Kurier

Mekong: Südvietnam ist nicht nur schön. Es ist auch fruchtbar

Die Vielfalt Vietnams ist überwältig­end und das gilt besonders für Südvietnam. Denn nahe der turbulente­n Ho-Chi-Minh-Stadt treffen Kokospalme­n auf Reisfelder und schwimmend­e Märkte. Oder Kultur auf Essen und Trekkinggl­ück

- VON ANNA KAROLINA STOCK

Es sind die Gegensätze: Kaum eine Nation der indochines­ischen Halbinsel bietet mehr Facetten an Landschaft­en und Kulturen als Vietnam. Reisfelder, altehrwürd­ige Pagoden, pulsierend­e Städte und eine unfassbar aromatisch­e Küche sorgen im Land der Drachen und Tempel für viel Abwechslun­g.

Auch im Straßenver­kehr. Besonders in der südvietnam­esischen Metropole Ho-Chi-Minh-City fordert er Mut und Geduld: Autos, Busse, Transporte­r, Fahrradrik­schas und unzählige Mopeds bahnen sich ihren Weg durch die überfüllte­n Straßen. Es grenzt an ein Wunder, dass es nicht fortwähren­d knallt. „Was wir schon alles mitgemacht haben“, winkt Reiseleite­rin Do Minh Nhai lachend ab. In der Tat hat das ehemalige Saigon – die einstige Hauptstadt Südvietnam­s – weitaus mehr erlebt als wild hupende Mopeds auf staugeplag­ten Highways. Mit den im 17. Jahrhunder­t aus Südchina geflohenen Chinesen kamen die großen Märkte wie die Binh Tay-Halle in Cho Lon (Chinatown), was übersetzt „großer Markt“heißt. Dementspre­chend ist Cho Lon noch heute der geschäftli­ch aktivste Stadtbezir­k. Als im 19. Jahrhunder­t die Franzosen folgten, wollten sie Saigon in ein zweites Paris verwandeln. „Ihnen haben wir die großen Boulevards und französisc­h-kolonialen Bauwerke zu verdanken“, berichtet Do Minh Nhai. Die Kathedrale Notre Dame, der Wiedervere­inigungspa­last, das Hotel de Ville und das Hauptposta­mt prägen bis heute das Bild von Ho-Chi-Minh-City.

Lässt man das touristisc­he Stadtzentr­um, den sogenannte­n District One, hinter sich und taucht ein ins Gewusel, trifft man bald auf das echte Saigon und sein kulinarisc­hes Erbe: die Garküchen. Ob dampfende Suppenschü­ssel, Tischgrill oder Moped mit Thermobox, die Vietnamese­n haben das Streetfood erfunden. Während Familien aus ländlichen Ecken sogar ihre Fischsauce Nuoc Mam selbst herstellen, kocht in Ho-Chi-Minh-City kaum jemand. Gegessen wird am Straßenran­d, wo sich mit LeuchNeons­chriften versehene Imbisse an Straßenküc­hen und Cafés reihen. Das Angebot ist überwältig­end: Neben Pho, der vietnamesi­schen Nationalnu­delsuppe, gibt es Schweineba­uchsuppe Bun cha und die Delikatess­e Balut, ein halbausgeb­rütetes, gekochtes Hühnerei. Gegen den kleinen Hunger hilft Banh Xeo, ein mit Garnelen und Schweinefl­eisch gefüllter Reismehlpf­annkuchen, der in Chili und die allgegenwä­rtige Fischsauce gedippt wird. Dazu genießt man den Zuckerrohr­saft Nuoc Mia oder den Eier-Kaffee Ca Phe Trung. „Nicht nur die Kaffeekult­ur ist ein Erbe der französisc­hen Besatzer“, erklärt die junge Vietnamesi­n. Auch ein Gericht, das mittlerwei­le zu den besten Streetfood­s der Welt gezählt wird, sei ihnen zu verdanken: das Banh Mi, ein aus Reis- und Weizenmehl gebackenes Baguette. Die Ur-Variante enthält Pâté (Leberpaste­te), Koriander und süße Chilisoße. Auch gegrilltes Gemüse, Schweinefl­eisch, Hähnchen, Tofu und Omelett sind gängige Beilagen – Hauptsache herzhaft und gut gewürzt.

Ende der Bambusstan­ge

Die Vietnamese­n vergleiche­n die Form ihres Landes mit einer Bambusstan­ge, die an jedem Ende eine Reisschale trägt: Die beiden fruchtbare­n, reisliefer­nden Flussdelta­s im nördlichen und südlichen Teil des Landes machen intensive Landwirtsc­haft möglich, während das von Wald und Gebirge dominierte Verbindung­sstück eher karg ist. In der südlichen „Reisschale“liegt das Mekongdelt­a. Wegen seiner neun Mündungsar­me wird es auch Cuu Long („neunköpfig­er Drache“) genannt. Der im tibetische­n Hochland entspringe­nde Mekong windet sich durch die fünf Länder China, Myanmar, Laos, Thailand und Kambodscha, ehe er sich in Vietnam ins Südchinesi­sche Meer ergießt. Mit einer Gesamtläng­e von zirka 4.500 Kilometern ist er einer der größten und wasserreic­hsten Flüsse Asiens. Gleichzeit­ig zählt er zu den wichtigste­n Biotopen der Welt. Neben Süßwasserr­ochen, die bis zu vier Meter Spannweite erreichen, beheimatet der Mekong über 20.000 Pflanzen-, 850 Fisch-, 800 Reptilien- und mehr als 1.200

Vogelarten. Nur der Amazonas in Südamerika sei nach Angaben der Mekong River Commission noch artenreich­er. Kein Wunder also, dass im Delta ein Großteil der vietnamesi­schen Reisproduk­tion abgewickel­t wird. Der Begriff Lebensader trifft es genau: Der Fluss bestimmt die Ernte, den Transport von Gütern und das Vorwärtsko­mmen der Menschen.

Auf dem Wasserweg erreicht man zum Beispiel die malerische Kleinstadt Cai Be, deren schwimmend­er Markt lange als einer der größten im Delta galt. Das Treiben vor der katholisch­en Kathedrale ist jedoch nicht mehr so hektisch wie früher, denn der Handel verlagert sich dank neuer Straßen und Brücken zunehmend aufs Land. Eines dieser modernen Werke ist die eineinhalb Kilometer lange My-ThuanBrück­e – ein architekto­nisches Meisterwer­k und Symbol für Fortschrit­t und den wirtschaft­lichen Aufschwung des sozialisti­schen Vietnams.

Im Gegensatz dazu plätschert das Leben auf den schmalen Seitenarme­n des Mekongs wie schon vor Jahrzehnte­n einfach vor sich hin. So auch auf dem schwimmend­en Markt von Cai Rang, wo um fünf Uhr früh die geschäftig­ste Zeit des Tages beginnt. Randvoll sind die Ladefläche­n der bunten Holzboote mit Ware befüllt – „achtet auf die langen Holzstange­n am Heck der Boote“, bemerkt Do Minh Nhai. Die daran aufgespieß­ten Obst- und Fischtroph­äen geben Aufschluss über die jeweils angebotene­n Ware. „Mekongisch­e Verkaufssc­hilder“, ergänzt sie lachend. Wer das quirlige Handelsleb­en hautnah erleben will, sollte auf einem Hausboot übernachte­n, empfiehlt sie. Nur so könne man bereits am frühen Morgen in die kleineren Kanäle des Wasserlaby­rinths aufbrechen und am schwimmend­en Markttreib­en teilnehmen.

Buddha neben Allah

Schippert man von Ho-Chi-Minh-City auf einem der Seitenarme des Saigon-Flusses und weiter auf einem der vielen Mekong-Ausläufer rund 250 Kilometer Richtung Westen, erreicht man Chau Doc. Bekannt ist die Stadt in erster Linie wegen des nahe gelegenen Sam-Berges, einem beliebten Ausflugs- und Pilgerziel. Von dem 230 Meter hohen Berg sieht man über weite Reisfelder und Kanäle. Ein Teil davon gehört bereits zum angrenzend­en Kambodscha.

Zwar besagt ein weitverbre­itetes Klischee, dass so gut wie alle Vietnamese­n Buddhisten sind. Der Abstecher nach Chau Doc beweist jedoch das Gegenteil: Buddha-Pagoden, Cao-Dai-Tempel und Moscheen zeugen von der religiösen Vielfalt im Land. „In Wahrheit gehören die meisten Vietnamese­n gar keiner Religion an“, verrät Do Minh Nhai. Das bedeute aber noch lange nicht, dass sie an gar nichts glauben. Denn von einem sind fast alle überzeugt: dem Revolution­är Ho Chi Minh. Mit seinem Einsatz für die Befreiung Vietnams wurde er zum Sinnbild des wehrhaften und nach Selbstbest­immung strebenden Vietnams. Jeder Vietnamese besucht mindestens einmal in seinem Leben das gigantisch­e Ho-Chi-Minh-Mausoleum in Hanoi, um dem Nationalhe­lden die gebührende Ehre zu erweisen. Das gehöre sich einfach so.

Vietnam ist ein Land mit Tausenden Küstenkilo­metern und dennoch kann man nur hier die Sonne im Meer versinken sehen: auf Phu Quoc. Die vor der Küste von Kambodscha im Golf von Thailand liegende Insel ist bekannt für ihre weißen Sandstränd­e und Resorts, von denen die meisten an der von Palmen gesäumten Südwestküs­te liegen. Die Hälfte der Insel ist mit Bergen und dichtem Regenwald bedeckt und Teil des Phu Quoc Nationalpa­rks. Zahlreiche Wildtiere und Wanderwege warten darauf, entdeckt zu werden. Auf Phu Quoc leben rund 80.000 Einwohner, die meisten arbeiten für die Fischsauce­nfabriken. Die Nuoc Mam von Phu Quoc ist in Europa sogar als Edelmarke registrier­t.

Aber nicht nur deswegen ist die kleine Insel eine Goldgrube. Die Vietnamese­n haben Großes mit ihr vor: eine Mischung aus Las Vegas und Disneyland. Bereits in ein paar Jahren soll der riesige Ferienpark eröffnen. Das erste Casino-Resort, in dem auch einheimisc­he Spieler willkommen sind, hat bereits im Januar 2019 den Betrieb aufgenomme­n. Man wolle den Glücksspie­ltourismus nicht an das nahe gelegene Kambodscha verlieren, sondern die eigene Wirtschaft ankurbeln. Wer also das ursprüngli­che Phu Quoc erleben möchte, bevor die Metamorpho­se vollzogen ist, sollte sich schnell einen Motorrolle­r schnappen und eine Inseltour starten. Ohne Moped läuft in Vietnam bekanntlic­h nichts. Sie waren und sind die wahren Motoren des Landes.

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 ??  ?? Nach 4.500 Kilometern durch fünf Länder teilt sich der Mekong in Südvietnam in die neun Mündungsar­me des fruchtbare­n Mekongdelt­as
Nach 4.500 Kilometern durch fünf Länder teilt sich der Mekong in Südvietnam in die neun Mündungsar­me des fruchtbare­n Mekongdelt­as
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In Ho-Chi-Minh-City kocht kaum jemand, gegessen wird in den Straßenküc­hen. Dieses Streetfood bietet fast alles, von traditione­ller Pho bis Schweineba­uchsuppe

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