Verhunzte neue Normalität
Psychologie. In der Corona-Krise sind uns vertraute Verhaltensmuster abhandengekommen, zum Beispiel die Vorfreude auf den Urlaub oder lange geplante Live-Veranstaltungen
Natürlich haben Menschen in diesen Tagen auch noch ganz andere Sorgen: Weil sie ihre Arbeit verloren haben, weil sie um ihre Arbeit zittern, weil sie in Quarantäne sind. Doch auch jene, die nicht unschuldig in die Bredouille geraten sind, beschleicht derzeit öfters ein flaues Gefühl: Irgendetwas ist jetzt anders, irgendetwas fehlt.
Die Vorfreude etwa. Sie ist nach dem wochenlangen Verordnungsmarathon der Politik und den vorsichtigen Prognosen der Virologen vielen abhandenkommen. Das bestätigt auch die Linzer Psychologin und Psychotherapeutin Christa Schirl.
Keine Karotten
„Wenn Fixpunkte im Leben verschwinden, ist das ein Riesenthema“, erklärt Schirl. Die Vorfreude sei wichtig im Leben des Menschen: „Sie ist die Karotte, die uns zu etwas lockt.“Studien hätten gezeigt, dass sich Personen, die sich auf etwas freuen können, Stress besser verarbeiten können und weniger negative Emotionen erleben. Nicht zufällig heißt es: „Vorfreude ist die schönste Freude.“
Die Freude auf einen lange geplanten Urlaub, eine Theaterpremiere, ein Fußballspiel im Stadion, ein Livekonzert wurde vielfach getrübt: Gestrichene Flüge hier, abgesagte Veranstaltungen dort. Auch schmeckt der griechische Salat zu Hause oder beim Griechen ums Eck nicht annähernd so griechisch wie in der Taverne mit Meerblick. Noch schlimmer ist es wohl, wenden Spaßvögel ein, beim Toast Hawaii.
Dünger aus Müll
Psychologin Christa Schirl bemüht sich jedenfalls, positiv zu denken. Sie dreht jetzt den Spieß um, wenn sie festhält: „Die Vorfreude hindert uns am Leben im Hier und Jetzt.“Sie rät daher auch ihren Klienten: „Wir müssen lernen, uns neue Freuden zu suchen. Wir müssen den Müll, den uns das Leben derzeit gibt, in Dünger umwandeln.“
Wie das gehen soll, erklärt die Oberösterreicherin so: „Wenn der Caipirinha am Strand von Malibu derzeit einfach nicht drinnen ist, dann freue ich mich halt über die Erdbeerbowle im Café Jindrak in der Linzer Herrenstraße. Die schmeckt im Übrigen auch hervorragend.“