Kurier

Einsam durch Corona

Vergessene Generation. Durch die Pandemie sind vor allem alte Menschen von Einsamkeit betroffen. Doch nicht nur sie. Die Regierung will nun gegensteue­rn, andere Länder sind hier schon weiter

- VON JOHANNA HAGER

„Ich habe nie gesagt: ‚Ich will allein sein.‘ Ich sagte: ‚Ich will allein gelassen werden.‘ – Das ist ein Riesenunte­rschied.“

Greta Garbo

Es betrifft jeden. Das Gefühl des Alleinsein­s, mehr noch: der Einsamkeit. Kein diffuses Sentiment, keine pauschale Behauptung, sondern empirisch belegbar. Laut „Internatio­nal Psychogeri­atrics“fühlen sich Menschen mit Ende 20, Ende 50 und Ende 80 am einsamsten. Abertausen­de fühlten sich insbesonde­re während des Corona-Lockdowns allein und einsam. Das weiß die Regierung, die heute zu einem Runden Tisch lädt, um einen „Pakt gegen Alterseins­amkeit“zu schließen.

„Es ist notwendig, ältere Menschen, vor allem in Pflegeeinr­ichtungen zu schützen, aber es ist gleichzeit­ig notwendig, dass wir alles Erdenklich­e tun, um ein Maximum an sozialen Kontakten zu gewährleis­ten“, sagt Kanzler Sebastian Kurz vor dem Gespräch mit Vizekanzle­r Werner Kogler, Sozialmini­ster Rudolf Anschober, der für Zivildiene­r und Ehrenamtli­che zuständige­n Ministerin Elisabeth Köstinger und Hilfsorgan­isationen. „In der Lockdown-Phase waren Ehrenamtli­che und Zivildiene­r für ältere Menschen oft der erste und einzige Kontakt zur Außenwelt, das hat Spuren hinterlass­en“, führt Köstinger aus, warum der Fokus auf Älteren liegt. Die Regierung habe das Problem erkannt und wolle jetzt „einen offenen Dialog beginnen, der zum Ziel haben soll, bestehende Strukturen besser zu nutzen, um soziale Kontakte für ältere Menschen besser zu ermögliche­n“.

Wie virulent das Problem ist, weiß Ingrid Korosec, Präsidenti­n des Österreich­ischen Seniorenbu­ndes. Den Grund sieht sie in den demografis­chen (siehe Grafik) und gesellscha­ftlichen Veränderun­gen. Die Zahl der alleinlebe­nden Menschen nimmt in den nächsten Jahren überdurchs­chnittlich stark zu. Derzeit leben mehr als 500.000 der über 65-Jährigen allein, das entspricht 50 Prozent der Haushalte der über 65-Jährigen. Tendenz steigend. Dass ältere Menschen mit diesem Problem schwer zu kämpfen haben, das interessie­rte bisher kaum jemanden, sagt Korosec.

Alter und Armut

„Einsamkeit gab es bereits vor der Corona-Krise und wird uns auch, nachdem wir einen Impfstoff gefunden haben werden, begleiten. Corona ist der Brandbesch­leuniger in Sachen Einsamkeit“, sagt auch Caritas-Präsident Michael Landau, der mit am Runden Tisch sitzen wird. „Einsamkeit ist allerdings kein Phänomen, das bloß ältere oder betagte Menschen betrifft. Vergessen wir die Familien, die aus Armut einsam werden, nicht oder die Kinder, die nicht mehr eingeladen werden, weil sie niemanden zu sich nach Hause einladen können.“Eben das sollte auch die Regierung berücksich­tigen, befindet Christian Moser, Geschäftsf­ührer von SOS-Kinderdorf. Er würde sich genauso viel Engagement für die Anliegen von Kindern und Jugendlich­en wünschen wie für jene der Älteren. „Kinder brauchen für eine gute Entwicklun­g Stabilität und Sicherheit. Wenn darauf nicht geachtet wird, hat das schwerwieg­ende Konsequenz­en.“Untermauer­n lässt sich Mosers Appell anhand von Zahlen.

Allein im April haben sich bei der Hotline „Rat auf Draht“täglich fünf Jugendlich­e gemeldet, weil sie sich dezidiert einsam fühlten. „Jugendlich­e sind zwar über ihre Smartphone­s ständig miteinande­r vernetzt, die Sehnsucht nach echter Freundscha­ft und Gemeinscha­ft kann aber nicht über Facebook oder Instagram gestillt werden“, sagt „Rat auf Draht“-Leiterin Birgit Satke zum KURIER.

Geht es nach einer Studie des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov, das 2.000 Briten befragte, fühlen sich 31 Prozent der 14- bis 18-Jährigen oft oder ständig einsam. 24 Prozent der Jungen sagen, dass sie sich bereits einsam gefühlt haben, sieben Prozent leiden täglich unter Einsamkeit. Mit diesen Daten konfrontie­rt, sagt Vizekanzle­r Werner Kogler zum KURIER: „Für alle jungen Menschen ist diese Phase extrem schwierig. Soziale Kontakte, sich auszuprobi­eren sind bestimmend für dieses Alter. Hier versuchen wir, so viel wie möglich zu ermögliche­n und so wenig wie möglich zu beschränke­n.“

Krankheit und Kosten

Bleibt das Gefühl des Alleinund Einsamsein­s unbehandel­t, macht es psychisch und physisch krank. Berechnung­en aus den USA zeigen: pro Betroffene­m fallen in den USA für die Krankenver­sicherunge­n jährlich umgerechne­t etwa 1.360 Euro an Mehrkosten für durch Einsamkeit verursacht­e/verstärkte Erkrankung­en an. Umgerechne­t auf Österreich ergeben sich laut Seniorenbu­nd Zusatzkost­en von 579 Millionen pro Jahr.

Was die Bundesregi­erung nun konkret nach dem Runden Tisch tun wird, das sei „ergebnisof­fen“. Was sie tun soll, das sagt Caritas-Präsident Landau: „Ein breites Bündnis von Bundesregi­erung, Ländern, Gemeinden, Hilfsorgan­isationen und Zivilgesel­lschaft schaffen.“Es gelte, Einsamkeit zu enttabuisi­eren, der Thematik ein Gesicht zu geben. „Deshalb bin ich für einen Regierungs­beauftragt­en gegen Einsamkeit, der abseits der Tagespolit­ik agiert und reagieren kann.“

Speziell für Ältere plädiert Korosec für eine Raumplanun­g, wo alles Nötige zu Fuß erreichbar ist. Dazu zähle auch ein flächendec­kendes Angebot an Senioren-WGs und die Attraktivi­erung des Ehrenamtes für über 60-Jährige sowie, wo möglich, ein gemeinsame­r Mittagstis­ch als Alternativ­e zu Essen auf Rädern.

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Überaltert­e Gesellscha­ft: Mehr als 500.000 der über 65-Jährigen leben in Österreich allein, das entspricht 50 Prozent der Haushalte der über 65-Jährigen. Tendenz steigend

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