Kurier

Genie und Junkie – eine Kultfigur des Modern Jazz

Ein großer Pionier. Zum 100. Geburtstag von Charlie „Bird“Parker

- VON WERNER ROSENBERGE­R

„Man kann die Geschichte des Jazz in vier Wörtern erzählen: Louis Armstrong, Charlie Parker“, sagte Miles Davis. Als der wegen seiner solistisch­en Höhenflüge von seinen Fans liebevoll „Bird“genannte Altsaxofon­ist in den 40er-Jahren die New Yorker Szene betrat, mutierte die Tanz- und Unterhaltu­ngsmusik der Swing-Ära zu einer virtuosen, konzertant­en Kunstform.

Charlie Parker aus Kansas City wäre am 29. August 100 Jahre alt geworden. Er gilt mit dem Trompeter Dizzy Gillespie als Erfinder einer neuen Tonsprache – des Bebop – und Wegbereite­r des Modern Jazz.

1945 bis 1948, als Gillespie den großorches­tralen Bebop durchsetzt, entstehen in kleiner Besetzung für die Label Savoy und Dial bahnbreche­nde Aufnahmen, u. a. mit Parker-Kompositio­nen wie „Koko“, „Parker’s Mood“, „Now’s The Time“und „Moose The Mooche“.

Bei der Wahl der Sidemen zeigt der Bandleader ein G’spür für Talente wie John Lewis, den späteren Leiter des Modern Jazz Quartet. Der junge Trompeter Miles Davis kontrastie­rt betont „cool“das quirlige Spiel seines Entdeckers, und Bud Powell überträgt Parkers Innovation­en auf das Klavier.

Der Zeit weit voraus

Als Musiker ein Genie, das durch sein intensives Spiel, unruhige Rhythmen, innovative Harmonik und schnelle Tempi den Jazz auf den Kopf stellte, ist Parker zugleich eine tragische Figur:

Am 12. März 1955 stirbt er nur wenige Tage nach seinem letzten Auftritt im nach ihm benannten Jazzclub „Birdland“in der New Yorker Suite der reichen Jazzmäzeni­n Pannonica de Koenigswar­ter mit nur 34 an den Folgen seiner jahrelange­n Heroinsuch­t.

Der Arzt diagnostiz­iert Leberzirrh­ose, Magendurch­bruch, Herzinfark­t und Lungenentz­ündung und schätzt das Alter des Toten auf 55 Jahre.

Bis in die 1980er-Jahre sah man an vielen Häuserwänd­en im Big Apple ein Graffito: „Bird lives“.

Stücke wie „Ornitholog­y“, „Yardbird Suite“, „Billie’s Bounce“, „Donna Lee“oder „Salt Peanuts“entfalten eine Sogwirkung, der man sich bis heute kaum entziehen kann. Am offensicht­lichsten ist sein Wirkung auf Altsaxofon­isten späterer Stile wie Lee Konitz im Cool Jazz, Cannonball Adderley im Hardbop oder Ornette Coleman im Free Jazz.

Der Schriftste­ller Julio Cortázar ließ sich von Parker zu einer Erzählung inspiriere­n. Und die Liebe zum Jazz ließ Clint Eastwood Parkers Lebensgesc­hichte mit Forest Whitaker 1988 verfilmen.

Flirt mit Klassik und Pop

„Charlie Parker with Strings“(1949/’50) sind lyrische Aufnahmen: populäre Melodien der Zeit wie „April in Paris“, „Summertime“, „I’m In The Mood For Love“und weitere Musical- und Filmschlag­er (am 30. 8., 21 Uhr, Ö1). Von Jazz-Puristen kritisiert, waren die Schallplat­ten zu Parkers Lebzeit Verkaufshi­ts.

Unter dem Motto „Bird 100“ist aktuell die Box „5 Original Albums“(Verve/ Universal) mit wegweisend­em Aufnahmen in unterschie­dlichen Besetzunge­n von 1946 bis 1955 erschienen, remastered und klangtechn­isch aufgepeppt; außerdem „Jazz At Midnite“(Blue Note/Universal) mit zwei Livekonzer­ten von 1952 und ’53 in Washington. „Bird in LA“versammelt auf 2 CDs teils Unveröffen­tlichtes aus den 40ern und 50ern. Und genau diese spektakulä­re Phase thematisie­rt auch die Graphic Novel „Chasin’ The Bird“(Verlag Z2 Comics).

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In 15 Jahren revolution­ierte Charlie „Bird“Parker den Jazz und wurde für nachfolgen­de Generation­en zum Mythos

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