-jährige Maria Weinmayer. Am meisten fehle ihr der Singkreis.
Emotional am Telefon
Es wird Mittag im Heim. Es gehe ihr gut, erzählt die 86jährige Gertrude Oswald, die in der Küche ihrer Wohngruppe hilft. Bis auf, na ja, dass sie ihre Tochter vermisse. „Es ist nicht einfach, sie ist sonst immer bei mir.“
Nach dem zweiten Meeting des Krisenstabs können schließlich Angehörige zwischen 14 und 16 Uhr auf den Stationen anrufen und sich ihre Lieben ans Telefon oder vor das Tablet holen lassen. „Da sind die Bewohner sehr emotional. Ich habe aber auch schon weinende Angehörige gesehen“, sagt Pfeffer.
Manche kommen persönlich und winken durchs Fenster. Für herzzerreißende Szenen sorgten dabei Herbert und Jutta Knobl. Seit 60 Jahren sind die beiden verheiratet, er lebt im Haus St. Leopold. Frau Knobl besuchte ihren Mann jeden Tag. Bis sie nicht mehr durfte – und nur noch ein Bussi durch die Glasscheibe blieb. „Das Bild, wie er drinnen sitzt und sie draußen weint, war der emotionalste Moment meiner Laufbahn“, sagt Salkovic. Am liebsten hätte er sie zusammengelassen. Aber das geht nicht. „Das ist eine Entscheidung zwischen Herz und Hirn“, sagt er.
Für Frau Knobl und andere baute Haustechniker Ponzer aus Plexiglas eine „Besucher-Schleuse“, damit sie sich – mit Maske – unterhalten können. Überhaupt: Wenn Ponzer nicht gerade Waren von Lieferanten übernimmt oder kaputt gegangene Geräte repariert (Servicetechniker haben keinen Zutritt) ist er die gute Seele des Hauses. „Ich helfe, wo ich gebraucht werde“, sagt Ponzer. Dazu gehört jetzt auch, den Lagerbestand von Masken und Co. zu überprüfen und nachzubestellen. Und Bewohner zu überraschen. Das nächste Projekt: ein Pizzaofen im Garten.
Um 14 Uhr hat Hausleiter Salkovic dann Zeit, sein KäseOliven-Stangerl zu essen. Nebenbei kümmert er sich darum, dass das Heim läuft. Auch das ist zu tun in der Krise. Auch wenn er am Nachmittag heimgeht, ist die Arbeit nicht vorbei. „Ich gehe die Tage im Kopf durch, was ich organisieren muss“, sagt er. Privater Ausgleich ist wichtiger denn je. Und vielleicht, hoffen die Mitarbeiter, gibt es etwas Gutes. Nämlich mehr Wertschätzung für einen Beruf, der oft unbeachtet hinter verschlossenen Türen stattfindet.