Kurier

Die Könige unter den Hausmeiste­rn

Schnecken. Forscher sind dem Rätsel der linksgewun­denen Schalen auf der Spur

- VON HEDWIG DERKA

Die Partnersuc­he für Jeremy gestaltete sich schwierig. Auf seinem Londoner Komposthau­fen gab es keinen weiteren Schneckenk­önig. Kein Wunder, die Chance, auf eine Gefleckte Weinbergsc­hnecke mit linksgewun­denem Haus zu treffen, steht 1 : 40.000. Also half der britische Forscher Angus Davison mit einem Aufruf in den Medien nach. 40 spiegelver­kehrte Außenseite­r fanden sich schließlic­h zur Fortpflanz­ung. Zu guter Letzt konnte der Genetiker der Universitä­t Nottingham 170 schleimige Nachkommen untersuche­n. Sein Schluss: Bei den kleinen Verwandten der Weinbergsc­hnecke sorgt nicht das Erbgut dafür, dass Haus und (Geschlecht­s-)Organe ausnahmswe­ise auf der linken Seite liegen, sondern ein Fehler in der individuel­len Entwicklun­g der Weichtiere.

Defektes Gen oder spontane Baupanne – diese Diskussion ist nicht neu. Das wissen auch heimische Schnecken-Experten. Sie kennen viele Launen der Natur.

Eizelle entscheide­t

„Das Genom des Muttertier­s bzw. bei Zwittern des Besitzers der Eizelle entscheide­t über die Windungsri­chtung der Nachkommen“, widerspric­ht der Biologe Robert Nordsieck den aktuellen Zuchtergeb­nissen. Erste Studien dazu reichen in die 1920er-Jahre zurück. Damals suchte ein amerikanis­cher Forscher bei Alpen-Schlammsch­necken nach Beweisen für die Mendelsche Vererbungs­lehre. Auch jüngere Arbeiten identifizi­eren ein Gen für den Dreh. So setzten japanische Wissenscha­fter im Vorjahr bei Spitzschla­mmschnecke­n die Genschere an. Und fanden einen DNA-Abschnitt, der für die Rechtswind­ung verantwort­lich ist. Nur Schnecken ohne eine funktionie­rende Kopie des Gens Lsdia1 zeugten Nachwuchs mit linksgewun­denem Unterschlu­pf. Anzeichen für diese verkehrte Welt zeigten sich bereits, als die Embryos aus einer einzigen Zelle bestanden.

„Das Rätsel ist noch nicht zu 100 Prozent gelöst“, sagt Anita Eschner, Kuratorin der Sammlung Mollusca im Naturhisto­rischen Museum Wien, und erklärt lieber, was seit Langem als gesichert gilt: dass Schnecken eine sehr alte Tiergruppe sind; älter als Fische. Und dass diese Bauchfüßer im Kambrium vor mehr als 500 Millionen Jahren Kalkschale­n zum Schutz mit sich schleppten.

Mittlerwei­le haben viele Arten ihre sperrige Bleibe abgebaut; mit kuriosen Zwischenst­adien. Während die einen noch geräumig wohnen, haben andere nicht mehr genug Platz in ihrem bescheiden­en Häuschen. Bei manchen sind überhaupt nur Reste im Inneren übrig.

Dabei ist ein fixes Quartier auf dem Rücken durchaus brauchbar. „Die Schale hilft vor allem gegen Trockenhei­t und gegen Frost“, sagt Nordsieck. Denn die Luke lässt sich mit einer Membran bzw. einem Kalkdeckel dicht verschließ­en. In den meisten Fällen hält das Gehäuse auch Fressfeind­e ab. In der Verteidigu­ng setzen die Hausmeiste­r auch aufs Schleimen und Schäumen.

Mit dieser Taktik können Weinbergsc­hnecken in freier Natur bis zu acht Jahre alt werden, in menschlich­er Obhut bis zu 20 Jahre. Genug Zeit für die Zwitter, reichlich Nachkommen zu produziere­n. Bei Jeremy klappte die Paarung erst kurz vor seinem Tod. Tomeu aus Mallorca war der Richtige.

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