Alphamännchen, das ist lange her
Orang-Utan. Einen kurzen Revierschrei lässt er immer noch los, wenn ihm etwas nicht passt. Er ist schließlich der Chef hier. Vladimir, 55, ist ein Orang-Utan im Spätherbst seines Lebens. Als Kind wurde er in der Wildnis gefangen, seit 1991 lebt er im Tiergarten Schönbrunn.
Langsam ist er geworden, grau und träge, er spürt die Gelenke. Er geht schwer und verträgt die Hitze nicht. Man sieht es ihm an, wie er, ganz alter Grantscherm, auf seinem Ast hockt und die Besucher keines Blickes würdigt. Vom vor zwei Jahren verstorbenen OrangUtan-Weibchen
Nonja waren die Zoo-Besucher anderes gewöhnt, sie liebte die lebhafte Interaktion mit dem Publikum. Legendär waren ihre Aufforderungen an die Zoobesucher, ihre Taschen auszuräumen. Vladimir war in dieser Hinsicht immer schon zurückhaltender. Obwohl auch er, wie alle Menschenaffen, zu manchen Menschen ein durchaus inniges Verhältnis hat. Seinen Pfleger Sascha Grasinger erkennt er auch in Zivilkleidung in der Menge.
Ob Nonjas Tod so etwas wie ein Schicksalsschlag war? Schwer zu sagen. Anders als Gorillas oder Schimpansen, zeigen Orang-Utans ihre Trauer nicht. Sie wussten, dass Nonja fehlt, waren die ersten Tage irritiert von ihrer Abwesenheit, aber sie sind doch Einzelgänger. Die Beziehungen der Orang-Utans untereinander? Kompliziert. Besonders die
Damen, die 24-jährige Sol und die 56-jährige Mota, haben ihre Reibereien. Affen-Seniorin Mota ist, obwohl die älteste im Gehege, wesentlich agiler als Vladimir. Sie klettert zwar langsamer als früher, aber immerhin bewegt sie sich im Gegensatz zu ihm noch. Erinnert ein bisschen an die Welt der Zweibeiner. Da sind es auch meist die Weibchen, die besser altern als die Männchen. Mota ist auch die Umgänglichere, wobei sie immer noch ganz schön fuchtig werden kann, wenn ihr etwas nicht passt. Dafür ist Vladimir stur. So, wie alte Leute eben manchmal sind. Er geht nicht mehr gern raus und lässt sich auch mit Futter nicht bestechen. Als junger Affe war er aufbrausend, zud en Damen oft ein garstiger Grapscher – und er zeigte seine Dominanz ziemlich eindeutig. Das berühmte „Alphamännchen“, das war er. Das Alter hat ihn beruhigt. Notgedrungen. Er hat steife Zehen, geht schlecht und ist sehr grau geworden. Auch Kollegin Mota hat nur mehr drei oder vier Zähne, aber nach wie vor glänzendes rotes Fell. Bloß am Rücken schimmert eine Glatze hervor, kommt wahrscheinlich vom Herumkugeln in der Hängematte. Vladimir hatte früher auch sattes, rotes Fell. So sieht man ihn auf Jugendfotos, in der Blüte seiner Jahre. Aber was heißt das schon. Vielleicht sind seine 55 Jahre nur eine Zahl. In Berlin lebt immerhin ein 66-jähriges Gorillaweibchen.