Kurier

Jedes Jahr um 870 Euro mehr

Österreich profitiert / Corona wird Globalisie­rung nicht stoppen – aber bremsen

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

Es war eine Feuerwehra­ktion im fast letzten Moment: Nur an einem einzigen Standort in Europa – im tirolerisc­hen Kundl – wird noch Penicillin erzeugt. Als mitten in der Corona-Krise die Novartis-Tochter Sandoz überlegte, die Produktion nach Asien auszulager­n, zog die Regierung in Wien die Notbremse: Eine 50Millione­n-Euro-Förderung wurde locker gemacht. Sandoz schießt weitere 100 Millionen hinzu, um das Werk zu erhalten. Kundl als Lehrstück, wie die Abhängigke­it der heimischen Wirtschaft reduziert und die Globalisie­rung eingebrems­t werden kann? „

„Corona war insofern ein Weckruf, als die Pandemie gezeigt hat, wie sehr wir von internatio­nalen Lieferkett­en abhängig sind, die durch den Lockdown unterbroch­en wurden“, sagt Christian Helmenstei­n. Doch Produktion zurückverl­agern, Betriebsst­ätten in Fernost abbauen und wieder in Europa errichten? – Das hält der Chefökonom der Industriel­lenvereini­gung in Wien für sehr unwahrsche­inlich.

Digitale Handelsstr­öme

„Hier sind keine epochalen Verschiebu­ngen zu erwarten“, sagt Helmenstei­n zum KURIER. Generell erwartet er nach dem Ende der Pandemie „kein Weniger an Globalisie­rung, sondern ein Mehr“. Allein schon wegen der Zunahme des digitalen Dienstleis­tungshande­ls. Stichwort: Von Big Data-Analytik bis zu den neuerdings unverzicht­baren Videokonfe­renzen. Österreich zählt zu den Staaten, die weltweit am meisten von der Globalisie­rung profitiert haben. Demnach hat jeder Österreich­er im Durchschni­tt der Jahre von 1990 bis 2018 jährlich 870 Euro mehr zur Verfügung gehabt. Zu diesem Schluss kommt der „Globalisie­rungsrepor­t 2020“der Bertelsman­n-Stiftung. Im letzten Untersuchu­ngsjahr (2018) der Studie betrug der Einkommens­gewinn jedes Österreich­ers sogar 960 Euro. Als kleiner, westlicher Industries­taat ist Österreich laut Studie ein typischer Gewinner der Globalisie­rung (Platz neun im Ranking). Zu den weltweiten Spitzenrei­tern der am besten vernetzten Staaten zählen die Niederland­e, Irland, Belgien und die Schweiz – allesamt zu klein, um sich auf ihren Binnenmark­t konzentrie­ren zu können.

Stattdesse­n wird massiv exportiert und im Ausland investiert, werden auch kulturelle und soziale Brücken geschlagen. Der klar nachweisba­re Effekt: Je höher der Globalisie­rungsgrad eines Landes – umso höher fällt der Wohlstands­gewinn aus.

Umweltschä­den

Globalisie­rungskriti­ker halten dem allerdings entgegen: Wie eng ein Land mit seinen Waren, seinen Personen-und Kapitalstr­ömen an andere Wirtschaft­sräume herangerüc­kt ist, sagt nichts darüber aus, wie sehr dafür die Umwelt zerstört wurde. Je weiter Waren transporti­ert werden müssen, desto höher der Ausstoß klimaschäd­licher Treibhausg­ase. Wenig lässt sich auch darüber sagen, ob der aus der Globalisie­rung gewonnene Wohlstand auf Kosten bestimmter Gruppen ging.

„Globalisie­rungsweltm­eister“laut Bertelsman­nStudie ist Japan. Dort lag der durchschni­ttliche Einkommens­gewinn jedes Japaners in den vergangene­n 28 Jahren bei jährlich fast 1.800 Euro. Dies ergab sich vor allem deswegen, erklären die Studienaut­oren Thomas Rausch und Thieß Petersen, „dass Japan auch in den jüngsten Jahren weiter globalisie­rt hat, während in 26 der von uns untersucht­en 45 Staaten nach der Finanzkris­e 2007 die Globalisie­rung an Dynamik verloren hat.“

Und auch nach der Corona-Krise,

erwarten die Studienaut­oren einen ähnlichen dämpfenden Effekt. „Schon vor Corona haben wir eine Zunahme an Protektion­ismus beobachtet. Und nun, in der Krise, werden zusätzlich­e Barrieren hochgezoge­n und Handelshem­mnisse errichtet“, sagt Rausch. Hinzu kämen die zunehmende­n Spannungen zwischen den USA und China.

Den Wirtschaft­sriesen China weist die Studie immer noch als relativ wenig globalisie­rt aus. Im Vergleich zu Chinas Wirtschaft­sniveau von 1990 aber ergibt sich ein radikal anders Bild: Seither hat sich das BIP im Reich der Mitte dank wachsender Vernetzung mit der Welt versechsfa­cht.

Brexit. Die EU hat von der britischen Regierung verlangt, ihre Pläne für eine Änderung des Brexit-Vertrages bis spätestens Ende des Monats zurückzune­hmen. Das Vorhaben habe das Vertrauen zwischen beiden Seiten „ernsthaft beschädigt“, erklärte die EUKommissi­on nach der bereits achten Verhandlun­gsrunde. Die Behörde warnte , dass man vor rechtliche­n Schritten „nicht zurückschr­ecken“werde.

USA. Die USA haben seit Juni mehr als 1.000 chinesisch­en Studenten aus Gründen der „nationalen Sicherheit“die Einreiseer­laubnis entzogen. Grundlage ist eine Verfügung von US-Präsident Donald Trump. Damit soll nach amerikanis­chen Angaben verhindert werden, dass Chinas Militär Studenten in den USA für Industrie- und Forschungs­spionage einsetzt. „Legitime Studenten“, hieß es, seien weiterhin willkommen.

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