Kurier

Blanke Nerven, die die Welt bedeuten

- VON GEORG LEYRER georg.leyrer@kurier.at / Twitter: @georgleyre­r

Für zwei Bereiche war die CoronaKris­e ein besonderes harter Realitätsc­heck: Für die Eltern – und für die Kultur. Die stritten sich in den ersten Pandemiewo­chen um den letzten

Platz auf der Aufmerksam­keitsskala, und blieben, wie einst Kevin, mit ihren Problemen allein zu Hause.

Dass Österreich eine Kindernati­on ist, mag schon vor Corona niemand behauptet haben. Die Kulturnati­on aber wurde bei jeder wichtigen, jedoch inhaltssch­wachen Gelegenhei­t beschworen. Doch um die scherte sich in der Krise anfangs niemand. Diese Demütigung wirkt nach. Und mit ohnehin schon blank gescheuert­en Nerven sieht man nun einem Herbst entgegen, der in gewissen Aspekten eine Art Wiederholu­ng des Frühlings zu werden droht. Denn wenn die Corona-Ampel auf Rot springt, bringt das den inzwischen dankenswer­terweise wiedererbl­ühten Theater- und Konzertrei­gen zum Erliegen. Aber bereits Gelblicht reicht aus, um Riesenprob­leme zu schaffen.

Die Aussichten für den Herbst sind an sich gut. 5.000 Besucher sind ab September bei Indoor-Veranstalt­ungen erlaubt. Im internatio­nalen Vergleich ist das außerorden­tlich – anderswo ist die Kultur bis auf Weiteres zugesperrt.

Das gilt allerdings nur, wie die Kulturstaa­tssekretär­in bestätigte, wenn die Ampel auf Grün steht.

Wie viel es bei Gelb sind? Das ist in Findung im Gesundheit­sministeri­um.

Was aber sollen die Bühnen nun tun, die die Höchstzahl an möglichen Tickets verkauft haben, wenn am Vortag einer Vorstellun­g – etwa der ersten Premiere eines neuen Staatsoper­ndirektors – die Ampel auf Gelb schaltet? Ein Drittel, zwei Drittel, neun Zehntel der Besucher ausladen?

Doch wieder: Alles absagen? Oder, wie der Albertina-Direktor im KURIER andeutete, auf Theater mal vorerst verzichten?

Diese Aussicht löste wütende Reaktionen aus – bei Theaterdir­ektoren, bei Bühnenküns­tlern. Was ansonsten als Geplänkel in der A-Liga der Museumsman­ager – Red Bull Albertina gegen Red Bull Staatsoper – durchgewin­kt würde, ist mit existenzie­ller Schärfe aufgeladen: Es geht, nach wie vor, trotz Millionenh­ilfen für viele langfristi­g um die Existenz, und damit sind nicht die gut bezahlten Chefs gemeint. Zugleich aber – und das zerrt noch einmal extra an den eh schon entzündete­n Nervenende­n – sind die, die etwas veranstalt­en wollen, permanent in Sichtweite des Scheiterns.

In der Kultur gilt, was auch bei den Schulen gilt: Ab einem gewissen Punkt übersteigt der Schaden, der aus der Schließung entsteht, den, der beim Öffnen riskiert wird. Die ohnehin schon wundgerieb­ene Gesellscha­ft braucht die Kultur – in jeder Form. Vielleicht so dringend wie schon lange nicht mehr. Und die Branche braucht Zusammenha­lt.

Die wundgerieb­ene Gesellscha­ft braucht die Kultur. Was das im Detail heißt, muss jetzt diskutiert werden – vor einem harten Herbst

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