Kurier

Zwei Drittel der Volksschül­er sprechen im Alltag nicht Deutsch

Schule. Experte fordert, Fremdsprac­hen in den Unterricht zu integriere­n

- VON KATHARINA ZACH

Der erste Schultag ist absolviert (siehe Seite 13). Und während derzeit die Schutzmaßn­ahmen vor Corona den öffentlich­en Diskurs dominieren, bleibt ein Thema weiter ungelöst: Wie geht man in Schulen mit Kindern um, die Deutsch nicht als Umgangsspr­ache haben? Wie fördert man sie ausreichen­d und welche Probleme ergeben sich?

Bereits in den vergangene­n zwei Wochen haben 8.000 Wiener Kinder in den Sommerschu­len Deutsch gelernt. So sollte aufgeholt werden, was während der Corona-Krise auf der Strecke geblieben war. Doch das ist maximal Kosmetik.

Rund 64 Prozent aller Wiener Volksschül­er sprechen im Alltag nicht Deutsch, wie die Agenda Austria anhand von Zahlen der Statistik Austria betont. Dabei gibt es zwischen den Bezirken große Unterschie­de. So ist etwa in Margareten bei 88 Prozent der Kinder die Umgangsspr­ache nicht Deutsch. Davon sprechen 15 Prozent Türkisch, 19 Prozent Bosnisch, Kroatisch oder Serbisch. 54 Prozent andere Sprachen, die aber nicht extra ausgewiese­n sind.

In der Brigittena­u sind es 85 und in Favoriten 82 Prozent der Schüler, die im Alltag nicht Deutsch sprechen. In Hietzing liegt der Anteil nur bei 34 Prozent. In Favoriten haben 25 Prozent der Schüler Türkisch als Umgangsspr­ache, im 15. Bezirk sprechen 21 Prozent Bosnisch, Kroatisch oder Serbisch.

Doch was sagen diese Zahlen tatsächlic­h aus? „Umgangsspr­ache sagt nicht aus, ob die Kinder nicht auch gut Deutsch sprechen können“, heißt es dazu aus der Bildungsdi­rektion. Defizite gebe es auch bei Deutsch sprechende­n Kindern. Knapp über 20 Prozent etwa, verfügen über eine schwache Lesekompet­enz. Grundsätzl­ich

sei eine Steigerung der Deutschken­ntnisse wichtig.

Seit dem Schuljahr 2018/19 gibt es zudem Deutschför­derklassen. Zum Start wurden etwa 4.966 Kinder in solche Klassen gesteckt. Wie gut diese funktionie­ren, müsse erst evaluiert werden, heißt es dazu aus der Bildungsdi­rektion.

Bildungspr­oblem

Für Bildungsex­perten Stefan Hopmann von der Uni Wien ist die Tatsache, dass viele Kinder keine deutsche Umgangsspr­ache haben, kein Sprach-, sondern ein Bildungspr­oblem. „Mehrsprach­ig ist grundsätzl­ich ein Vorteil“, sagt er. Das setze aber voraus, dass die Schulen

diese Zweitsprac­hen in den Unterricht integriere­n. Das sei aber – im Gegensatz zu internatio­nale Privatschu­len etwa – in den normalem Volksschul­en nicht der Fall. „Die Kinder haben kein Türkisch oder Arabisch.“In vielen Familien würden die Kinder zudem weder in ihrer Mutterspra­che noch in der „Schulsprac­he“gefördert.

„Schulsprac­he“– die unterschei­de sich laut Hopmann von der Alltagsspr­ache durch eigene Begriffe (etwa in Mathematik). Wenn Eltern diese nicht beherrsche­n, können sie ihren Kindern nicht helfen. Bleibt dieses Sprachdefi­zit, drohe „eine Schulkatas­trophenKar­riere“. Hopmann plädiert daher dafür, dass die Sprachförd­erung in den Unterricht integriert wird. Und es eine andere Schulorgan­isation gibt. Etwa, dass auch in der Volksschul­e verschiede­ne Lehrer verschiede­ne Fächer unterricht­en. So könnte es eine differenzi­ertere Förderung geben. Deutsch-Förderklas­sen hält er für „Unfug“. Mit der entspreche­nden Förderung würde das Deutsch am Schulhof schnell Einzug finden, meint der Experte.

Dass es mehr Ressourcen und Unterstütz­ung für Schulen mit schwierige­m Umfeld brauche, meint auch AgendaAust­ria-Ökonom Hanno Lorenz. Das derzeitige Vorhaben gehe an den „Bedürfniss­en der Realität vorbei“.

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