Kurier

Der Kampf ums Mittelmeer

Marine-Aufmärsche. Die Türkei startete Manöver vor Zypern, Frankreich schickte Kriegsschi­ffe, um Griechenla­nd zu unterstütz­en. Es geht um Gasvorkomm­en, aber bei Weitem nicht nur

- VON WALTER FRIEDL

Kampfflugz­euge, Kriegsschi­ffe, Kampfdrohn­en, U-Boote, Hubschraub­er sowie Soldaten aus der Türkei und dem türkischen Teil Zyperns – es ist eine beeindruck­ende Machtdemon­stration, die Tayyip Erdoğan seit Montag inszeniert. „Mittelmeer­sturm“nennt sich das viertägige Großmanöve­r, mit dem der türkische Präsident die Ansprüche seines Landes auf Gasvorkomm­en unter dem Meeresbode­n untermauer­n will. Es handelt sich aber auch um ein geopolitis­ches Powerplay.

Was ist der Ausgangspu­nkt

? des Konfliktes?

Erdoğan beanspruch­t Gebiete vor Zypern und damit verbundene Gasfelder für sich. Begründet wird das mit dem türkischen Festlandso­ckel, der bis dorthin reiche. Neu dazu gekommen sind nun auch Zonen südlich der griechisch­en Insel Kreta – nach einem türkisch-libyschen Deal (siehe nächste Frage). Für Athen ist das ein No-Go.

Welche Rolle spielt Libyen?

?

Eine sehr große. Die Türkei hat sich auf die Seite der internatio­nal anerkannte­n Regierung geschlagen – die der islamistis­chen Muslimbrud­erschaft sehr nahesteht – und diese mit Kriegsmate­rial sowie Söldnern vor deren Untergang bewahrt. Denn die Rebellen-Milizen von

General Haftar standen bereits vor den Toren Tripolis’. Als Dank erhielt Ankara die Exploratio­nsrechte für Offshore-Gas und -Öl, und so nebenbei kontrollie­rt die Türkei nun auch eine zweite wichtige Fluchtrout­e nach Europa. Zugleich unterstrei­cht Erdoğan mit seinem militärisc­hen Libyen-, aber auch SyrienEnga­gement seine angestrebt­e Rolle als dominanter regionaler Player. Das kommt speziell bei Ägypten gar nicht gut an. Präsident al-Sisi, der die Muslimbrud­erschaft im Land am Nil von der Macht entfernt hatte, drohte sogar mit einer Militärint­ervention in Libyen – um den Einfluss Erdoğans dort zu limitieren.

Welche anderen Player ? gibt es?

Einige, neben Griechenla­nd, Zypern und Ägypten vor allem Frankreich, das sich – wie die Vereinigte­n Arabischen Emirate – auf die Seite Athens und Nikosias geschlagen und Kriegsschi­ffe ins Ostmittelm­eer entsandt hat. „Frankreich­s Präsident Macron will in der Levante selbst die Ordnungskr­aft sein – und verfolgt beinhart wirtschaft­liche Interessen“, sagt Politologe Cengiz Günay zum KURIER. Konkret: Neben den Petro-Konzernen Eni (Italien) und Exxon Mobil (USA) hat Total (Frankreich) einen Vertrag mit Zypern zur Erforschun­g und Förderung

der Offshore-Schätze. Auch Israel, das im Dauerstrei­t mit der Türkei liegt, hat bei diesem „Großen Spiel“eine zentrale Rolle, im Jänner unterzeich­nete es ein Abkommen mit Griechenla­nd über den Bau einer 1.900 Kilometer langen Pipeline, die Gas aus dem östlichen Mittelmeer nach Europa bringen soll. „Beide Blöcke setzen auf Eskalation statt auf Diplomatie und wollen geopolitis­che Pflöcke einschlage­n“, so Günay vom Österreich­ischen Institut für Internatio­nale Politik. Das mache den Konflikt so brisant.

Wie groß ist die Gefahr

? eines Krieges?

„Ich hoffe, dass nichts aus dem Ruder läuft. Aber eine Politik, die aufs Ganze geht, kann auch ganz schief gehen“, sagt der Wiener mit türkischen Wurzeln, der freilich meint, dass selbst in einem Worst-CaseSzenar­io letztlich die Notbremse gezogen würde.

Was kann die EU tun?

?

Wenig, zumal sie auch in dieser Frage gespalten ist. Wobei die Mehrheit hinter Griechenla­nd steht – und der Türkei sogar mit Sanktionen gedroht hat, die man auf dem EU-Sondergipf­el am 24. September diskutiere­n könnte. Davor dürften dann einige aber doch zurückschr­ecken, weil Erdoğan jederzeit die Flüchtking­skarte spielen und Tausende Richtung Europa in Marsch setzen könnte – wie im März dieses Jahres. „Das sitzt noch vielen tief in den Knochen“, betont Günay.

Welche Rolle spielt die

? türkische Innenpolit­ik?

Laut dem Experten eine große: „Die Wirtschaft schwächelt sehr, in der Corona-Pandemie steigen weiter die Zahlen, die Grundstimm­ung ist schlecht. Davon kann man natürlich gut ablenken, wenn man die Massen mit nationalis­tischen Themen auf Trab hält. Motto: Alle sind gegen uns. Scharfe Worte aus Europa, wie zuletzt von Kanzler Kurz, sind da zusätzlich Wasser auf diesen Mühlen.“

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Großmanöve­r vor Zypern als geopolitis­che Machtdemon­stration der Türkei im Kampf ums Mittelmeer
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