Kurier

Kritik. Die fabelhafte Welt der lieben Dirne

Musical „Sweet Charity“von Coleman und Simon als Volksopern-Eröffnungs­premiere an

- VON PETER JAROLIN

Eine präzise, intelligen­te und humorvolle Regie, ein starkes Bühnenbild, schöne Kostüme, eine feine Choreograf­ie, eine kluge Licht- wie Videoregie, dazu eine brillante Hauptdarst­ellerin – das müsste doch ein echter Hit sein. Ja und leider auch ein bisschen nein.

Denn die Wiener Volksoper setzt bei ihrer Eröffnungs­premiere der diesjährig­en, naturgemäß Coronaüber­schatteten Saison auf das in unseren Breiten selten gespielte Musical „Sweet Charity“von Komponist Cy Coleman und Stardramat­iker Neil Simon. Ein Werk, das seit seiner Uraufführu­ng 1966 in New York zumindest in Europa nicht den Eingang in den Kanon der klassische­n, amerikanis­chen Musicals gefunden hat.

Überleben

Dabei wäre der Stoff ein zutiefst europäisch­er. Basierend auf dem Film „Die Nächte der Cabiria“von Federico Fellini haben Coleman und Simon die tragische Geschichte rund um die Prostituie­rte Charity, die an das Gute glaubt, dennoch kein Glück, aber zu eigener (Überlebens-)Größe findet, nach New York verlegt. Im Nachtklub-Ambiente trifft die „Tänzerin“Charity auf den berühmten Filmstar Vittorio Vidal, auf den biederneur­otischen Oscar Lindquist und auf jede Menge Mädels, die aus dem Milieu ausbrechen wollen. Ein Happy-End ist aber keiner vergönnt . . .

Das wäre an sich ein packender Stoff, den die Volksoper szenisch auch perfekt umsetzt. Die Schwächen des Werkes aber bleiben offensicht­lich. Viele, auch langatmige Dialoge (bitte mehr Mut zu Streichen!) wechseln mit mitreißend­en Hits wie „Big Spender“oder „Rhythm of Life“

(auf Deutsch gesungen). Und auf diese Hits baut Regisseur Johannes von Matuschka, der auch dank der tollen Kostüme (Tanja Liebermann), der fabelhafte­n, oft mit wenigen Leuchtbuch­staben auskommend­en Drehbühne (zusätzlich noch für die Videos zuständig: Momme Hinrichs sowie Torge Møller von fettFilm) eine extrem intensive Umsetzung vorlegt. Sich drehende Aufzüge, U-Bahn-Waggons, eine mitunter an „Tanz der Vampire“gemahnende Kirchengem­einschaft – Johannes von Matuschka

macht alles richtig und setzt diese Charity Hope Valentine ideal in Szene.

Mit der großartige­n Lisa Habermann hat er aber auch das ultimative Kraftzentr­um dieser Produktion zur Verfügung. Ihre bis zur Selbstaufg­abe liebende Charity lässt stimmlich wie darsteller­isch keine Wünsche offen – Habermann ist diese Charity!

Und sonst? Drew Sarich hat als Sektenführ­er einer „Kirche“einen beeindruck­enden und gewaltigen Kurzauftri­tt, Axel Herrig überzeugt als Vittorio Vidal als Darsteller, Peter Lesiak ist ein in jeder Hinsicht viel zu blasser Oscar. Julia Koci, Caroline Frank, Ines HenglPirke­r und Christian Graf machen dagegen mit Nachdruck auf sich aufmerksam. Auch das übrige Ensemble agiert souverän.

Eine Freude: Dirigent Lorenz C. Aichner und das top-geprobte Orchester, die Colemans Melodien mit viel Witz, Verve und auch der berühmten Träne im Knopfloch zum Klingen bringen. Jubel.

āāāάā KURIER-Wertung:

 ??  ?? Optisch stark: Drew Sarich hat in „Sweet Charity“einen tollen, aber leider viel zu kurzen Gastauftri­tt
Optisch stark: Drew Sarich hat in „Sweet Charity“einen tollen, aber leider viel zu kurzen Gastauftri­tt

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