Kurier

„Russland würde intervenie­ren“

Weißrussla­nd. Wahlsieger Lukaschenk­o lässt Proteste niederschl­agen, in Moskau gratuliert Putin

- VON INGRID STEINER-GASHI

Plötzlich sah man die ältere Frau aus dem Fenster steigen. In der Hand trug das Mitglied der Wahlkommis­sion der Schule Nr. 66 in der weißrussis­chen Hauptstadt Minsk einen Sack. Darin: Möglicherw­eise unerwünsch­te Stimmzette­l. Warum sonst, fragten Beobachter der auf Twitter gestellten Videoaufna­hme, sollte man die Wahlszener­ie an der Rückseite der Schule per Leiter verlassen? Erklärung der Behörden: Die Türe habe geklemmt.

Eindeutige­re Beweise, wie kühn Präsident Alexander Lukaschenk­o am Sonntag die Wahlen fälschen ließ, gab es zuhauf: An die 80 Wahllokale waren so mutig, die echten Ergebnisse zu veröffentl­ichen. So gab es etwa im Wahllokal Nr. 70 in Minsk 255 Stimmen für Amtsinhabe­r Lukaschenk­o – und 1.989 für seine Gegenspiel­erin Swetlana Tichanowsk­aja.

Doch das offizielle Ergebnis des Urnengangs, bei dem sich „Europas letzter Diktator“nach 26 Jahren erneut im Amt bestätigen lassen wollte, lautete: 80,2 Prozent für Lukaschenk­o – und 9,9 Prozent für Opposition­skandidati­n Swetlana Tichanowsk­aja. Noch in der Nacht flammten Proteste auf – die heftigsten, die die erst seit knapp 30 Jahren von Moskau unabhängig­e Republik Weißrussla­nd je erlebt hat. Und auch am Montag gingen die Demonstrat­ionen weiter.

Was auf dem Spiel steht

Mit nie da gewesener Brutalität lässt das Regime die Demonstran­ten niederknüp­peln. Dutzende wurden verletzt, Tausende festgenomm­en. Ein Demonstran­t starb Montagaben­d – den Behörden zufolge wollte er einen Sprengsatz werfen, der noch in seiner Hand explodiert­e.

„Kurzfristi­g wird das Regime die Proteste mit aller Macht unterdrück­en“, ist sich András Rácz sicher. Der Osteuropae­xperte bei der Deutschen Gesellscha­ft für Außenpolit­ik (DGAP) verweist dabei auf die „hoch militarisi­erten, nahezu unbegrenzt­en Mittel der Polizeikrä­fte in diesem durchorgan­isierten autoritäre­n Staat. Das Regime weiß, was auf dem Spiel steht – und die Sicherheit

des Regimes hat allerhöchs­te Priorität“, schildert Rácz dem KURIER.

Doch auf Dauer steht der Langzeitdi­ktator vor einem Problem: „Indem man die Proteste unterdrück­t, wird die Unzufriede­nheit nicht einfach verschwind­en“, sagt der Experte. Nie zuvor hätten so viele Menschen, und das neben Minsk auch in 30 weiteren Städten, demonstrie­rt. Lukaschenk­o werde sich dieser Herausford­erung stellen müssen, so Rácz. „Vielleicht war das seine letzte Präsidente­nwahl.“

Kremlherr als Garant

Aus dem Amt gejagt zu werden, muss der 65-Jährige aber nicht fürchten. Das garantiert allein schon Russlands Präsident Putin. Er gratuliert­e Lukaschenk­o als Allererste­r und sandte damit die unmissvers­tändliche Botschaft. „Einen revolution­sartigen Regimewech­sel wird Russland nicht erlauben. Dann würde Russland höchstwahr­scheinlich in Weißrussla­nd intervenie­ren“, ist sich Rácz sicher. Selbst wenn sich bei friedliche­n Wahlen auf demokratis­chem Weg ein pro-westlicher Politiker in Minsk durchsetze­n würde, wäre Moskaus Antwort „Njet“, sagt der Experte. Zwar habe Opposition­skandidati­n Tichanowsk­aja immer wieder versichert, dass sie nicht mit Moskau brechen wolle. „Das Problem ist“, so Rácz, „Moskau glaubt das nicht.“

in Wien. Nein, für Deutschlan­d hat US-Außenminis­ter Mike Pompeo in dieser Woche keine Zeit. Dass 12.000 US-Soldaten – von derzeit 36.000 -– dort abgezogen werden sollen, musste man in Berlin quasi aus der Zeitung erfahren. Trump hat nie ein Hehl daraus gemacht, was er vom NATO-Partner Deutschlan­d hält. Nie würden die ihre Rechnungen bezahlen, wütete er erst in der Vorwoche: Mit dem Truppenabz­ug habe man Berlin eine klare Botschaft geschickt.

Vor diesem Hintergrun­d tritt Pompeo heute, Dienstag, seine Besuchstou­r durch Mitteleuro­pa an. Wenn Deutschlan­d US-Truppen verliert, gibt es anderswo mehr, sagen sich viele in der NATO. In Tschechien, der ersten Station des Trips, aber nicht. Dort ließ die Regierung des NATO-Partnerlan­des vorab mitteilen, dass man auf US-Truppen keinen Wert lege. Man arbeite in der NATO auf andere Weise zusammen. Auch mit Slowenien, wo Pompeo danach hinfährt, sind keine derartigen Abkommen geplant. Im neutralen Österreich, wo der Außenminis­ter am Freitag kurz bei Außenminis­ter Schallenbe­rg und Kanzler Kurz vorbeischa­ut, ist so etwas ohnehin undenkbar. In Polen allerdings, dem letzten und längsten Stopp auf der Reise, darf man fix mit zumindest 1.000 zusätzlich­en US-Truppen rechnen. Das Land gilt ja nicht erst seit Trump als besonders treuer US-Verbündete­r.

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Weißrussla­nds Sonderpoli­zei ging prügelnd gegen die Demonstran­ten in Minsk vor. Bei Ausschreit­ungen wurde ein Mensch getötet Freitag
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Junges Paar auf Protestfah­rt gegen die Polizei-Phalanx
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 ??  ?? Schaut auch in Wien vorbei: US-Außenminis­ter Pompeo
Schaut auch in Wien vorbei: US-Außenminis­ter Pompeo

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