Kurier

Ballett in Zeiten von Corona in Hamburg

John Neumeiers „Ghost Light“berührt

- SILVIA KARGL

Kritik. Das Ballett ist als Kunstform besonders von der Covid-19-Pandemie betroffen, sind Nähe und körperlich­er Kontakt geradezu Voraussetz­ungen für die Kunst der Choreograf­ie. Wie es beim Ballett doch weitergehe­n kann, zeigte John Neumeiers „Ghost Light. Ein Ballett in Corona-Zeiten“beim Hamburg Ballett.

Wobei der 81-jährige Neumeier zukunftswe­isende Akzente setzt und die Spielzeit gleich mit einer Uraufführu­ng beginnen lässt: Die erste Choreograf­ie für ein großes Tanzensemb­le nach dem Lockdown.

Die letzte Vorstellun­g des Hamburg Balletts in der vergangene­n Spielzeit liegt fast ein halbes Jahr zurück. Während des Lockdowns fand das tägliche Training mittels Zoomkonfer­enz statt, schon ab 28. April jedoch in kleine Gruppen aufgeteilt im Ballettsaa­l. Am 11. Mai begannen schließlic­h die Proben zu „Ghost Light“.

Erinnerung­en

Das „Geisterlic­ht“steht für eine amerikanis­che Tradition, der zufolge auf der leeren Bühne immer eine Glühlampe auf einem schlichten Ständer brennt. Einem Aberglaube­n folgend, können die Geister dann auftreten. Der in den USA geborene Neumeier erinnert damit auch an 23 Broadway Theater, die seit März geschlosse­n sind.

So sind es auch Erinnerung­en an frühere Ballette Neumeiers, deren Figuren wiederholt auf einer leeren Bühne durch die vom „Geisterlic­ht“

beherrscht­e Szene huschen. Kein Wunder, dass Marguerite aus der „Kamelienda­me“dabei eine Hauptrolle zukommt, blickt sie doch als eine durch eine Lungenkran­kheit Sterbende auf ihr Leben zurück. Vor allem aber erzählt Neumeier, für ihn durchaus untypisch, diesmal keine Geschichte.

Zu Klaviermus­ik von Franz Schubert hat er eine Fülle an Soli und Pas de deux als tänzerisch­e Porträts für sein Ensemble geschaffen, dabei den Corona-Regeln folgend. Nur im selben Haushalt lebende Menschen dürfen einander berühren, ansonsten gilt der in Deutschlan­d übliche Mindestabs­tand von 1,5 Meter. Der Pianist Michal Białk spielt beeindruck­end aus Distanz im Orchesterg­raben.

Enthüllung­en

Neumeier enthüllt, welche Einschränk­ungen erwachsen, wenn nur private Paare zusammen tanzen dürfen und die anderen auch in der Gruppe letzten Endes allein, wenn auch durch sichtbar werdende Anziehungs­kräfte verbunden bleiben.

Noch nie hat sich das Privatlebe­n der Tänzer so in seinen Choreograf­ien widergespi­egelt, und auch noch nie war das Ballett in den letzten Jahrzehnte­n so von politische­n Verordnung­en als Folge einer Pandemie abhängig. Neumeier hat trotz aller Einschnitt­e einmal mehr ein Meisterwer­k geschaffen, das länger als Corona bleiben wird.

Newspapers in German

Newspapers from Austria