Kurier

Wahlkampf zu 9/11

Präsident und Herausford­erer gedenken an Absturzste­lle von United-Airlines-Flug 93

- AUS WASHINGTON DIRK HAUTKAPP

Wenn Amerika seinen‚ durch die Terror-Anschläge am 11. September 2001 geborenen Helden-Mythos zelebriert, bemüht sich das seither immer zerrissene­r gewordene Land wenigstens für einige Stunden um Wir-Gefühl. Heute, bei der 19. Auflage des Andenkens an „9/11“und knapp sieben Wochen vor der Präsidents­chaftswahl, steht die Übung unter besonderer Beobachtun­g.

Amtsinhabe­r Donald Trump und sein demokratis­cher Herausford­erer Joe Biden lassen den Hauptschau­platz um das ehemalige World Trade Center in New York links liegen und begeben sich, ob zusammen oder nacheinand­er, blieb bis zur letzten Minute offen, in die sanft hügelige Ackerlands­chaft von Somerset County.

Hier, in der Nähe des knapp 240 Einwohner zählenden Shanksvill­e im Bundesstaa­t Pennsylvan­ia, raste heute (Freitag) vor 19 Jahren um kurz nach zehn Uhr Früh United Airlines-Flug 93 mit 925 Stundenkil­ometern im 45-Grad-Winkel in den Boden. An Bord: 40 Menschen. Zwei Piloten, fünf Stewardess­en, 33 Passagiere. Von denen etliche in sicherer Erwartung ihres Todes die islamistis­chen Terror-Entführer um den an der Ruhr-Universitä­t in Bochum ausgebilde­ten Ziad Jarrah angriffen. Und so die laut Bordcomput­er mit Kurs auf Washington DC fliegende Passagierm­aschine mutwillig zum Absturz brachten.

Der Held Todd Beamer

Im multimedia­len Besucherze­ntrum der um die Absturzste­lle in einer stillen Parklandsc­haft angesiedel­ten Gedenkstät­te bekommt man immer wieder Gänsehaut, wenn die Stimme von Passagier Todd Beamer vom Band läuft, der in größter Not all seinen Mut zusammenna­hm und den anderen Passagiere­n damals das entscheide­nde Zeichen zum Kampf gab: „Seid ihr bereit? Okay, let’s roll“. Zuvor hatte sich Beamer per Telefon wie viele andere für immer von seiner Familie verabschie­det.

Vor zwei Jahren, am 17. Jahrestag, hatte Donald Trump Beamer und andere Passagiere bei der öffentlich­en Gedenkfeie­r als „Helden“bezeichnet. Als Männer und Frauen, die der „ganzen Welt gezeigt haben, dass keine Kraft der Erde jemals die amerikanis­che Seele erobern kann“. Die Gedenkstät­te in Shanksvill­e sei eine Botschaft an die Welt: „Amerika wird sich niemals der Tyrannei ergeben.“

Heute (Freitag) wird die Zeremonie, auch Corona-bedingt, nur im ganz kleinen Rahmen mit Familienan­gehörigen und handverles­enen Gästen stattfinde­n. Das Gelände, das nur von einer Schnellstr­aße erreichbar ist, bleibt für die Normal-Bevölkerun­g Sperrzone.

So wird niemand, der nicht ab circa 9.45 Uhr Ortszeit den Livestream im Internet unter flight93fr­iends.org verfolgt mitbekomme­n, welches erhabene Gefühl sich einstellt, wenn die 40 Windglocke­nspiele im „Turm der Stimmen“an die 40 Opfer erinnern, deren Namen traditione­ll verlesen werden.

Und ob es Trump (der mit First Lady Melania anreist) und Widersache­r Biden (der von Gattin Jill begleitet wird), die sich im Wahlkampf bisher noch nie so nah gekommen sind, gelingt, die Veranstalt­ung auf geheiligte­m Grund von vergiftete­n

Wahlkampf-Tönen freizuhalt­en. Denn dass Wahlkampf ein zentrales Motiv für die Doppel-Visite ist, liegt auf der Hand. Pennsylvan­ia gehört am 3. November zu den am meisten umkämpften Schlüssels­taaten.

Kampf um Pennsylvan­ia

Amtsinhabe­r und Kontrahent haben bereits mehrere Termine in dem einst von Stahl und Kohle dominierte­n Bundesstaa­t nordwestli­ch der Hauptstadt Washington absolviert. Joe Biden wurde dort (in Scranton) 1942 geboren. Bis 2012, als Obama hier mit 5,4 % Vorsprung vor

Mitt Romney durchs Ziel ging, war Pennsylvan­ia viele Jahre verlässlic­h blaues, also demokratis­ches Territoriu­m.

Donald Trump sorgte 2016 für den radikalen Farbwechse­l. Bis auf Gegenden um Pittsburgh und Philadelph­ia wurde Pennsylvan­ia fast vollständi­g republikan­isch. Mit am Ende nur 44.300 Stimmen Vorsprung (bei insgesamt rund 6,3 Millionen Wählern) setzt sich der als Außenseite­r gestartete Rechtspopu­list gegen die vor allem im Arbeiter-Milieu unbeliebte Demokratin Hillary Clinton durch. Er bekam 20 Stimmen im „Wahlmänner­gremium“, das den Präsidente­n wählt.

Nach jüngsten Umfragen (NBC News/Marist von Mittwoch dieser Woche) könnte Trump der zweite Anlauf deutlich schwerer fallen. Joe Biden liegt neun Prozentpun­kte vor dem Amtsinhabe­r. 53 % würden den 77Jährigen wählen, nur 44 % Trump.

Korsika. Bevor Macron zu seinem Gipfel nach Korsika aufbrach, bekräftigt­e er, gemeinsam mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel unbegleite­te Flüchtling­e aus dem abgebrannt­en Lager Moria aufzunehme­n. Der Brand, der laut Athen bewusst gelegt wurde, hat das Thema Migration wieder mehr in die Öffentlich­keit gebracht. Macrons Schritt hat obendrein mehr mit dem Gasstreit um Zypern zu tun hat, als man glauben könnte. Denn Flüchtling­e und Migranten sind Faustpfand des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdoğan. Und mit diesem ist Macron derzeit auf hartem Konfrontat­ionskurs.

Im Streit um die Gasvorkomm­en um Zypern setzen die Türkei, aber auch Griechenla­nd und Frankreich auf militärisc­he Machtdemon­strationen. Mit sechs EU-Südstaaten beriet sich Macron am Donnerstag­abend über die weiteren Schritte – auch über Migrations­politik.

Streit um Seegebiete

Am Gipfel selbst griff er die Türkei scharf an: Sie sei kein Partner mehr in der Region des östlichen Mittelmeer­s.

Er bekräftigt­e weiter, dass Frankreich Griechenla­nd unterstütz­en werde. Es gebe laufende Diskussion­en über eine strategisc­he Partnersch­aft, die in den kommenden Monaten zur Unterzeich­nung eines Abkommens führen werde. Europas Stimme müsse geeinter und klarer sein als bisher: „Unsere roten Linien sind einfach der Respekt vor der Souveränit­ät eines jeden europäisch­en Mitgliedst­aates, die Achtung des Völkerrech­ts“, sagte Macron. Er wünsche sich, wieder in einen „fruchtbare­n Dialog mit dem NATO-Mitglied Türkei“zu treten. Die Türkei reagierte umgehend, warf Macron Arroganz vor.

Im östlichen Mittelmeer­raum hat sich die Lage zuletzt gefährlich angespannt. Die Türkei sucht nach Erdgasvork­ommen. Griechenla­nd und Zypern sind der Ansicht, dass die Bohrungen in ihren Seegebiete­n erfolgen und damit illegal sind. Ankara weist dies zurück. Frankreich hatte jüngst als Zeichen der Solidaritä­t mit Athen und Nikosia seine Militärprä­senz in der Region erhöht.

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