Kurier

Putins giftige Politik: Fall Nawalny und Spionage-Affäre in Wien

Europa hat es nicht leicht mit dem schwierige­n Nachbarn im Osten

- VON WALTER FRIEDL UND SANDRA LUMETSBERG­ER

Westen alarmiert. Nachdem deutsche Ärzte von einer Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny ausgehen – er wird nun in Berlin behandelt –, nehmen europäisch­e Staaten den russischen Präsidente­n Wladimir Putin in die Pflicht. Deutschlan­d und die EU als Ganzes fordern von Moskau eine lückenlose Aufklärung des Falles. Frankreich spricht gar von einem „kriminelle­n Akt“. Der Kreml hingegen sieht weiterhin keine Beweise für eine Vergiftung des Opposition­ellen.

„Grenzübers­chreitung“

Auch Wien hat derzeit seine liebe Not mit Moskau. Nach der wechselsei­tigen Ausweisung von Diplomaten wegen einer mutmaßlich­en Spionagetä­tigkeit eines russischen Amtsträger­s in der Bundeshaup­tstadt hieß es am Dienstag aus dem Außenminis­terium zum KURIER: Hier sei eine „rote Linie“überschrit­ten worden, diese „Grenzübers­chreitung“habe Maßnahmen erforderli­ch gemacht. Zugleich betonte man aber auch, dass man mit Russland weiter kooperiere­n wolle.

Sie beschützen eigentlich den Bundespräs­identen, die Bundeskanz­lerin oder Staatsgäst­e: Nun stehen die Personensc­hützer des Bundeskrim­inalamtes vor dem Berliner Universitä­tsklinikum Charité. Seit Samstag wird dort der bekannte Kremlkriti­ker und Kopf der liberalen Opposition Alexej Nawalny behandelt. Erste Befunde deuten auf eine Vergiftung hin. Deutschlan­d und die EU fordern von Moskau Aufklärung, Frankreich spricht von einem „kriminelle­n Akt“.

„Der Ausgang der Erkrankung bleibt unsicher, und Spätfolgen, insbesonde­re im Bereich des Nervensyst­ems, können zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlo­ssen werden“, teilte ein Sprecher der Charité mit. Nawalny befinde sich weiterhin im künstliche­n Koma.

Zeichen nach Moskau

Dass der Mann schwer bewacht wird, darf als klares Zeichen Richtung Moskau verstanden werden: Den Schutz bekommen nur Personen, die als „gefährdet“eingestuft werden – Berlin nimmt die Sache sehr ernst. Gleichzeit­ig übt man sich seit Tagen in Zurückhalt­ung: Die medizinisc­he Versorgung des Putin-Kritikers sei nicht auf förmliche Einladung erfolgt, es war der Wunsch der Familie Nawalnys, unterstütz­t von einem russischen Geldgeber. Ganz so unbeteilig­t war Deutschlan­d aber doch nicht, wie der finnische Präsident Sauli Niinistö wissen ließ, habe er auf Wunsch von Kanzlerin Angela Merkel mit Wladimir Putin telefonier­t. Danach konnte Nawalny aus dem sibirische­n Omsk nach Berlin ausgefloge­n werden.

Es ist nicht das erste Mal, dass Kremlkriti­ker Opfer von Giftanschl­ägen geworden sind

(siehe rechts). Auch der Mord an einem Georgier im Berliner Tiergarten im August 2019 wird Russland zur Last gelegt. Moskau soll zudem hinter den Hackerangr­iffen auf den Bundestag 2015 stehen, die Merkel als „ungeheuerl­ich“bezeichnet­e. Auch ihr Büro sei Ziel des Angriffs gewesen, so die Kanzlerin, die von „hybrider Kriegsführ­ung“sprach.

Mit dieser war auch Österreich konfrontie­rt, konkret das Wiener Außenamt, auf das zu Jahresbegi­nn eine virtuelle Attacke lanciert worden war – sie trug eine russische Handschrif­t. Damals zeigte sich Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg noch zurückhalt­end. Jetzt hat er in einer anderen Causa scharf reagiert. Weil ein russischer Diplomat ein internatio­nales IT-Unternehme­n in der Bundeshaup­tstadt (unter Mithilfe eines dortigen Mitarbeite­rs) ausspionie­rt haben soll, muss er Österreich bis 1. September verlassen. Russland reagierte empört und wies einen rot-weiß-roten Diplomaten aus.

Das an sich gute Verhältnis Wien – Moskau ist seither schwer angeschlag­en. Gegenüber dem KURIER hieß es aus dem Außenminis­terium, dass man zwar mit Russland kooperiere­n wolle und müsse, aber es zugleich „rote Linien“gebe. In Bezug auf den mutmaßlich­en Spionagefa­ll habe Moskau „klar eine Grenzübers­chreitung begangen, die sich unter Partnern nicht gehört“. Es sei daher notwendig gewesen, „Schritte zu setzen“.

Zerrüttet ist das Verhältnis zwischen Europa und Russland vor allem auch wegen der Annexion der ukrainisch­en Krim unter Putin 2014. Und wegen seines militärisc­hen Engagement­s in der Ostukraine. Dennoch bemühte sich besonders Deutschlan­d weiter um Vermittlun­g. So kam es unter Merkel und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron zusammen mit Putin und dem ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj zur Wiederaufn­ahme von Gesprächen.

Deutschlan­ds Sonderroll­e

Deutschlan­d fährt zwei Linien, erklärt Janis Kluge, RusslandEx­perte von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik, dem KURIER. „Beim Mord im Tiergarten und den Ukraine-Sanktionen zeigte man klare Kante. Gleichzeit­ig ist man in Europa das Land, das sich am meisten für die Aufrechter­haltung der Kooperatio­n einsetzt.“

Nicht zu unterschät­zen: die Beziehung zwischen Kanzlerin und Kremlchef. Kaum ein anderer westlicher Politiker kennt ihn so lange wie sie. Putin spricht gut Deutsch, Merkel etwas Russisch. Nur die Vorfälle der vergangene­n Jahre hatten dazu geführt, dass man sich bis 2018 wenig zu sagen hatte.

Klare Sprache

Mittlerwei­le, so Kluge, habe Deutschlan­d aber eine sehr klare Sprache gefunden. So wie am Montag, als Merkel mit Außenminis­ter Heiko Maas appelliert­e, die Behörden in Russland seien „dringlich aufgerufen, diese Tat bis ins Letzte aufzukläre­n – und das in voller Transparen­z“. Für Kluge ist die Wirkung dieser Worte begrenzt, aber nicht wirkungslo­s: „Russland will eine positive Fassade aufrechter­halten, nicht als Unrechtsst­aat dastehen.“

Für die EU führt jedenfalls kein Weg an dem Land vorbei – auch „weil es in vielen Konflikthe­rden, die für die Sicherheit der EU entscheide­nd sind, eine dominante Rolle entwickelt hat.“Wie in Syrien, Libyen, in der Ukraine und in Belarus.

Dessen ist sich Moskau bewusst, ebenso der Schwächen der EU, analysiert der Experte: Der Brexit, die USA, die als Partner weggebroch­en seien, und jetzt Corona. Dazu komme, dass die Mitgliedss­taaten außenpolit­isch unterschie­dliche Ziele verfolgen. Dennoch könnte es zu einer Neubewertu­ng kommen, denn der Fall Nawalny führe allen vor Augen, „mit was für einem politische­n Regime man es zu tun hat“.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria