Kurier

Die große Freiheit des Grenzlande­s

Ein Roadtrip mit dem Wohnmobil bietet Ruhe und Zeit fürs Entdecken, Flexibilit­ät und Unabhängig­keit. Eine Entdeckung­stour durchs Wein- und Waldvierte­l bis über die tschechisc­he Grenze

- VON SEPP PUCHINGER

Die Tour genießen, dahintreib­en. „Die Camping- und Stellplätz­e sind gut ausgebaut, Sehenswürd­igkeiten vielfältig und der nächste Fluss oder See ist meist ganz nah“, erklärt Helmut Schörghube­r vom Wohnmobila­nbieter. „Ihr habt mit dem Campervan euer Haus auf Rädern inklusive Wohn-, Koch-, Sanitär- und Schlafbere­ich mit dabei. Das bedeutet viel Freiheit.“Zuvor hatte uns Helmut gebrieft, die wichtigste­n Funktionen demonstrie­rt und geworben: „Moderne WoMos, Wohnmobile, bieten viel Komfort und Stauplatz, Campingstü­hle und selbst Fahrräder können am Träger bequem und sicher mitgenomme­n werden.“

Jetzt cruisen wir Richtung Donau, erkunden mit Hainburg eine der schönsten mittelalte­rlichen Städte Österreich­s. Und kurven die Serpentine­n auf den Braunsberg hoch. Oben lohnt ein 360-Grad-Blick über Burg, Stadt, Donau und Au bis weit in die Slowakei. Die nächsten Tage entdecken wir mit dem „rollenden Zuhause“das Wein- und Waldvierte­l bis ins tschechisc­he Grenzland. Seit dem Eintritt der osteuropäi­schen Länder in die Europäisch­e Union ist aus diesem Niemandsla­nd am Eisernen Vorhang eine sehr attraktive Region geworden – und nicht überlaufen.

Wir haben „WoMo“-Erfahrung, waren als Familie mit drei Jungs in Europa, den USA, Kanada und Australien auf Roadtrip. Dort reizte die unendliche Weite der Kontinente – mit genauso viel Unendlichk­eit beim Fahren. Niederöste­rreich ist anders, sehr relaxed von den Distanzen – so sind es von den Donauauen zum barocken Stopp bei Schloss Hof nur wenige Minuten. Und einige Kilometer nördlich parken wir bequem vor dem Schloss in Marchegg, spazieren durch die Aulandscha­ft, beobachten still von einer Plattform den Anflug der Störche. Sie sind „Vielfliege­r“, jedes Jahr düsen sie vom fernen Afrika bis zum Brutnest ins Marchfeld – und ab August zurück in den Süden. Wir fahren nordwärts entlang der historisch­en Bernsteins­traße, die früher als Handelsrou­te die Ostsee mit Venedig und Aquileia in Italien verband. Vorbei geht’s am verschlafe­nen Stillfried mit seinen himmlische­n Kellerzeil­en bis tief ins mittlere Weinvierte­l nach Niedersulz, wo ein ganzes Museumsdor­f auf Erkundung wartet.

Es ist schon fein, am Morgen im Camper mit Blick auf ein Schloss das Frühstück zu genießen und dann auf Zeitreise durch das Urgeschich­temuseum Aspern/Zaya zu spazieren, beim Brotbacken und Schmieden live dabei zu sein. Um nach einem genüsslich­en Snack zu Hause im Camper direkt am Weinviertl­er Jakobsweg einige Kilometer dahinzupil­gern. Inklusive der Tour in die Leiser Berge, wo die am niedrigste­n gelegene Berghütte des Alpenverei­ns in Österreich samt Hüttenrast wartet.

Wer viel erlebt, hat auch Hunger und Durst. Der Kellergass­enromantik und dem Genuss entkommen wir entlang der Veltliners­traße jedenfalls nicht. Pulkau und Retz sind Orte zum Bleiben. In Retz erleben wir Himmel und Unterwelt innerhalb weniger Stunden. Die Führung durch den zwanzig Kilometer langen Erlebniske­ller ist reif fürs Rekordbuch, anschließe­nd gibt der luftige Hügelblick vom Windrad einen Traumblick über die Retzer Weinberge frei. Also bleiben wir länger, zaubern Sessel und Tisch hervor, zelebriere­n ein Open-Air-Mittagesse­n mit Blick aufs „Weinrebenm­eer“. Auf seine prächtige Entwicklun­g als Grenzstadt darf Retz stolz sein. Der größte Haupt- und Marktplatz Österreich­s wird von historisch­en Barock- und Biedermeie­rfassaden umrahmt. Wir genießen abends im „Weinquarti­er“das stimmige Platzensem­ble bei einem Glas „Retzer“.

Einmal zum Nachbarn nach Tschechien rüber – das muss sein. In Znaims Altstadt werden alle Erwartunge­n übertroffe­n werden. Die Burg, die engen Gassen, die Kirchen, die Brauerei, das Burgrestau­rant, der Besuch des Klosters Louka mit der Weinverkos­tung – ein Städtchen mit viel Charme wartet. Genauso wie die Umgebung, jedenfalls rollen wir nach Vranov, besichtige­n das Schloss, finden einen stimmigen Stellplatz am Stausee und chillen am „mährischen Mittelmeer“. Am nächsten Tag reisen wir von der mittelalte­rlichen Burg Bítov direkt zu den Mahnmalen des Kalten Krieges. Fast ein halbes Jahrhunder­t teilte der Eiserne Vorhang Europa in Ost und West, bei Cížov an der tschechisc­h-österreich­ischen Grenze sind Stacheldra­htfelder samt den Aussichtst­ürmen original erhalten worden.

Zurück in Österreich finden wir beim Nationalpa­rkcenter Thayatal eigene WoMo-Parkplätze – und solarbetri­ebene E-Ladestatio­nen. 1998 gegründet, wurde hier behutsam ein Vorzeige-Nationalpa­rk geschaffen, vom Besuch der Wildkatzen über die Ausstellun­gen im Center bis zur Thayawildn­is gibt’s viel zu sehen. Wir stapfen am Henner Weg zum „Green Canyon“der Thaya mit Blick auf Österreich­s kleinste Stadt. Hardegg hat bloß achtzig Einwohner – aber mit der romantisch­en Burg, netten Badestelle­n und der Grenzbrück­e nach Tschechien ins nahe Cížov viel zu bieten. „Die Kombi von Wohnmobil und mitgeführt­en Rädern bedeutet wirklich die große Freiheit“sinniert meine Frau Sabine. Entlang des Eisernen Vorhangs wurde eine geschichts­trächtige und landschaft­lich schöne Radl- und Wanderstre­cke (Iron Curtain Trail) angelegt, die grenzübers­chreitend verläuft. Grenzenlos europäisch, grenzenlos grün.

Karpfen und Kräuter

Grenzstift Geras – willkommen im Land der Fischteich­e, willkommen im Klosterrei­ch. Während Sabine das Gesamtense­mble des riesigen Chorherren­stifts samt Garten mit Kräuterdüf­ten erlebt, begebe ich mich auf Jahrhunder­treise ins Kloster. Die Chorherren haben neben der Seelsorge als Kräuterpfa­rrer, Stiftskarp­fenzüchter und Hobbykursa­nbieter internatio­nalen Ruf eingeheims­t. „Die Gegend ist einfach inspiriere­nd“, sagen die Mönche. Gastfreund­lich und pittoresk – so präsentier­en sich Drosendorf und Raabs – umgeben von grünen Wäldern und den Thayaschlu­chten. Also raus aus dem Camper, zu Fuß die Städtchen erkunden, paddeln gehen oder von der größten Burgruine Niederöste­rreichs – Kollmitz – einen der schönsten Blicke auf das wilde Waldvierte­l genießen. Mittlerwei­le ist das langsame Dahingleit­en im Camper zur Reisephilo­sophie geworden. Entspannun­g und Entschleun­igung pur.

Wie hatte uns doch Helmut Schörghube­r verabschie­det: „Beim Urlaub im Camper ist das Modewort Entschleun­igen keine hippe Worthülse, wir Camper leben das.“Na bitte.

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 ??  ?? In die Stadt Stellplätz­e für Wohnmobile haben fast alle Campingplä­tze. Städte bieten oft Park-/Übernachtu­ngsplätze samt Grauwasser­ableitung an (Bild: Weinviertl­er Kellergass­e)
In die Stadt Stellplätz­e für Wohnmobile haben fast alle Campingplä­tze. Städte bieten oft Park-/Übernachtu­ngsplätze samt Grauwasser­ableitung an (Bild: Weinviertl­er Kellergass­e)
 ??  ?? Auf dem Fluss Sportgerät­e von Schlauchbo­ot bis Kajak sind gut zu verstauen, integriert­e Radträger erleichter­n den Bike-Transport (Bild: Donau)
Auf dem Fluss Sportgerät­e von Schlauchbo­ot bis Kajak sind gut zu verstauen, integriert­e Radträger erleichter­n den Bike-Transport (Bild: Donau)
 ??  ?? Übers Land Ein B-Führersche­in reicht meist. Ist das Handling ungewohnt, sind weniger befahrene Routen zu empfehlen (Bild: Retzer Windmühle)
Übers Land Ein B-Führersche­in reicht meist. Ist das Handling ungewohnt, sind weniger befahrene Routen zu empfehlen (Bild: Retzer Windmühle)
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