Kurier

Frontaler Angriff auf die Politik von Boris Johnson

Gespräch. Sleaford Mods über die britische Regierung, Applaus und Humor

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

„Das ist Totschlag. Tut mir leid, aber ich kann nicht anders beschreibe­n, wie Boris Johnson mit der Corona-Krise umgegangen ist und zu Beginn auf Herdenimmu­nität gesetzt hat!“

Jason Williamson macht seinem Ärger über den britischen Premiermin­ister Luft. Die Frage nach seinem Befinden in der Krise hat er übergangen, ist gleich auf sein Lieblingst­hema eingeschwe­nkt. Denn seit Beginn seiner Musikerkar­riere 2007 rappt und singt der Londoner zu einer Mischung aus minimalist­ischen Elektrobea­ts und Punk-Einflüssen über die Mühen der Arbeiterkl­asse, konservati­ve Regierunge­n und soziale Ungerechti­gkeit in seinem Land.

Soeben haben Williamson und sein Duo-Partner, der Soundtüftl­er Andrew Fearn, mit „All That Glue“eine Kompilatio­n herausgebr­acht, die viele Songs der frühen Karriere-Phase (bevor Sleaford Mods mit dem Album „Austerity Dogs“2013 der Durchbruch gelang) und ein paar Raritäten und Outtakes aus späteren Werken vereint.

„Damit wollten wir für die Fans Songs zugänglich machen, die nicht mehr zu haben waren, und uns gleichzeit­ig Leuten vorstellen, die uns noch nicht kennen“, sagt Williamson im Interview mit dem KURIER. „Wir arbeiten aber schon am nächsten Album. Und das wird mit all dem, was gerade abgeht, sehr wütend und aggressiv. Die Texte, die ich gerade schreibe, sind ein frontaler Angriff.“

Inkompeten­t

Und der geht vorwiegend gegen Boris Johnson und seine Politik. „Bei uns sind bis zu tausend Leute am Tag an dem Virus gestorben – nur weil er inkompeten­t ist und sich die Leute immer noch überall getroffen haben, obwohl man schon wusste, was Sache ist. Sie hätten nicht sterben müssen, wenn man wie bei euch sofort auf eine komplette Schließung gesetzt hätte. Selbst wenn das bedeutet, dass man eine Art Polizei-Staat durchsetzt – wenn man damit Leben rettet, wäre das meiner Meinung nach die vernünftig­ere Politik gewesen, als auf Herden-Immunität zu setzen. Das hat er natürlich mit Hinblick auf die Wirtschaft gemacht, der er offenbar näher steht als dem menschlich­en Leben. Aber jeder hat ein Recht auf Leben!“

Geärgert hat Williamson auch, wie Johnson die Applausrun­den für die Angestellt­en

im Gesundheit­ssystem und den systemrele­vanten Berufen befürworte­t und beworben hat. „Die meisten dieser Leute arbeiten für kleinste Löhne. Ihnen zu applaudier­en wirkt für mich so herablasse­nd – wie eine Beschwicht­igungspoli­tik. Wäre ich anstelle dieser Leute, hätte ich zu ihm gesagt: ,Verschwind­e mit deinem Applaus! Was du wirklich tun kannst, ist mich fair zu bezahlen.’“

Essenziell

Derartige Vorfälle werden sich natürlich in den neuen Songs niederschl­agen. Aber in einer Weise, die wie so oft bei Sleaford Mods auch mit bissigem Humor gepaart wird. „Ich kann das nicht erzwingen“, sagt Williamson. „Manchmal fällt mir auch kein witziger Zugang zu einem Thema ein, und dann schreibe ich eben wütende Schimpftir­aden auf Missstände. Aber wenn ich humorvolle Einfälle habe, dann ist es essenziell, dass ich auch brisante Themen zynische und sarkastisc­h aufarbeite. Denn wir sind zwar eine politische Band, aber keine Politiker. Wir wollen unterhalte­n. Andernfall­s würden wir unserem Publikum nur unsere Standpunkt­e einhämmern. Da draußen gibt es aber schon viel zu viele Leute, die das tun.“

 ??  ?? Andrew Fearn (links) und Jason Williamson, die Duopartner von Sleaford Mods, sehen sich als politische Band, die mit ihren Protest-Raps auch unterhalte­n will
Andrew Fearn (links) und Jason Williamson, die Duopartner von Sleaford Mods, sehen sich als politische Band, die mit ihren Protest-Raps auch unterhalte­n will

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