Mehr sehen – ganz ohne Augenlicht
Wie kann ein Blindgeborener die schwierigsten Kletterrouten und Berggipfel erklimmen? Wie kann er sogar selbst Bergführer sein? Andy Holzer ist beides in Personalunion. Auch wenn er einem mit offenen Ausehen gen begegnet – kann er damit nicht. Dafür hat er andere Sinne in einer Exzellenz geschärft, die beeindruckend ist. AnBlindheit statt über die zu klagen, konzentriert er sich auf das, was er gerade mangels fehlendem Augenlicht umso besser kann. Für Licht ins Dunkel hat der großzügige „Zitate“Unternehmer Hans Böck die Besteigung des Südturmes des Stephansdomes ersteigert. So hat er für sich ein Gipfelerlebnis erworben und gleichzeitig vielen Kindern und Jugendlichen einen weiteren Schritt nach oben ermöglicht. Viele Bedürfnisse benachteiligter junger Menschen können nur mit fremder Hilfe und großherziger Unterstützung erfüllt werden.
Die Besteigung beginnt mit unzähligen Stufen und Wendeltreppen. Ich durfte Andy Holzer vorausgehen. Seine Hand auf meiner Schulter ermöglicht ihm, den Rhythmus der Stufen nachvollzuziehen. Ohne Probleme kommen wir bis zum sogenannten Angstloch, dem engen Ausstieg ins Freie. Wie wird ein Blinder im versicherten Klettersteig da zurechtkommen? Dem Routinier gelingt es mühelos. Den letzten Abschnitt mit zwei überhängenden Stellen habe ich über 55 Mal bewältigt, und doch verlangt er mir immer neu Respekt und Demut ab. Andy lässt sich Zeit, er möchte sich den Turm genau „ansehen“: Mit der freien Hand tastet er den exakt bearbeiteten Kalksandstein ab. Auf der Turmspitze ist er begeistert. Den weiten Blick in die Stadt nimmt er akustisch wahr, das Geklapper der Fiaker am Platz kann er sofort orten. Er vermisst nichts. Mehr noch: Er macht allen Mut, aus den eigenen Defiziten einen Mehrgewinn zu erzielen.
Der Autor St. Stephan
ist Dompfarrer zu