Genug Grün für alle?
Statt 20 setzen sich die Leute auch 60 Minuten ins Auto, so ein Experte. Die Flucht aus der Stadt könne immer weiter wegführen
Fantasie ist ein Stichwort, das dem WKO-Fachgruppenobmann der Immobilientreuhänder, Michael Pisecky, einfällt, wenn er über die aktuellen Preisentwicklungen spricht. Baugrundstücke sind laut ihm die größte Mangelware am Markt. Corona scheint dem noch eins oben drauf gesetzt zu haben.
Im Wiener Umland, wo der Siedlungsdruck besonders groß ist, bewege man sich momentan schon bei „Fantasiepreisen“. Ein Einfamilienhaus im Wiener Umland sei laut Pisecky ab 500.000 Euro zu bekommen, oft bewegen sich die Preise dem Experten nach aber auch in Richtung 700.000 bis 800.000 Euro. Leisten würden sich das vor allem mittel bis gut verdienende Familien.
„Die Leute sehen sich auch weiter außerhalb um. Auch in Mistelbach, St. Pölten oder Krems wird gesucht“Michael Pisecky, WKO-Fachgruppenobmann
Steigenden Baulandbedarf und damit auch steigende Preise beobachtet auch Peter Zinggl von der Planungsgemeinschaft Ost.
Im Fokus der Interessenten stehen vor allem Einfamilienhäuser. Der Lockdown dürfte dabei auch ein entscheidendes Momentum sein, das diesen Trend kräftig angekurbelt hat. Denn am Land wohnen und in der Stadt arbeiten, das war schon vor Corona ein wünschenswertes Lebensmodell für viele, das den Speckgürtel rund um Wien wohl genährt hat. Jener Speckgürtel könnte sich aber in Zukunft ausdehnen, beobachtet Pisecky von der WKO. Nicht mehr nur das unmittelbare städtische Umland sei attraktiv für Stadtflüchtende. „Die Leute beginnen sich auch weiter außerhalb umzusehen. Einerseits weil die Preise dort eben noch nicht so hoch sind. Aber auch, weil mehr aus dem Home Office gearbeitet wird. Pendelt man zum Arbeiten nach Wien, muss man vielleicht weniger oft in die Stadt fahren als zuvor üblich. Da nehmen die Leute auch längere Fahrzeiten in Kauf. Statt 20 Minuten sind jetzt auch 60 Minuten okay“, sagt Pisecky. Auch in den Bezirken Mistelbach, Hollabrunn, St. Pölten und sogar bis nach Krems seien die Leute also nun schon auf der Suche. „Im Tullnerfeld haben wir fast schon Wiener Preisniveau“, so der Fachgruppenobmann.
Ähnlich auch im Burgenland, wo der Zuzug im Norden seit Jahren ungebrochen hoch ist. Bruckneudorf etwa hat sich in den vergangenen 20 Jahren auf 3.500 Einwohner verdoppelt – ein Ende ist nicht in Sicht. Weder beim Zuzug noch bei den steigenden Quadratmeterpreisen.
Für Peter Zinggl ist es noch zu früh, um Corona-Trends im Siedlungsverhalten zu erkennen. Die Tendenz, vom Land nach Wien zu pendeln, stehe jedoch im Vordergrund. Mehr Auto, mehr Fahrrad und weniger Öffis – diese Entwicklung würde sich aus Corona-Zeiten jetzt schon abzeichnen. Aber nicht nur das frei stehende
Einfamilienhaus, sondern auch verdichteter Wohnbau seien am Land ein Thema.
Befürchtungen der Bürger
Dieses Grün, nach dem sich alle eben so sehnen, wollen die Leute, die schon am Land wohnen, genauso genießen. Diskussionen rund um Neubauten sind daher keine Seltenheit. Aktuelles Beispiel: die Stadt Baden. Am Areal „Spitalsgärten“soll demnächst ein neuer Wohnbau mit etwa 190 Wohnungen und bis zu 25 Reihenhäusern gebaut werden. Die genauen Pläne dafür entstehen gerade noch. In der Bevölkerung werden einige aber schon unruhig.
Noch vor dem Sommer wurden die Bebauungsbestimmungen im Hinblick auf das Bauprojekt geändert. Eine Bürgerinitiative befürchtet
nun, die Wohnhausanlage könnte größer werden, als den Leuten lieb ist. Außerdem seien zu wenige Parkplätze einkalkuliert, so die Kritik. Verkehrschaos will man keines. Auch der ehemalige Baustadtrat und jetzige ÖVP-Gemeinderat Rudolf Gehrer hatte als einziger aus seiner Partei gegen die geänderten Bebauungsbestimmungen gestimmt. Seine Befürchtungen sind ähnlich wie die der Bürger.
Die Bürgerbewegung wird drei Initiativanträge amtlich einreichen. Mehr Parkfläche und die alten Bebauungsbestimmungen sind ihre Forderungen. Der Badener Bürgermeister Stefan Szirucsek (ÖVP) kontert, die Endpläne seien noch gar nicht am Tisch. Genauere Informationen über die Pläne an die Bevölkerung gebe es im Herbst.