Kurier

Mehr sehen – ganz ohne Augenlicht

- VON TONI FABER dompfarrer@stephansdo­m.at

Wie kann ein Blindgebor­ener die schwierigs­ten Kletterrou­ten und Berggipfel erklimmen? Wie kann er sogar selbst Bergführer sein? Andy Holzer ist beides in Personalun­ion. Auch wenn er einem mit offenen Ausehen gen begegnet – kann er damit nicht. Dafür hat er andere Sinne in einer Exzellenz geschärft, die beeindruck­end ist. AnBlindhei­t statt über die zu klagen, konzentrie­rt er sich auf das, was er gerade mangels fehlendem Augenlicht umso besser kann. Für Licht ins Dunkel hat der großzügige „Zitate“Unternehme­r Hans Böck die Besteigung des Südturmes des Stephansdo­mes ersteigert. So hat er für sich ein Gipfelerle­bnis erworben und gleichzeit­ig vielen Kindern und Jugendlich­en einen weiteren Schritt nach oben ermöglicht. Viele Bedürfniss­e benachteil­igter junger Menschen können nur mit fremder Hilfe und großherzig­er Unterstütz­ung erfüllt werden.

Die Besteigung beginnt mit unzähligen Stufen und Wendeltrep­pen. Ich durfte Andy Holzer vorausgehe­n. Seine Hand auf meiner Schulter ermöglicht ihm, den Rhythmus der Stufen nachvollzu­ziehen. Ohne Probleme kommen wir bis zum sogenannte­n Angstloch, dem engen Ausstieg ins Freie. Wie wird ein Blinder im versichert­en Kletterste­ig da zurechtkom­men? Dem Routinier gelingt es mühelos. Den letzten Abschnitt mit zwei überhängen­den Stellen habe ich über 55 Mal bewältigt, und doch verlangt er mir immer neu Respekt und Demut ab. Andy lässt sich Zeit, er möchte sich den Turm genau „ansehen“: Mit der freien Hand tastet er den exakt bearbeitet­en Kalksandst­ein ab. Auf der Turmspitze ist er begeistert. Den weiten Blick in die Stadt nimmt er akustisch wahr, das Geklapper der Fiaker am Platz kann er sofort orten. Er vermisst nichts. Mehr noch: Er macht allen Mut, aus den eigenen Defiziten einen Mehrgewinn zu erzielen.

Der Autor St. Stephan

ist Dompfarrer zu

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