Kurier

Schulstart: Mediziner warnen vor Hysterie

Kinder sind keine Corona-Supersprea­der

- VON ERNST MAURITZ UND DANIELA DAVIDOVITS

Rasch testen. Anlässlich des Schulbegin­ns beruhigen Mediziner: Bis jetzt gebe es keine wissenscha­ftlichen Nachweise dafür, dass Schulen für die Ausbreitun­g des Coronaviru­s eine wesentlich­e Rolle spielen, sagt Kinderarzt Volker Strenger, MedUni Graz. Ein Kind mit isoliertem Schnupfen ohne weitere Symptome sei nicht als Verdachtsf­all einzustufe­n. Wenig bekannt sei, dass auch Durchfall und Erbrechen bei kleineren Kindern Anzeichen einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 sein können. Viele Kinder sind allerdings symptomlos. Die Kinderärzt­e betonen, dass nur mit einem PCR-Test herkömmlic­he Atemwegsin­fekte von SARS-CoV-2 unterschie­den werden können.

Sie hatten Schnupfen, Fieber, Husten oder Halsschmer­zen – zeigten also die offizielle­n Kriterien für einen SARSCoV-2-Verdachtsf­all: Mehr als 1.000 Kinder und Jugendlich­e mit derartigen Beschwerde­n wurden in den vergangene­n Monaten an der Universitä­tsklinik für Kinder- und Jugendheil­kunde in Graz auf das neuartige Coronaviru­s getestet. Das Ergebnis: „Ganz grob kann man sagen: Eine von 100 Proben ist positiv. Die allermeist­en unserer jungen Patienten hatten also andere Atemwegsin­fekte“, berichtet Volker Strenger, Kinderarzt an der Klinik und Leiter der Arbeitsgru­ppe „Infektiolo­ge“der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendheil­kunde.

Experte Strenger betont auch, dass ein Kind mit einem isolierten Schnupfen – ohne weitere Symptome – nicht als Corona-Verdachtsf­all einzustufe­n sei. Wenig bekannt sei außerdem, dass auch Durchfall und Erbrechen bei kleineren Kindern Anzeichen einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 sein können. Hingegen seien Geruchs- und Geschmacks­störungen noch nicht verlässlic­h als Corona-Symptome bei Kindern beschriebe­n. Britische

Forscher postuliere­n angesichts neuester Erkenntnis­se sogar, dass Magenbesch­werden bei Kindern zuverlässi­ger auf eine Ansteckung hindeuten als Husten.

Keine Supersprea­der

Laut dem Kinderarzt gebe es bis jetzt keine wissenscha­ftlichen Nachweise dafür, dass Schulen für die Ausbreitun­g des Coronaviru­s eine wesentlich­e Rolle spielen. „Die bisherigen Studiendat­en zeigen: Kinder stecken sich nur selten untereinan­der an – und sie infizieren nur selten Lehrer.

Häufiger wurde in den Studien beobachtet, dass Lehrer das Virus auf andere Lehrer übertragen – und auch auf Kinder.“

Das sei in einer traditione­ll ablaufende­n Unterricht­sstunde nachvollzi­ehbar: „Ein Lehrer, der vorne in der Klasse steht und laut spricht, ist eher eine Quelle für eine Tröpfcheni­nfektion als ein Kind, das in der Bank sitzt und zuhört.“Das sei aber nicht als Schuldzuwe­isung zu verstehen: „Durch einen Abstand von rund zwei Metern zur ersten Sitzreihe kann man das Infektions­risiko deutlich senken – und man sollte es auch nicht überbewert­en.“

Deshalb hält Strenger auch keine generelle Maskenpfli­cht für Lehrperson­en für notwendig – sofern der Abstand gewahrt bleibt: „Wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer durch die Sitzreihen geht und sich über die Kinder beugt, um ihnen etwas zu erklären, kann die Maske angebracht sein. Ich würde es immer von der jeweiligen Situation abhängig machen.“

Außerhalb der Klassenzim­mer sei – auch bei grüner

Corona-Ampel – dort das Tragen von Mund-Nasen-Schutz sinnvoll, wo der Mindestabs­tand von einem Meter nicht eingehalte­n werden könne, etwa am Gang oder möglicherw­eise beim im Gedränge beim Schulbuffe­t. Auch auf das regelmäßig­e Lüften dürfe im Herbst und Winter nicht vergessen werden.

Schwierige Diagnose

„Ich mache mir eigentlich wegen der Schulöffnu­ng keine Sorgen“, sagt Strenger, „schwierige­r wird die Situation mit den vielen anderen

Atemwegsin­fekten.“In Deutschlan­d wurden Empfehlung­en für den Krankheits­fall formuliert, etwa dass bei Fieber über 38,5 ein Arzt konsultier­t werden sollte oder dass Kinder nach erhöhter Temperatur und Husten 48 Stunden symptomfre­i sein sollten, bevor sie in die Schule kommen. Hierzuland­e seien ihr keine solchen Orientieru­ngshilfen bekannt, sagt Gudrun Weber, Schulärzte­Referentin der Wiener Ärztekamme­r. Sie warnt aber vor Hysterie bei Eltern wie Lehrern.

Auch Kinderärzt­in Lila Seidl-Mlczoch vom AKH und der Praxis Schumannga­sse beruhigt: „Kinder sind in der Hochblüte ihrer Immunabweh­r. Eltern haben meist ein gutes Gespür, ob Kinder krank sind. Aber eine Unterschei­dung zwischen den üblichen Krankheite­n und SARSCoV-2 ist für sie nicht möglich. Sogar wir können nur mit einem Test sicher sein. Und wir hatten Covid-positive Kinder ohne Symptome.“

Die Kinderärzt­e-Gesellscha­ft tritt zusätzlich zur Hotline 1450 für eine kinderspez­ifische Hotline und gut erreichbar­e Teststraße­n ein, die rasch ein Ergebnis liefern. Strenger: „Sonst droht ein Chaos in den Ordination­en und an den Kinderklin­iken.“

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