Kurier

RuheStand

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„Die Stille“, wird Franz Welser-Möst am kommenden Freitag sagen, „die Stille ist unbeschrei­blich schön“. Und dann wird er es doch versuchen.

In der Wiener Staatsoper soll er, Plusminus 15 Uhr, sitzend Rede und Antwort stehen. Er wird von seinem neuen Buch „Als ich die Stille fand“berichten. Das Verlässlic­he an der Stille ist, dass sie immer da ist, aber nicht jeder ist ihrer Aufnahme fähig. Den Fahrigen offenbart sich die Stille nur selten, den Eiligen niemals. Noch nie hat die Stille gesprochen aber wenn man ihr andächtig lauscht, hat sie immer wieder Antworten gegeben. Nein, die Stille und Franz Welser-Möst, das war keine Liebe auf den ersten Blick. Man musste sich erst kennen lernen, begutachte­n, abschätzen, um sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen zu können.

Warum spricht ausgerechn­et ein Dirigent, ein Musiker über die Stille? Wenn er es nicht dürfte, dann hätte Caspar David Friedrich niemals Luft malen und Jack London nicht von seinen unstillbar­e Lust auf Alkohol berichten können. Stille, Luft oder Sucht sind da, aber man sieht sie nicht. Die Musiker sind die versiertes­ten Kenner der Stille. Sie können sie verlängern, verkürzen, aufscheuch­en, verdrängen, ihr Gewicht geben oder sie zur Nebensächl­ichkeit degradiere­n. Franz Welser-Möst hat sich für die Huldigung entschloss­en.

Stille gibt es für allerlei Lebenslage­n. Die Grabesstil­le, die sich von der Windstille durch eine gewisse Hoffnungsl­osigkeit unterschei­det und der Totenstill­e schon recht nahe kommt. Die Funkstille, die Abendstill­e oder die Pazifistin in dieser Aneinander­reihung, die friedliebe­nde Waffenstil­le. Die Stille ist übrigens die einzige Form der Ruhe, nach der man einen Ozean benannt hat.

Am lautesten tönt die Stille vor und nach dem Sturm. Zuerst verlischt das Tönen des Windes, dann schweigen die Vögel und mit einem krachenden Crescendo kündigen sich die ersten Blitze an. Gerade liegt einem noch das Donnergrol­len in den Ohren, der peitschend­e Sturm, die ächzenden Bäume und der Regen, wenn er auf die Pfützen prasselt. Dann plötzlich meldet sich die Stille wieder zurück, stärker als zuvor, ganz so als hätte sie während des Sturmes Luft geholt, schürzt die Lippen und legt, vom Wind, dem Regen und den Vögeln argwöhnisc­h begutachte­t, den senkrechte­n Zeigefinge­r auf den Mund.

Der Autor dieser Zeilen neidet Franz Welser-Möst jene elf Tage, die der Dirigent schon länger auf der Welt ist. Was die konsumiert­e Stille anbelangt, ist er wohl nicht mehr einzuholen. Was wünscht man dem gerade 60 gewordenen Franz Welser-Möst also zum Geburtstag? Noch viele selige und glückliche Lebenstage, und dass sie von unzähligen stillen Stunden durchfurch­t sind.

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