Schulstart: Mediziner warnen vor Hysterie
Kinder sind keine Corona-Superspreader
Rasch testen. Anlässlich des Schulbeginns beruhigen Mediziner: Bis jetzt gebe es keine wissenschaftlichen Nachweise dafür, dass Schulen für die Ausbreitung des Coronavirus eine wesentliche Rolle spielen, sagt Kinderarzt Volker Strenger, MedUni Graz. Ein Kind mit isoliertem Schnupfen ohne weitere Symptome sei nicht als Verdachtsfall einzustufen. Wenig bekannt sei, dass auch Durchfall und Erbrechen bei kleineren Kindern Anzeichen einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 sein können. Viele Kinder sind allerdings symptomlos. Die Kinderärzte betonen, dass nur mit einem PCR-Test herkömmliche Atemwegsinfekte von SARS-CoV-2 unterschieden werden können.
Sie hatten Schnupfen, Fieber, Husten oder Halsschmerzen – zeigten also die offiziellen Kriterien für einen SARSCoV-2-Verdachtsfall: Mehr als 1.000 Kinder und Jugendliche mit derartigen Beschwerden wurden in den vergangenen Monaten an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Graz auf das neuartige Coronavirus getestet. Das Ergebnis: „Ganz grob kann man sagen: Eine von 100 Proben ist positiv. Die allermeisten unserer jungen Patienten hatten also andere Atemwegsinfekte“, berichtet Volker Strenger, Kinderarzt an der Klinik und Leiter der Arbeitsgruppe „Infektiologe“der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde.
Experte Strenger betont auch, dass ein Kind mit einem isolierten Schnupfen – ohne weitere Symptome – nicht als Corona-Verdachtsfall einzustufen sei. Wenig bekannt sei außerdem, dass auch Durchfall und Erbrechen bei kleineren Kindern Anzeichen einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 sein können. Hingegen seien Geruchs- und Geschmacksstörungen noch nicht verlässlich als Corona-Symptome bei Kindern beschrieben. Britische
Forscher postulieren angesichts neuester Erkenntnisse sogar, dass Magenbeschwerden bei Kindern zuverlässiger auf eine Ansteckung hindeuten als Husten.
Keine Superspreader
Laut dem Kinderarzt gebe es bis jetzt keine wissenschaftlichen Nachweise dafür, dass Schulen für die Ausbreitung des Coronavirus eine wesentliche Rolle spielen. „Die bisherigen Studiendaten zeigen: Kinder stecken sich nur selten untereinander an – und sie infizieren nur selten Lehrer.
Häufiger wurde in den Studien beobachtet, dass Lehrer das Virus auf andere Lehrer übertragen – und auch auf Kinder.“
Das sei in einer traditionell ablaufenden Unterrichtsstunde nachvollziehbar: „Ein Lehrer, der vorne in der Klasse steht und laut spricht, ist eher eine Quelle für eine Tröpfcheninfektion als ein Kind, das in der Bank sitzt und zuhört.“Das sei aber nicht als Schuldzuweisung zu verstehen: „Durch einen Abstand von rund zwei Metern zur ersten Sitzreihe kann man das Infektionsrisiko deutlich senken – und man sollte es auch nicht überbewerten.“
Deshalb hält Strenger auch keine generelle Maskenpflicht für Lehrpersonen für notwendig – sofern der Abstand gewahrt bleibt: „Wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer durch die Sitzreihen geht und sich über die Kinder beugt, um ihnen etwas zu erklären, kann die Maske angebracht sein. Ich würde es immer von der jeweiligen Situation abhängig machen.“
Außerhalb der Klassenzimmer sei – auch bei grüner
Corona-Ampel – dort das Tragen von Mund-Nasen-Schutz sinnvoll, wo der Mindestabstand von einem Meter nicht eingehalten werden könne, etwa am Gang oder möglicherweise beim im Gedränge beim Schulbuffet. Auch auf das regelmäßige Lüften dürfe im Herbst und Winter nicht vergessen werden.
Schwierige Diagnose
„Ich mache mir eigentlich wegen der Schulöffnung keine Sorgen“, sagt Strenger, „schwieriger wird die Situation mit den vielen anderen
Atemwegsinfekten.“In Deutschland wurden Empfehlungen für den Krankheitsfall formuliert, etwa dass bei Fieber über 38,5 ein Arzt konsultiert werden sollte oder dass Kinder nach erhöhter Temperatur und Husten 48 Stunden symptomfrei sein sollten, bevor sie in die Schule kommen. Hierzulande seien ihr keine solchen Orientierungshilfen bekannt, sagt Gudrun Weber, SchulärzteReferentin der Wiener Ärztekammer. Sie warnt aber vor Hysterie bei Eltern wie Lehrern.
Auch Kinderärztin Lila Seidl-Mlczoch vom AKH und der Praxis Schumanngasse beruhigt: „Kinder sind in der Hochblüte ihrer Immunabwehr. Eltern haben meist ein gutes Gespür, ob Kinder krank sind. Aber eine Unterscheidung zwischen den üblichen Krankheiten und SARSCoV-2 ist für sie nicht möglich. Sogar wir können nur mit einem Test sicher sein. Und wir hatten Covid-positive Kinder ohne Symptome.“
Die Kinderärzte-Gesellschaft tritt zusätzlich zur Hotline 1450 für eine kinderspezifische Hotline und gut erreichbare Teststraßen ein, die rasch ein Ergebnis liefern. Strenger: „Sonst droht ein Chaos in den Ordinationen und an den Kinderkliniken.“