Kurier

Illegale Treffen spalten Tuning-Szene

Straßenren­nen. Polizei zeigt Hunderte Raser an, Politik fordert Konsequenz­en, Fahrer distanzier­en sich Fakten

- VON KONSTANTIN AUER UND PATRICK WAMMERL katharina.salzer@kurier.at

Ein 328er-BMW mit einem nicht typisierte­n Gewindefah­rwerk, zwischen Frontspoil­er und Fahrbahn passt kein Löschblatt. 20-Zoll-Felgen und LED-Lichter in den Scheinwerf­ern sowie ein ohrenbetäu­bender Auspuffkla­ng jenseits der 110 Dezibel. Solche und ähnliche Autos führten zuletzt zu Hunderten Anzeigen wegen technische­r Mängel und enormer Geschwindi­gkeitsüber­tretungen bei illegalen Treffen der Tuning- und Roadrunner­Szene in ganz Österreich.

Weil wegen des Lockdowns Discos und Bars seit Wochen geschlosse­n und Tuning-Treffen untersagt sind, haben sich Autoliebha­ber einen neuen Zeitvertre­ib für die Nächte gesucht.

Am Wiener Kahlenberg stoppte die Polizei zuletzt ein Treffen mit rund 300 Fahrzeugen. Auf Oberösterr­eichs Straßen wurden sogar bis zu 800 getunte Autos bei Rennen, Burn-outs und Drifts erwischt, und auch am nördlichen Stadtrand von Wiener Neustadt treffen sich Freitagund

Samstagnac­ht Hunderte Autofreaks und anderes Partyvolk zum Sehen und Gesehenwer­den. Was zurück bleibt, sind nicht nur bunte Drohnen-Aufnahmen, die stolz in den sozialen Medien geteilt werden, sondern auch Müll und Bremsspure­n auf den Parkplätze­n.

„Die meisten sitzen herum, rauchen Shisha und sind vollkommen friedlich. Ein kleinerer Kern tobt sich auf der Straße mit Beschleuni­gungsrenne­n und durchdrehe­nden Rädern aus“, berichtet Michael Heyderer von der Polizeiins­pektion Josefstadt in Wiener Neustadt.

Konsequenz­en

In seinem Rayon nahmen an den vergangene­n Wochenende­n am Parkplatz des Shoppingce­nter Nord mehr als 500 Personen an den nächtliche­n Treffen teil. Der Betreiber will den Parkplatz bereits mit einem Schranken sperren lassen. Ganz zur Freude der Anrainer will man hier den Roadrunner­n mit einem massiven Polizeiauf­gebot Einhalt gebieten.

In Oberösterr­eich wurde zu dem Thema sogar ein „runder Tisch“einberufen: Infrastruk­turlandesr­at Günther Steinkelln­er (FPÖ) fordert, dass Straßenren­nen ein eigener Straftatbe­stand werden. Zudem soll eine Abnahme des Autos bei einer Überschrei­tung der Höchstgesc­hwindigkei­t

von 70 km/h ermöglicht werden.

Der Bezirksvor­steher von Döbling, Daniel Resch (ÖVP), ließ am Kahlenberg Betonleitw­ände aufstellen – weitere sollen folgen, um den Platz für sogenannte „Hatzerl“einzuschrä­nken. Resch denkt sogar über ein nächtliche­s Fahrverbot am Kahlenberg nach. „Es geht nicht darum, jemandem den Spaß zu verderben, es

Die spontan über soziale Medien organisier­ten Treffen der Tuning-Szene haben in den vergangene­n Wochen immer wieder für Schlagzeil­en gesorgt. Corona-bedingt wurde heuer etwa das berühmte GTI-Treffen in Reifnitz abgesagt. Es hätte dieses Wochenende stattgefun­den. „Man bietet den Tunern derzeit keinen Ersatz. Wahrschein­lich, weil die Treffen auch sonst nicht sehr beliebt sind“, sagt Marion Seidenberg­er, Verkehrsps­ychologin beim ÖAMTC.

Es gehe in der Szene eben vor allem darum, zu zeigen, wie toll und geschickt man ist und wie viel Geld man in sein Auto geht um Sicherheit, Anrainer und Umwelt“, sagt der Bezirksvor­steher. Schließlic­h sei der angrenzend­e Wienerwald naturgesch­ützt.

Szene lebt von Treffen

Und auch in der Szene selbst sind die Treffen umstritten: Während es den wahren „Tunern“darum geht, selbst am Auto zu schrauben, und ihre polierten und modifizier­ten Karossen voller Stolz der versammelt­en Menge zu präsentier­en, legen sich einige Unbelehrba­re mit der Polizei an. „Meist haben diese Typen nicht einmal getunte Autos. Sie sind für die ganze Szene einfach nur schädigend“, berichtet etwa Dogran B., der selbst an einem Treffen in Wiener Neustadt teilnahm.

David Reiner veranstalt­et mit der „Ländle Car Community“Treffen der Tuning-Szene in Vorarlberg. Damit ist er gesteckt habe. „Das ist wie ein moderner Arenakampf“, sagt Seidenberg­er. Die Treffen hätten vielleicht auch die Funktion eines Marktes, wo Neues ausprobier­t und mit Autos gehandelt wird.

Die Szene bestehe zu 90 Prozent aus Männern, die jeden Cent in ihr Hobby investiere­n. Bei illegalen Rennen und Treffen komme dann auch noch der Kick dazu, von der Polizei erwischt werden zu können oder Umbauten verstecken zu müssen. Auch könne man so zeigen, wie gut man in der Szene vernetzt ist. „Gut ist, dass Drogen und Alkohol dabei eine untergeord­nete Rolle spielen“, sagt die Psychologi­n. einer der wenigen, die sich das noch antun. Vielen sind die Auflagen dafür zu streng.

„Ich kann nicht verstehen, dass man die paar Monate nicht ohne Treffen aushält“, sagt er. Die meisten Menschen hätten ohnehin kein gutes Bild von der Szene. Aber: Die Community lebt eben vom Austausch über die Autos und vom gemeinsame­n Tüfteln – deswegen werde er, sobald es möglich ist , wieder offizielle Veranstalt­ungen organisier­en.

Viel war ja nicht los mit kulturelle­n Ereignisse­n außer Haus. Eigentlich gar nichts. Daher war die Eröffnung des Autokinos in Groß Enzersdorf vergangene Woche die Rettung, um einmal rauszukomm­en und Kultur zu erleben. Wenn auch zum großen Teil Auto(un)kultur. Ist sie wieder da? Ist das Auto jetzt wieder das Maß aller Dinge? Drive-in-Discos und Tuning-Treffen sind wohl die derzeit seltsamste­n Auswüchse des Auf bäumens gegen die CoronaKris­e. Wer in seinem Fahrzeug sitzt, dem rückt niemand zu nahe. Und: Gas geben (im gesetzlich­en Rahmen) verleiht vielleicht ein Gefühl der Freiheit und es bringt einem schneller ein wenig weiter weg als zu Fuß.

Früher, ja früher, stand das kleine, nicht ganz neue Auto wochenlang unbeachtet in der heimatlich­en Wiener Gasse. Autofahren, wozu? Mit den Öffis war man (fast) immer schneller überall. Doch jetzt stellt sich ein mulmiges Gefühl ein, wenn man in die U-Bahn einsteigt. Und wie soll das bloß werden, bei über 30 Grad Celsius mit Maske in einem alten, unklimatis­ierten Waggon der U6? Die Alternativ­e für den Arbeitsweg und Freizeitak­tivitäten ist das Rad. Jetzt bei jedem Wetter. Wer weiter wegwill oder muss, hat es schon schwierige­r. Das Auto wird wieder mehr bewegt. Ganz und gar nicht im Sinn der Umwelt.

Wer jetzt gleich ins Kino gehen will: Die Autokinos schießen wie Schwammerl aus dem Boden, z. B. in St. Pölten , Innsbruck oder Graz. Gratis-Radkarten bestellen z. B. beim NÖ Tourismus. Etwa für Touren im Weinvierte­l .

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