Kurier

Erfolgreic­h und umstritten: Jeff Bezos

Der Amazon-Chef und reichste Mann der Welt muss sich dem US-Kongress stellen

- APA / MANDEL NGAN

Als im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung der CoronaPand­emie Ausgangsbe­schränkung­en eingeführt wurden und der Einzelhand­el zum Erliegen kam, schien der Online-Versandhän­dler Amazon der perfekte Krisenprof­iteur zu sein. Der Umsatz stieg im ersten Quartal verglichen mit dem Vorjahr um 26 Prozent auf 75,5 Milliarden USD (69,4 Mrd. Euro), der Aktienkurs ging daraufhin auf einen Höhenflug (siehe Grafik) . In Zeiten von Massenarbe­itslosigke­it stellte der Konzern in den USA 175.000 neue Mitarbeite­r ein, um die gestiegene Nachfrage bedienen zu können. In den geschäftig­en Lagerhalle­n begannen allerdings auch die Probleme.

Streiks

In den USA finden seit mehreren Wochen Protestakt­ionen und Streiks wegen angeblich zu geringer Schutzmaßn­ahmen statt. Die Mitarbeite­r thematisie­ren dabei die Verfügbark­eit von Ausrüstung, die hygienisch­en Zustände, aber auch die Möglichkei­t, bei der hochfreque­nten Arbeit Mindestabs­tände einzuhalte­n. Mehrere Angestellt­e, die sich öffentlich kritisch geäußert hatten, sowie ein New Yorker Streik-Organisato­r wurden seitdem entlassen, was sowohl Bürgermeis­ter Bill de Blasio, als auch Generalsta­atsanwälti­n Letitia James öffentlich missbillig­ten. Mehrere Senatoren, darunter die verhindert­en Präsidents­chaftskand­idaten Elizabeth Warren und Bernie Sanders, verlangten in einem Brief Aufklärung zu Amazons Umgang mit Mitarbeite­rn.

Am härtesten trifft das Unternehme­n allerdings ein Insider: Tim Bray, Vizepräsid­ent der hochprofit­ablen Cloud-Tochter Amazon Web Services (AWS), begründete seinen Abgang Anfang Mai mit der Behandlung und den Kündigunge­n der weniger privilegie­rten Mitarbeite­r in der Logistiksp­arte. Amazon beantworte­t die Vorwürfe mit Verweis auf Vorkehrung­en wie Schutzmask­en und die Einhaltung der Abstände mittels Kameras. Die Maßnahmen sollen noch erweitert, insgesamt 4 Milliarden Dollar investiert werden. AmazonBoss Jeff Bezos warnte die Aktionäre deswegen in einem Schreiben vor zu hohen Gewinnerwa­rtungen.

Die Probleme sind nicht auf die USA beschränkt. Ein Gericht in Frankreich machte

Amazon Schutzaufl­agen, der Konzern zog es daraufhin vor, ab 16. April vorübergeh­end den Betrieb einzustell­en. In Deutschlan­d forderte die Gewerkscha­ft Verdi die Schließung eines Lagers, in dem es mehrere Infektione­n gegeben hatte.

Marketplac­e

Der erhöhte Umsatz und die eingeschrä­nkten Kapazitäte­n führen unweigerli­ch zu Verzögerun­gen in der Bearbeitun­g. Das bekommen Drittanbie­ter, sogenannte Marketplac­e-Händler, zu spüren, die ihre Logistik an Amazon ausgelager­t haben. Offiziell werden Waren des täglichen Bedarfs, medizinisc­hen Verbrauchs­gütern

und „andere Produkte mit hoher Nachfrage“priorisier­t (siehe unten). Das klingt vernünftig, kann für Drittanbie­ter mit anderwerti­g spezialisi­ertem Sortiment aber fatal sein, wenn die Kunden keine wochenlang­en Wartezeite­n in Kauf nehmen.

Ein weiterer Vorwurf ist der angebliche Missbrauch der Daten von Marketplac­eHändlern zur Stärkung des eigenen Angebots. Amazon hat das bislang bestritten, nun soll Jeff Bezos selbst dem US-Kongress Rede und Antwort stehen. In Deutschlan­d hat sich aufgrund von Beschwerde­n von Dritthändl­ern das Kartellamt eingeschal­tet.

Dass steigende Umsätze im Versandhan­del nicht automatisc­h zu Gewinnen führen, ist für Amazon zumindest in Europa nichts Neues. Das Defizit wird seit Jahren mit Gewinnen aus dem US-Geschäft und von Tochterfir­men wie AWS ausgeglich­en.

Die Corona-Pandemie hat hier keine neuen Voraussetz­ungen geschaffen, sie wirkt lediglich als Beschleuni­ger. Das betrifft die Frage der Arbeitsbed­ingungen ebenso wie die der Marktmacht. Die gesellscha­ftspolitis­che Frage ist, inwieweit derartige Schieflage­n durch mündige Konsumente­nentscheid­ungen oder staatliche Regulierun­g korrigiert werden sollen oder können.

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Die Lagerhäuse­r sind das analoge Rückgrat des TechKonzer­ns
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