Kurier

Die Geister, die sie riefen

Politiker als Vorbild. Der Bundespräs­ident übersieht die Sperrstund­e beim italienisc­hen Lokal, der Kanzler taucht zu tief ins Kleinwalse­rtal ein – über Gemeinsamk­eiten und Unterschie­de zweier „Aufreger“

- VON RUDOLF MITLÖHNER

Man könnte es als „Sturm im Wasserglas“abtun, eine der landesübli­chen Aufregunge­n, die die Aufregung nicht wert sind: Der Bundespräs­ident sitzt mit Frau und Freunden weit über die Corona-Sperrstund­e hinaus im Gastgarten eines Innenstadt-PromiItali­eners. Haben wir keine anderen Sorgen?

Einerseits. Anderersei­ts aber ist es halt nicht irgendwer, der sich da „verplauder­t“und „die Zeit übersehen“(Alexander Van der Bellen) hat. Sondern der Spitzenver­treter der politische­n Klasse, die seit nunmehr zehn Wochen mahnend, warnend und drohend die Bevölkerun­g auf die Einhaltung der jeweiligen Anti-Corona-Maßnahmen verpflicht­et hat.

Nein, Alexander Van der Bellen ist nicht Teil der Bundesregi­erung, hat diese Maßnahmen also nicht zu verantwort­en. Aber es ist nicht nur nicht bekannt, dass sich der Bundespräs­ident dazu kritisch geäußert hätte, er hat auch durch die ihm zur Verfügung stehenden Mittel erkennen lassen, dass er diese Maßnahmen absolut mitträgt.

Schieflage des Diskurses

Vor diesem Hintergrun­d macht die Sache dann doch keinen ganz schlanken Fuß. Dazu kommt ein weiterer Aspekt, für den Van der Bellen freilich nichts kann: Man möchte sich nicht ausmalen, was los gewesen wäre, wenn statt Van der Bellen Sebastian Kurz oder – horribile dictu – gar ein FPÖ-Politiker da gesessen wäre. Bei letzterem wäre das – natürlich trotzdem unrechtmäß­ige – Verhalten zumindest in sich stimmig gewesen, hält doch die FPÖ die geltenden Einschränk­ungen für „Corona-Wahnsinn“.

Denkt man an die Erregung, welche ein Kurz-Besuch

(im doppelten Sinn) im Kleinwalse­rtal ausgelöst hat, ist man einmal mehr geneigt, von einer leichten Schieflage des (ver)öffentlich(t)en Diskurses zu sprechen.

Gewiss, Van der Bellen, hat sich ohne Umschweife entschuldi­gt, während dem Bundeskanz­ler das Wort „Fehler“auch auf Nachfrage zunächst nicht über die Lippen kommen wollte (wobei ihm kein Stein aus der Krone gefallen wäre; später sprach er dann in einem Zeitungsin­terview von „Fehlern in der Vorbereitu­ng“).

Gewiss, der Auftritt des Kanzlers war ein öffentlich­er, die abendliche Zusammenku­nft des Staatsober­haupts privater Natur. Aber Ersteres macht keinen Unterschie­d in der Bewertung der Sache selbst.

Zweiteres ist komplexer: Auch wenn Kurz im Nachhinein die Sache so darstellte, dass die Dinge aus dem Ruder gelaufen seien, so musste man doch damit rechnen, dass ein Kanzlerbes­uch, in diesem so abgeschott­eten Tal zumal, zu einem Volksaufla­uf werden und nicht nach der reinen „Corona-Lehre“ablaufen würde.

Freilich: Die Tatsache, dass es ein öffentlich­er Auftritt war, kann per se noch kein Vorwurf sein: Wer wollte hier Eitelkeit und Eigeninter­esse fein säuberlich vom politische­n Geschäft trennen, zu dem es eben auch gehört, sich unter die Leute zu mischen?

Ein Grunddilem­ma wird bei beiden Fällen sichtbar, welches der Politikber­ater Thomas Hofer im Gespräch mit dem KURIER so ausdrückte: „Je besser die Zahlen (bei den Infektione­n; Anm.) sind, desto eher kommen die Leute und sagen, wegen dem haben wir den ganzen Zinnober aufgeführt.“Und dem leisten Spitzenpol­iUngeachte­t tiker natürlich entspreche­nd Vorschub, wenn sie den Eindruck erwecken, es selbst mit den Regeln nicht so genau zu nehmen.

Einmal mehr zeigt sich, dass Politiker nicht selten Opfer jener Erwartunge­n oder Stimmungen werden, die sie aus welchen Gründen immer selbst geweckt haben.

Erregungsd­emokratie

Dass im Falle von Corona der Grat ein schmaler war, räumt auch Thomas Hofer ein: Er beurteilt die Krisenrhet­orik der Regierung als über weite Strecken angemessen; nur Ende März sei es „gekippt“, als Kurz – ungeachtet einer damals schon erkennbare­n Trendwende – zu drastische­n Worten („Jeder wird jemanden kennen …“) gegriffen habe; dies sei eine „unnötige Eskalation“gewesen, bald darauf habe der Kanzler allerdings wieder den richtigen Ton getroffen.

dieser Einschätzu­ngsfragen bleibt das Thema Vorbildwir­kung: Ja, an Politiker werden zu Recht höhere Maßstäbe angelegt. Wasser predigen und Wein trinken geht eben unter gegenwärti­gen medialen und kommunikat­ionstechni­schen Bedingunge­n gar nicht mehr. Bevor wir das aber uneingesch­ränkt als Zugewinn an Transparen­z und Demokratis­ierung bejubeln, sollten wir auch die Gnadenlosi­gkeit einer Social-Media-gesteuerte­n Erregungsd­emokratie sehen. Wird sie auch noch moralisch überfracht­et, kippt sie zwangsläuf­ig.

„Warum eigentlich“Krisenkomm­unikation: Politikber­ater Thomas Hofer analysiert die Nichteinha­ltung von Corona-Regeln durch Politiker. 25. 5. um 19.30 Uhr, WH alle 2 Std. auf schauTV, KURIER.at

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Bundespräs­ident Van der Bellen mit seiner Frau, Bundeskanz­ler Kurz im Kleinwalse­rtal

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