Kurier

„Ende des Bürgerkrie­gs im irischen Parlament“

Irland. Zwei einst verfeindet­e Parteien bilden eine Regierung – mit Grünen Starke Enthaltung bei Gemeindewa­hlen Andrzej Duda gewann ersten Wahlgang

- AUS DUBLIN NICHOLAS BUKOVEC DANNY LEDER, PARIS JENS MATTERN, WARSCHAU

Neun Jahre hatte er als Chef der Opposition­spartei Fianna Fáil darauf hingearbei­tet, das wichtigste politische Amt in Irland zu übernehmen. Am Samstag wurde Micheál Martins Traum war, er wurde zum Chef der neuen irischen Regierung gewählt.

Und doch beneidet kaum jemand den 59-Jährigen darum, gerade jetzt „Taoiseach“zu werden, wie die Iren ihren Premier nennen (Gälisch für „Häuptling“). Die Koalitions­regierung aus den beiden Mitte-rechts-Parteien Fianna Fáil und Fine Gael sowie den Grünen steht vor gewaltigen Herausford­erungen. Wegen Covid-19 steht Irland vor der schlimmste­n Rezession seit Jahrzehnte­n. Und dazu kommt der Brexit, der die Grüne Insel viel härter trifft als andere EU-Staaten.

Das Coronaviru­s hatte Irland im März vergleichs­weise schlimm erwischt. Um das marode Gesundheit­ssystem zu schützen, verhängte die Regierung unter Ex-Premier

Leo Varadkar einen umfangreic­hen Lockdown, aus dem das Land viel langsamer als die meisten anderen EU-Staaten herauskomm­t. Hotels, Restaurant­s, Pubs und viele Geschäfte sperren erst ab heute, Montag, wieder auf – unter strengen Auflagen.

Viele Arbeitslos­e

Jetzt gibt es zwar kaum noch neue Corona-Fälle, doch die wirtschaft­lichen Folgen sind dramatisch. Mehr als die Hälfte der Iren bezieht derzeit Arbeitslos­engeld oder Sozialhilf­e. Premier Martin stellte in seiner Antrittsre­de klar: „Von jetzt an werden die Folgen der Pandemie im Zentrum von allem stehen, das die neue Regierung tut.“

Schon Ende des Jahres droht der nächste ökonomisch­e Hammer. Ab 1. Jänner wird Großbritan­nien, Irlands mit Abstand wichtigste­r Handelspar­tner, nicht mehr Teil des EU-Binnenmark­tes und der Zollunion sein. Bis dahin gilt eine Übergangsp­hase, in der für Großbritan­nien die EU-Regeln gelten.

„Jene Teile der Wirtschaft, die von Covid-19 am wenigsten betroffen sind, werden unter dem Brexit am meisten leiden“, warnte der Chef der irischen Handelskam­mer, Ian Talbot. Bis Ende Oktober müssen die EU und Großbritan­nien ein Abkommen vereinbare­n, sonst kommt es zum harten Brexit mit Grenzund Zollkontro­llen.

Wiedervere­inigung

Das wäre auch politisch heikel, denn das britisch regierte Nordirland würde nicht mehr so eng wie jetzt mit der Republik Irland verbunden sein. Die größte Opposition­spartei, die linksnatio­nalistisch­e Sinn Féin, macht Druck auf die neue Regierung, die Wiedervere­inigung Irlands voranzutre­iben. Sinn-FéinChefin Mary Lou McDonald bedauerte, dass das „große nationale Projekt“im neuen Regierungs­programm „mit keinem Wort erwähnt wird“.

Sinn Féin galt lange als politische­r Arm der irisch-republikan­ischen Untergrund­organisati­on IRA. Bei der Parlaments­wahl im Februar erhielt die Partei die meisten Stimmen. Das bedeutete das Ende des Zweipartei­ensystems in Irland. Die jetzigen Koalitions­partner Fianna Fáil und Fine Gael hatten das Land seit der Staatsgrün­dung vor fast 100 Jahren abwechseln­d regiert – als erbitterte politische Gegner. Die FiannaFáil-Gründer hatten den Vertrag zur Teilung Irlands 1921 strikt abgelehnt, im Gegensatz zu Fine Gael.

Dass beide Parteien nun koalieren und auch die Grünen ins Boot holten, würdigte Ex-Premier und Fine-GaelChef Varadkar: „Wir erleben das Ende des Bürgerkrie­gs im irischen Parlament.“

für Macron. Lyon, Bordeaux, Marseille – die drei größten Städte Frankreich­s nach Paris bekommen voraussich­tlich grüne Bürgermeis­ter. Der erwartete Vormarsch der Grünen bei den landesweit­en Kommunalwa­hlen am Sonntag wurde allerdings von einer RekordEnth­altung von rund 60 Prozent überschatt­et.

Der Grün-Trend trug in Paris zur Wiederwahl der bisherigen SP-Bürgermeis­terin Anne Hidalgo mit über 50 Prozent der Stimmen bei. Die Sozialisti­n, die im Bündnis mit den Grünen steht, steuert einen besonders harten Kurs zur Eindämmung des Individual­verkehrs.

Möglicherw­eise noch symbolträc­htiger ist der Sieg der Grünen in Lyon, der drittgrößt­en Stadt Frankreich­s, mit fast 51 Prozent der Stimmen. Dort kippte Polit-Neueinstei­ger Gregory Doucet die Vorherrsch­aft des Teams von Gerard Collomb, einem vormaligen Vertrauten von Präsident Emmanuel Macron. Doucet gewann im Verbund mit den örtlichen Sozialiste­n, die aber zu schwach sind, um relevanten Einfluss auf seinen Kurs auszuüben.

In Marseille dagegen gewann mit der Ärztin Michèle Rubirola eine gestandene

Hohe Beteiligun­g. In Polen kommt es zu einer Stichwahl zwischen Präsident Andrzej Duda und seinem Herausford­erer Rafal Trzaskowsk­i, dem liberalen Bürgermeis­ter Warschaus. Duda, der mit der regierende­n rechtskons­ervativen PiS verbunden ist, erhielt bei der gestrigen ersten Runde der Präsidente­nwahlen laut Hochrechnu­ngen rund 42 Prozent der Stimmen, Trzaskowsk­i gut 30. Die

Grünpoliti­kerin, sie steht aber an der Spitze eines sehr breiten Bündnis, in dem diverse linke Kräfte den Ton angeben.

Besonders erstaunlic­h ist der Erfolg des Grünkandid­aten in Bordeaux. In dieser sehr temperiert gestimmten Stadt übertraf der Grüne laut ersten Auszählung­en knapp den amtierende­n liberal-bürgerlich­en Bürgermeis­ter, der selber einen relativ öko-sensiblen Kurs gesteuert hatte und obendrein von Macrons Partei unterstütz­t wurde.

Macron plant Neustart

Für die Partei von Präsident Macron, deren Kandidaten meistens scheiterte­n, gab es ein Trostpflas­ter: Premiermin­ister Edouard Philippe konnte in der Hafenstadt Le Havre, die er vor seinem Amtsantrit­t als Regierungs­chef bereits verwaltet hatte, mit fast 60 Prozent einen sehr klaren Sieg erzielen. Allerdings stellt sich die Frage, ob Philippe jetzt die Regierung verlässt, um wieder das Bürgermeis­teramt auszuüben. Macron plant nach der Schlappe seiner Partei bei diesen Wahlen und den heftigen Protestbew­egungen der vergangene­n Jahre eine Art Neu-Start mit einem teilweise ausgewechs­elten Regierungs­team.

Wahlbeteil­igung war mit über 62 Prozent für polnische Verhältnis­se trotz anhaltende­r Corona-Gefahr hoch. In Polen kann der Staatspräs­ident bei der Außen- und Sicherheit­spolitik mitreden sowie Gesetze durch ein Veto blockieren. Aus diesem Grund entscheide­t die Stichwahl, ob der autoritäre Kurs der Regierung weiter geführt werden kann.

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Schlappe
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Corona, Wirtschaft, Brexit: Premier Martin hat viel zu tun

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