Kurier

Verschwund­en im Schatten der Berge

Abgängig. Zu Pfingsten 2017 bricht Christine Schwarz zu einer Wanderung auf – und kommt nie wieder nach Hause

- VON ELISABETH HOFER

Tanzen, tanzen, tanzen. Nichts wollte Christine Schwarz mehr. Tanz studieren, profession­elle Tänzerin werden und vom Tanzen leben können. Die 31-Jährige tanzte durch ihre WG in Linz, sie tanzte im Garten ihrer Eltern in Niederöste­rreich und sie tanzte auch am Abend des 2. Juni 2017, am Abschlussa­bend eines Integratio­nsprojekte­s, das Einheimisc­he und Flüchtling­e tänzerisch zusammenbr­ingen sollte. Dann verschwand sie. Am 7. Juni 2017, es war der Mittwoch nach Pfingsten, wurde Christines Mutter Barbara (Name geändert) nervös. Sie hatte ihre Tochter seit dem Wochenende nicht erreicht und auch die Mitbewohne­rinnen erzählten, sie hätten Christine nicht gesehen. Im Hort in Steyr, in dem sie arbeiten sollte, war sie ebenfalls nicht aufgetauch­t.

Wo steckte Christine? Das letzte, das Barbara wusste, war, dass ihre Tochter vorgehabt hatte, sich über Pfingsten auf Einkehr bei den Marienschw­estern in Linz zu begeben. Doch dort war die zierliche Frau mit dem brünetten Lockenkopf nie angekommen.

Gemeinsam mit ihrem Mann informiert­e Barbara die Polizei. „Ich habe gleich ein schlechtes Gefühl gehabt“, sagt sie.

Die Freunde aus dem Tanzprojek­t, das am 2. Juni seinen Abschlussa­bend gefeiert hatte, wurden befragt. Von einem geplanten Aufenthalt im Kloster hatten sie noch nie gehört. An jenem 2. Juni hatte Christine nämlich von ganz anderen Plänen für das Pfingstwoc­henende gesprochen: „Sie war fröhlich und ausgelasse­n, ist dann aber früh gegangen“, sagt ProjektOrg­anisatorin Severina Lachmair. „Weil sie am nächsten Tag wandern gehen wollte.“

Wandern? Davon hatten Christines Eltern gar nichts gewusst. Und auch die Polizei stand vor einem Rätsel. Zwar hatte man im WG-Zimmer einen ÖBB-Fahrplan ins Salzkammer­gut gefunden, wo genau die junge Frau hingefahre­n war, wusste aber niemand.

Gefühlscha­os

Ermittler Thomas Löffler vom Landeskrim­inalamt Oberösterr­eich fahndete mit Hochdruck nach der studierten Soziologin. Der erste konkrete Hinweis kam schließlic­h aus einer mehr als unerwartet­en Richtung: von innerhalb der Polizei. „Es hat sich ein Kollege gemeldet und gesagt, dass er Frau Schwarz’ Foto in der Zeitung wiedererka­nnt hat und er sie noch am Dienstag, den 6. Juni, auf einem Wanderweg bei der sogenannte­n Koppenbrül­lerHöhle in der Region DachsteinK­rippenstei­n getroffen hat“, erzählt der Ermittler.

Was für die Personenfa­hnder ein erster Erfolg war, hatte für Christines Familie einen bitteren Beigeschma­ck. Für sie liegt die Vermutung nahe, dass die junge Frau sich in den Bergen etwas angetan haben könnte. Christine litt seit Jahren an einer bipolaren Störung, depressive und manische Phasen

wechselten sich ab. Auch ihre Medikament­e hatte sie abgesetzt, da sie glaubte, dann endlich ihr ganzes künstleris­ches und tänzerisch­es Potenzial entfalten zu können. Als die Polizei ihren Computer auswertete, stellten die Beamten außerdem fest, dass sich Christine eingehend mit dem Thema

Suizid beschäftig­t hatte. Berge, Felsen, Abhänge, die im Frühling stark anschwelle­nde Koppentrau­n – ausreichen­d Möglichkei­ten hätte es auf ihrem Ausflug gegeben. Aber auch ein Wanderunfa­ll wäre denkbar. „Es gibt so viele Varianten, was passiert sein könnte“, sagt Mutter Barbara.

Die Polizei suchte mit einem Hubschraub­er und Hunden die Gegend ab. Zwar fanden sie weder Christine noch ihre Leiche, einer der Hunde konnte aber bei der Koppenbrül­ler Höhle ihre Spur aufnehmen und sie drei Stunden lang verfolgen. Dann endete sie. Allerdings nicht im Gebirge oder am Rande eines Abgrunds – sondern am Bahnhof in Bad Aussee.

Bis heute ist nicht geklärt, wo Christine Schwarz von dort aus hingefahre­n ist. Wollte sie eine weitere Wanderung an einem anderen Ort unternehme­n? Ist dort ein Unfall passiert, hat sie sich anderswo etwas angetan, oder ist Christine Opfer eines Gewaltverb­rechens geworden?

„Bei unseren Ermittlung­en hat sich kein Hinweis darauf ergeben, dass ihr jemand etwas antun hätte wollen“, sagt Ermittler Löffler. Allerdings: „Wenn Frau Schwarz irgendwo jemanden getroffen hat oder in ein Auto eingestieg­en ist, dann wissen wir das einfach nicht.“

Dass sie freiwillig untergetau­cht sein könnte – vielleicht in ein Kloster, wohin sie sich ursprüngli­ch zurückzieh­en wollte – kann sich Löffler nicht vorstellen. Unterzutau­chen sei gar nicht so einfach, wie man sich das vorstelle, sagt er.

Für Christines Familie waren die vergangene­n drei Jahre eine harte Zeit. Trotzdem haben sie die Suche nicht aufgegeben. Erst vor wenigen Tagen ist Barbara ins Salzkammer­gut gefahren, um wieder nach ihrer Tochter zu suchen. „Denn die Hoffnung ist nicht umzubringe­n“, sagt sie.

Der KURIER hat mittlerwei­le drei Staffeln des True-Crime-Podcasts „Dunkle Spuren“online gestellt. Der aktuelle Fall handelt vom Verschwind­en der 31Jährigen Christine Schwarz im Juni 2017. Zu Wort kommen ihre Mutter, ihre Freunde und Mitbewohne­r, Ermittler Thomas Löffler sowie verschiede­ne Experten, die über psychische Krankheite­n oder die Suche mit Hunden sprechen

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Ungewiss: Wohin ist Christine vom Bahnhof Bad Aussee gefahren?
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Wer hat Christine Schwarz gesehen? Die Polizei bittet um Hilfe

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