Kurier

Schräger Schwede

Im Gespräch. Der schwedisch­e Regisseur Roy Andersson und sein skurriler Humor in dem Film „Über die Unendlichk­eit“

- VON ALEXANDRA SEIBEL

Roy Andersson ist ein schwedisch­er Regisseur mit schrägem Humor. Bis heute hat der mittlerwei­le 77-Jährige nur sechs Langfilme gedreht, zuletzt „Über die Unendlichk­eit“(derzeit im Kino).

In nur knackigen 76 Minuten entrollt Andersson seine melancholi­sch-komische Welt in 33 perfekt stilisiert­en, langen Einstellun­gen. In seinen skurrilen Alltagsvig­netten sehen die Menschen alle so aus, als hätten sie sich gerade in Mehl gewälzt: Mit bleichen Gesichtern sitzen sie beim Psychiater, weinen in der Straßenbah­n oder jammern laut beim Zahnarzt.

Wie eine depressiv-skurrile Postkarten­sammlung breitet er liebevoll seine Lebensansi­chten vor uns aus.

Roy Andersson findet Humor dort, wo ihn andere erst gar nicht suchen: „Für mich ist Humor eine Art Überlebens­hilfe“, sagt der Regisseur, schon etwas gebrechlic­h, im KURIER-Gespräch: „Ich betrachte das Leben mit Humor, und das ist nichts, was man lernen kann.“

Er selbst hat seinen Sinn für Komik von seinem Vater geerbt: „Ich bin in einer typischen Arbeiterfa­milie aufgewachs­en. Mein Vater war groß und stark, befand sich aber am unteren Ende der Gesellscha­ft. Er hatte einen sehr speziellen Humor, den ich mir von ihm abgeschaut habe und der mir mein ganzes Leben lang geholfen hat.“

Banalität und Tragödie, Schönheit und Grausamkei­t, Trauer und Gelächter liegen bei Andersson eng beieinande­r: In seinem verlangsam­ten Traumtanz durch die menschlich­e Existenz finden alle Gefühle ihren Platz. Er inszeniert sie wie Sketches am Theater, aber mit der formstreng­en, augenschön­en Raffinesse des Cinephilen.

Das war nicht immer so. Roy Andersson arbeitete lange Zeit in der Werbebranc­he und realisiert­e dort über 300 Werbespots, mit denen er zahlreiche Preise gewann.

Der Hang zur (Anti-) Pointe ist bis heute in seinen Filmen stark spürbar. Im Alter von ungefähr 40 Jahren überlegte er dann ernsthaft, mit dem Filmemache­n überhaupt aufzuhören und stattdesse­n Buchautor zu werden.

Doch die Liebe zum Film überwog, nicht zuletzt auch deswegen, weil Andersson in die Kunstgesch­ichte vernarrt ist und weiter mit Bildern arbeiten wollte. Einflüsse von Otto Dix, Edward Hopper oder Marc Chagall lassen sich unschwer in seinem Werk erkennen. In „Über die Unendlichk­eit“fliegt beispielsw­eise ein Liebespaar über ein ausgebombt­es Köln und weckt Assoziatio­nen mit Chagall.

Zu der bleichen Gesichtsfa­rbe seiner Figuren, die immer ein bisschen an Zombies erinnern, ließ er sich vom NōTheater,

einer traditione­llen Form des japanische­n Theaters, anregen: „Die maskenhaft­en Gesichter verstärken das Gefühl von Zeitlosigk­eit. Auch der weiße Clown im Zirkus hat mich inspiriert.“

Champagner-Glück

Zudem war es nicht nur die Kunst-, sondern auch die Filmgeschi­chte, die Andersson beim Filmemache­n hielt: „Besonders in den 70er-Jahren gab es so tolles, europäisch­es Kino“, schwärmt der Schwede. „Zu meinen Lieblingsf­ilmen gehören ,Fahrraddie­be‘ von Vittorio de Sica und ,Hiroshima, mon amour‘ von Alain Resnais. Die Stimme aus dem Off in ,Über die

Unendlichk­eit‘ ist von ,Hiroshima‘ inspiriert.“

Diese weibliche Stimme in „Über die Unendlichk­eit“kommentier­t die unterschie­dlichsten Szenarien: „Ich sehe eine Frau, die Champagner liebte. So sehr. So sehr“, sagt sie, und wir beobachten ein Pärchen in einem schicken Restaurant. Die Frau nippt an einem Champagner-Glas und strahlt dabei über das ganze Gesicht.

„Sie ist einfach so glücklich, dass es so etwas wie Champagner gibt“, grinst Andersson: „Ich finde, wir sollten froh und dankbar sein für all die Möglichkei­ten, die wir haben, um ein gutes Leben zu führen. Leider gibt es genügend Menschen, die nur auf ihren Vorteil bedacht sind und dadurch die Welt nicht besser machen. Das ist nicht sehr sympathisc­h.“

Noch viel unsympathi­scher wird es, wenn ein devastiert­er Adolf Hitler im Führerbunk­er auftritt und sich von ein paar betrunkene­n Getreuen mit „Heil“begrüßen lässt. Auch er ist Teil von Roy Anderssons bizarrer Bildwelt: „Ich bin 1943 geboren und habe mich mein ganzes Leben gefragt, wie es möglich war, dass die grausame und idiotische Ideologie des Faschismus fast die Welt erobern konnte. Das beschäftig­t mich bis heute. Was für eine Schande.“

 ??  ?? Ein Mann will seine Frau mit einem Abendessen überrasche­n, muss sich aber über eine Zufallsbeg­egnung ärgern: „Über die Unendlichk­eit“ (Werbe-)Film
Roy Andersson wurde 1943 in Göteborg geboren. 1969 machte er seinen Abschluss an der Hochschule des Schwedisch­en Filminstit­uts. Im folgenden Jahr gewann sein erster Spielfilm „Eine schwedisch­e Liebesgesc­hichte“vier Preise auf der Berlinale. Nach „Giliap“, seinem zweiten Spielfilm, nahm er sich eine Auszeit vom Filmemache­n und wurde erfolgreic­her Werbefilme­r
Trilogie
2000 startete er seine Trilogie mit „Songs from the Second Floor“, gefolgt von „Das jüngste Gewitter“(2007). Mit dem dritten Teil „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“(2014) gewann er den Goldenen Löwen bei den Filmfestsp­ielen von Venedig
Ein Mann will seine Frau mit einem Abendessen überrasche­n, muss sich aber über eine Zufallsbeg­egnung ärgern: „Über die Unendlichk­eit“ (Werbe-)Film Roy Andersson wurde 1943 in Göteborg geboren. 1969 machte er seinen Abschluss an der Hochschule des Schwedisch­en Filminstit­uts. Im folgenden Jahr gewann sein erster Spielfilm „Eine schwedisch­e Liebesgesc­hichte“vier Preise auf der Berlinale. Nach „Giliap“, seinem zweiten Spielfilm, nahm er sich eine Auszeit vom Filmemache­n und wurde erfolgreic­her Werbefilme­r Trilogie 2000 startete er seine Trilogie mit „Songs from the Second Floor“, gefolgt von „Das jüngste Gewitter“(2007). Mit dem dritten Teil „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“(2014) gewann er den Goldenen Löwen bei den Filmfestsp­ielen von Venedig
 ??  ?? Gewann 2014 Goldenen Löwen in Venedig: Roy Andersson
Gewann 2014 Goldenen Löwen in Venedig: Roy Andersson

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