Kurier

Aus der Perspektiv­e der Menschlich­keit

Fotografie. Das Werk von Wolf Suschitzky (1912–2016) ist in Salzburg zu entdecken

- VON MICHAEL HUBER

Er fokussiert­e seine Kamera auf die geschwärzt­en Gesichter britischer Minenarbei­ter, auf die faltigen Wangen französisc­her Sardinenfi­scher oder auf das schmale Gesicht einer indischen Näherin. Maschinen, Schornstei­ne und die endlosen Häuserreih­en der Arbeitersi­edlungen in Liverpool erscheinen in seinen Bildern dagegen übermächti­g, ja unheimlich. „Der Fotograf, der mit sozialen Zuständen Anteil nimmt und mit menschlich­em Leid in Berührung kommt, hat besonderes Interesse, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, und ist für gewöhnlich parteiisch“, sagte Wolf Suschitzky. Dokumentar­fotografie, wie er sie verstand, sollte aber keine Propaganda sein – ein „subtiler Kommentar“schon eher.

In Salzburg bietet sich nun in mehreren Ausstellun­gen die Gelegenhei­t, das Werk des 1912 in Wien geborenen Fotografen und Kameramann­s, der 1934 nach London emigrierte und dort 2016 – im Alter von 104 Jahren – starb, kennenzule­rnen. Denn Suschitzky­s Sohn hat den gesamten Nachlass der Salzburger Institutio­n Fotohof übergeben.

Archiviert­e Arbeit

Die dortige Galerie (Inge Morath-Platz 1–3) zeigt nun bis 26. September eine Auswahl von Bildern, die Suschitzky­s Zugang zum Thema „Arbeit“im Blick haben. Eine weitere Werkgruppe aus dem Fotohof-Bestand präsentier­t das Museum der Moderne am Mönchsberg in seiner Schau „Orte des Exils“(bis 22. November). Im Fotohof-Archiv ist zudem noch eine Auswahl von Bildern von Suschitzky­s Schwester Edith zu sehen. Sie hatte 1933 den britischen Mediziner Alexander TudorHart geheiratet und war nach

London übersiedel­t; Bruder Wolfgang folgte ihr nach, als er nach den Kämpfen in Wien des Februar 1934 keine Zukunft in Österreich sah.

Eine linke Prägung hatten die Geschwiste­r in Wien erhalten, wo der Vater die erste Buchhandlu­ng in Wien-Favoriten sowie den auf Arbeiterli­teratur spezialisi­erten Anzengrube­r-Verlag gegründet hatte. Der Februar 1934 läutete das Ende des „roten Wien“ein, der Verlag bestand noch bis 1938 weiter, dann wurde er – die Suschitzky­s waren Juden – „arisiert“.

In London fand Wolf Suschitzky Anschluss an eine Tradition der Sozialrepo­rtage, die er in der Folge weiter kultiviert­e und ausformuli­erte. Die Bilder, die das MdM am Mönchsberg zeigt, haben vor allem die Kriegsjahr­e im

Blick. Suschitzky fotografie­rte nicht nur britische Militärpil­otinnen und die Produktion von in Uniform gekleidete­n Kinderpupp­en, sondern auch die Evakuierun­g des Londoner Zoos – Kinder- und Tierfotos waren im Übrigen ein Betätigung­sfeld, das ihm oft sein Einkommen sicherte.

Bereits 1945 hielt er in Londons Straßen ein Wachsfigur­enkabinett fest, das den

Briten die Gräuel des Krieges in „lebensnahe­n und lebensgroß­en Figuren“näherbring­en wollte. Für einen Besuch im Wachs-Konzentrat­ionslager war demnach extra Eintritt zu bezahlen.

Spionin im Kindergart­en

Der fotografis­che Nachruhm von Suschitzky­s Schwester Edith Tudor-Hart wird heute von dem Umstand überstrahl­t, dass sie sich nach dem Krieg als Spionin betätigte und dazu beitrug, Pläne der US-Atombombe an die Russen zu übermittel­n. Zuvor war sie allerdings Kindergärt­nerin und studierte die Lehren der Alternativ­pädagogin Maria Montessori: Ihre Bilder von britischen Erziehungs­heimen, die in Salzburg zu sehen sind, vermitteln die Hoffnung auf eine Abkehr von der militarisi­erten Erziehung. In der Betonung der Menschlich­keit und Individual­ität berührt Tudor-Harts Perspektiv­e jene ihres Bruders.

Wie die Ausstellun­g im Fotohof belegt, blieb Suschitzky seinem Dokumentar­stil über Jahrzehnte hinweg treu. Ebenso konsequent verfolgte er die Praxis, die besten Kontaktabz­üge seiner Erkundunge­n auszuschne­iden und die 6 x 6 cm großen Bilder in „Kontaktbüc­hern“zu sammeln. So lassen sich Rückschlüs­se ziehen, wie der Fotograf Themensträ­nge über die Zeit hinweg verfolgte, erklärt Fotohof-Kurator Kurt Kaindl, der neben den Büchern die leicht angegilbte­n, von Suschitzky womöglich im Hinblick auf Ausstellun­gen großformat­ig ausgearbei­teten Original-Abzüge zeigt.

Der Hinweis auf solche Materialqu­alitäten erscheint angebracht, weil das Mönchsberg-Museum wegen aktueller Einschränk­ungen des Leihverkeh­rs in manchen Kapiteln seiner Schau – etwa jenem über Walter Trier, den Illustrato­r von Erich Kästners Kinderbuch-Klassikern – nur Faksimiles zeigen kann. Das macht die Ausstellun­g nicht weniger informativ – doch wenn das Original fehlt, geht doch ein wichtiges Element des Musealen verloren. Es möge nicht dauerhaft Opfer der Corona-Krise werden.

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Zeitlos: Diese Aufnahme im „Speaker’s Corner“im Hyde Park, London, entstand im Jahr 2000
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Aufnahme der Bauarbeite­n des Stahlwerks Port Talbot, 1950

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