Italien zwischen Lebenslust und Wirtschaftsfrust
Ministerin warnt. Soziale Revolte ebenso denkbar wie neuerlicher Lockdown
Schon seit Wochen schnaufen viele Italiener, dass ihnen durch die Corona-Krise finanziell wohl bald die Luft ausgehen wird. Ein soziales staatliches Netzwerk wie in Österreich gibt es in Italien nicht. Innenministerin Luciana Lamorgese warnt schon länger, dass die Mafia als williger Geldgeber einspringen und damit in die legale Wirtschaft eindringen könnte. Unternehmen wie Familien in Not müssten vor Wucherzinsen geschützt werden.
Jetzt lässt die parteilose Innenministerin wieder aufhorchen. Angesichts der wachsenden Wut und Verzweiflung in der Bevölkerung warnt Lamorgese vor drohenden sozialen Revolten. „Wir müssen dafür sorgen, dass die beschlossene finanzielle Unterstützung für die Zeit der Corona-Krise so schnell wie möglich ausgezahlt wird.“Sonst könnte das bisherige verantwortungsbewusste Verhalten der Italiener in Wut umschlagen. „Und das müssen wir verhindern“, betont Lamorgese im Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender RAI 2. „Wir müssen schnell sein“, drängt die 66-Jährige, „die Bürger müssen sich die lebensnotwendigen Anschaffungen leisten können.“
Viva la vita!
Sorge bereitet Lamorgese, dass in den Ausgehvierteln der Städte wieder gefeiert wird – was zu großen Menschenansammlungen führt, die unbedingt vermieden werden sollten. Vor allem die Jugend solle bitte vernünftig sein und sich an die Sicherheitsmaßnahmen halten, andernfalls drohe Italien eine neuerliche Corona-Welle mit Lockdown, was ein Desaster für das Land bedeuten würde. Die Regierung will 60.000 „zivile Assistenten“einsetzen, um die Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen in der „Phase zwei“zu kontrollieren. Das jedenfalls kündigte Regionenminister Francesco Boccia an.
150.000 Antikörpertests
Es besteht zumindest die Hoffnung, dass schon viele Italiener durch Antikörper einen gewissen Schutz vor Corona haben. Um das zu klären, begann das Land am Montag mit einer groß angelegten Studie. Mithilfe des Roten Kreuzes sind Antikörper-Tests bei 150.000 Personen in 2.000 Gemeinden landesweit geplant. Die Teilnahme ist freiwillig.
Zeitgleich werden in einem Krankenhaus in Rom Freiwillige für einen Impfstoff-Test gesucht. Ein römisches Unternehmen hat ein Serum entwickelt. Wenn sich Freiwillige gefunden haben, soll in einem eigenen Trakt eines Spitals die Impfstudie erfolgen.
Neben der Pandemie an sich dreht sich aber alles um das liebe Geld. Premier Giuseppe Conte hat ein Milliardenpaket zur Unterstützung der Wirtschaft und der Bevölkerung angekündigt. Doch Rom braucht dringend Geld, Geld, das es auch von Europa zu bekommen hofft. Am Mittwoch wird in Brüssel darüber debattiert, wie nicht nur Italien unter die Arme gegriffen werden kann. Stichwort: Merkel-MacronWiederaufbauplan in Höhe von 500 Milliarden Euro insgesamt für alle EU-Staaten.
Gastronomie stöhnt
Doch bis das Geld fließt, wird es noch dauern. In Italien stöhnt etwa die Gastronomie, dass die Einnahmen in der ersten Woche nach Ende des Lockdowns gering gewesen seien. 92 Prozent der Besitzer von Restaurants, Pizzerien und Gasthäusern sind laut Umfragen betroffen und in ihrer Existenz bedroht. Der wirtschaftliche Druck ist enorm. Davon können auch Friseure oder Kosmetikerinnen ein Lied singen.