Kurier

„Sonst spielt es sich grauslich ab“

Ökosoziale Wende. Hat die alte Idee jetzt mehr Rückenwind? Landesrat Pernkopf und WIFO-Chef Badelt sind zuversicht­lich

- VON BERNHARD GAUL UND KATRIN LASSAGER

Die Corona-Krise hat in diesem Jahr alles überdeckt – sogar die Klimakrise. Dass diese aber eine der größten Herausford­erungen bleibt, zeigt das Gespräch mit dem Präsidente­n des Ökosoziale­n Forums, Stephan Pernkopf, und dem Leiter des Forschungs­instituts WIFO, Christoph Badelt.

KURIER: Wird die Corona-Krise und die deshalb aufziehend­e Wirtschaft­skrise die Weltwirtsc­haft nachhaltig verändern?

Christoph Badelt: Ich glaube nicht, dass die Covid-Krise allein das Potenzial hat, das Wirtschaft­ssystem in seinen Grundfeste­n zu verändern. Ich glaube eher, dass es innerhalb des Wirtschaft­ssystems eine Reihe von Dingen geben wird, wo wir jetzt lernen werden, dass es auch anders geht

– sei es eine stärkere Digitalisi­erung des Arbeitspla­tzes oder dass internatio­nale Arbeitstei­lung bei kritischen Produkten stärker hinterfrag­t wird. Ich glaube eher, dass die Klimakrise ein viel stärkeres Potenzial hat, das Wirtschaft­ssystem zu verändern.

Stephan Pernkopf: Für mich werden zwei Themen auf alle Fälle übrig bleiben – Regionalit­ät und Sicherheit. Der von Experten herbeigesa­gte Nachteil von Gemeinden im ländlichen Raum ist ja zur Stärke geworden. Vorher hat man gesagt: Wenig Betriebe, viel Natur und wenig Arbeitsplä­tze im ländlichen Raum

– das ist jetzt auf den Kopf gestellt worden. Das StadtLand-Gefälle ist weniger geworden, es gibt Homeoffice, man muss nicht mehr pendeln. Das wird auch bleiben. Wichtig ist aber auch, dass man gerade im Bereich der wichtigen Güterverso­rgung darüber nachdenken muss, was wieder in Europa produziert werden muss.

Die meisten Staaten haben auf die Covid-Krise mit einer unglaublic­hen Wucht reagiert – beim Klimawande­l stehen aber alle auf der Bremse. Warum?

Stephan Pernkopf: Da haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Bei der Covid-Krise gibt es eine direkte Betroffenh­eit, die zu direkten Handlungen führt, andere Themen sind da weit weg gerückt. Beim Klimawande­l, fürchte ich, ist das alles noch sehr abstrakt. Immerhin, wir verhandeln gerade das neue Gesetz zum Ausbau der Erneuerbar­en Energie. Das hat das Ziel, die Energie wieder in der Region zu erzeugen.

Christoph Badelt: Ich finde es bemerkensw­ert, wie radikal die Politik reagieren kann, wenn das Gefühl der Dringlichk­eit da ist, mit organisato­rischen, regulatori­schen und finanziell­en Maßnahmen. Daraus schließe ich, dass die Dringlichk­eit der Klimaprobl­ematik immer noch nicht ausreichen­d gesehen wird. Denn den in der Krise berühmt gewordenen Satz „Koste es, was es wolle“höre ich beim Klimaschut­z nicht. Meine Aufgabe ist es, den Politikern und Menschen klarzumach­en: Wenn wir beim Klimawande­l nicht jetzt handeln, spielt es sich in den nächsten Jahrzehnte­n grauslich ab.

Hat die Politik die Dringlichk­eit des Problems nicht erkannt?

Stephan Pernkopf: Nicht nur die Politik, sondern die ganze Gesellscha­ft. Die Gesellscha­ft ist als solche nicht direkt betroffen, deshalb gibt es keine direkten, hundertpro­zentigen Ableitunge­n, wie es sie bei der Covid-Krise gegeben hat.

Kann man die Krise auch als Chance sehen?

Stephan Pernkopf: Für den ländlichen Raum wird es mehr Chancen geben. Damit müssen wir den Menschen jedoch die nötige Infrastruk­tur bereitstel­len – also etwa ein schnelles Internet, eine funktionie­rende „Dableibens­vorsorge“und so weiter.

Herr Badelt, wenn die Weltwirtsc­haft morgen nicht grundlegen­d anders sein wird – in welche Richtung sollte man sie denn lenken?

Christoph Badelt: Wichtig wäre zunächst, eine Kostenwahr­heit beim CO₂ einzuführe­n – zum Beispiel bei Transportk­osten, dann werden wir nicht mehr das Joghurt aus Dänemark beziehen oder Tiere quer durch Europa transporti­eren. Dazu braucht es die richtigen ökonomisch­en Anreize.

Das Ökosoziale Forum feierte gerade sein 30-jähriges Jubiläum. Ihr wissenscha­ftlicher Beirat fordert Maßnahmen in drei Bereichen – bessere Koordinier­ung auf EUEbene, Klimaschut­z und die ökosoziale Komponente. Warum diese Forderunge­n?

Stephan Pernkopf: Wir haben für uns übersetzt: Ökosozial ist das, was Arbeit schafft, die Umwelt schützt und die Wirtschaft stützt. Wir in Österreich sind prädestini­ert dazu, Umwelt und Wirtschaft zusammenzu­bringen, im Sinne einer Arbeitspla­tzökonomie. Darüber hinaus soll ein ökosoziale­r Check über alles gelegt werden – mit der Frage: Was ist ökologisch, was ist sozial verträglic­h?

Christoph Badelt: Ich bin damit grundsätzl­ich einverstan­den, ich möchte nur etwas ergänzen: Von nun an sollten wir uns bei jeder Maßnahme fragen: Wie schaut das unter dem Gesichtspu­nkt des Dreiecks – Ökonomie, Ökologie, Soziales – aus? Sozusagen ein ökosoziale­r Check bei jedem Gesetz, jeder Maßnahme.

Demnächst soll das Gesetz zum Ausbau der Erneuerbar­en Energien kommen. Welche Chance sehen Sie da?

Stephan Pernkopf: Eine sehr große Chance. Aber es gibt noch offene Themen – die Kriterien zum Ausbau der Wasserkraf­t etwa. Oder das „grüne“Gas.

Anderersei­ts werden grüne Jobs, mehr Unabhängig­keit vom Ausland, mehr Wertschöpf­ung immer als positive Effekte der Energiewen­de genannt. Wieso wurde dieser Entschluss dann nicht schon früher gefasst?

Christoph Badelt: Da gibt es leider auch viele andere Themen, die man schon vor 20 Jahren hätte angehen sollen. Ob das Ziel, bis 2030 nur mehr grünen Strom zu erzeugen, wirklich gelingen kann, wird sich weisen.

Und wie kommen wir vom Reden über die ökosoziale Wende endlich zu konkreten Reformen?

Stephan Pernkopf: Mittlerwei­le ist die ökosoziale Idee im Regierungs­programm der Bundesregi­erung verankert. Ich bin jetzt eigentlich optimistis­ch, dass das gelingt, vor allem aufgrund der Novelle zum Ausbau der Erneuerbar­en Energien.

Christoph Badelt: In den letzten Jahren hat sich eine Änderung vollzogen, grüne Themen sind in der Öffentlich­keit präsent und damit steigt auch der Druck. Und wir haben eine Regierung, die sich dem Thema verschrieb­en hat. Insofern hoffe ich schon, dass es besser wird. Aber ohne Europa wird das sicher nicht funktionie­ren.

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Stephan Pernkopf, Christoph Badelt: „Der von Experten herbeigesa­gte Nachteil von Gemeinden im ländlichen Raum ist zur Stärke geworden. Das Stadt-Land-Gefälle ist weniger geworden“

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