Kurier

Moria erreicht Wien-Wahlkampf

Briefwechs­el. Bürgermeis­ter Ludwig will Kinder aus Moria aufnehmen – Innenminis­ter macht „zynisches Angebot“

- VON JOHANNA HAGER UND CHRISTOPH SCHWARZ

Flüchtling­e. ÖVP und SPÖ liefern sich einen Schlagabta­usch. Die Wiener sind laut OGM-Umfrage dafür, Kinder aufzunehme­n.

Traiskirch­en statt Moria – so lautet die Devise von Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP), wenn es um die Verteilung und Betreuung von unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en geht. Bestätigt fühlt man sich, wenn man jenen Brief liest, den Nehammer Wiens SPÖ-Chef und Bürgermeis­ter Michael Ludwig per eMail an die SPÖZentral­e schickte und der dem KURIER vorliegt.

Den Grund für Nehammers Schreiben gab Ludwig selbst. Er ließ – wie einige Bürgermeis­ter quer durch Österreich und quer durch alle politische Lager – wissen, dass Wien jedenfalls 100 Flüchtling­skinder aus dem Lager Moria (auf der griechisch­en Insel Lesbos) aufnehmen könne.

Die ÖVP-geführte Bundesregi­erung ist bekanntlic­h dagegen und will statt „Symbolpoli­tik“(Kanzler Kurz) lieber vor Ort helfen. Nehammer nimmt Ludwig nun in besagtem Brief beim Wort und schreibt: „Sehr geehrter Herr Bürgermeis­ter! Lieber Michael! Auch mich haben die Bilder und Informatio­nen, die uns aus Griechenla­nd erreichen, zutiefst betroffen gemacht. Als Innenminis­ter der Republik Österreich ist es mir wichtig, dass den Menschen in Moria auf der Insel Lesbos geholfen wird.“

Ziel müsse es sein, Hilfe vor Ort zu leisten und „kriminelle Machenscha­ften, die aus dem Leid der Menschen Profit schlagen wollen, zu unterbinde­n“. Dann leitet er quasi eine argumentat­ive „Retourkuts­che“ein. „Seit 2015 wurden in Österreich rund 200.000 Asylanträg­e gestellt. Unser Land hat allein in diesem Zeitraum insgesamt 119.000 Menschen Schutz gewährt, davon rund 80.000 Frauen und Kindern.“

100 unbegleite­te Kinder

Da sich derzeit rund „170 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e in der Bundesbetr­euung befinden“, könne Ludwig sein Angebot wahr machen und 100 von ebendort in Wien aufnehmen. Konkret heißt es: „Diesem Wunsch können wir gerne nachkommen, und 100 unbegleite­te Minderjähr­ige aus der Bundesbetr­euung nach Wien in die Landesvers­orgung bringen. Abschließe­nd bedanke ich mich für die zum Ausdruck gebrachte Hilfsberei­tschaft und das Engagement im Hinblick auf den Umgang mit hilfs- und schutzbedü­rftigen Menschen“. Der Minister schließt mit „Dein Karl Nehammer“.

Zu Wort meldet sich in der Debatte auch der Leiter des

Corona-Krisenstab­es. Franz Ruf, Generaldir­ektor für die Öffentlich­e Sicherheit, weist in einer Stellungna­hme darauf hin, dass sich derzeit 1.600

Menschen in Bundesbetr­euungseinr­ichtungen befinden würden, 700 davon im Lager Traiskirch­en. Ruf sei daher „froh, dass sich Länder und Gemeinden wie Wien, Innsbruck und einige Orte in Vorarlberg gemeldet haben, um Asylwerber aufzunehme­n.“

Im Wiener Rathaus ist man ob des „zynischen“Angebots des Ministers grob verärgert. Und antwortet – wie könnte es anders sein – ebenfalls mit einem Brief: Ihn hätten „die Bilder aus Moria menschlich sehr berührt und zutiefst betroffen gemacht“, schreibt Ludwig in dem Brief, der dem KURIER vorliegt.

Wirklich „überrascht bin ich jedoch, dass Sie die Lebensumst­ände jener Menschen, für die Sie als Innenminis­ter verantwort­lich sind, mit der Situation in Moria, einem völlig überfüllte­n und inzwischen abgebrannt­en Flüchtling­scamp, vergleiche­n“, heißt es in dem Schreiben. Ludwig spielt den Ball an Nehammer zurück: „Ich kann Ihnen versichern: Aber selbstvers­tändlich! Wenn Sie der Meinung sind, dass Menschen in Ihrem Verantwort­ungsbereic­h – wir sprechen hier über unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e, die sich in der Bundesbetr­euung und damit in Verantwort­ung des Innenminis­teriums befinden – auch so schlecht untergebra­cht sind wie die Menschen in Moria, dann ist die Stadt Wien bereit zu helfen. (...) Denn wie hat der große Bruno Kreisky einmal gesagt? Als Politiker muss man die Menschen gern haben!“

Wiener auf Ludwig-Linie

Die knappe Mehrheit der Wiener hat Ludwig hinter sich. Das ergibt eine OGM-Umfrage für den KURIER. 53 Prozent der Wiener sprechen sich dafür aus, 100 Flüchtling­skinder aufzunehme­n. Am größten ist die Hilfsberei­tschaft bei Grünund Neos-Anhängern; Ablehnung kommt von FPÖ- und ÖVP-Wählern (siehe Grafik). „In der Asylfrage sieht man die alten Lager links und rechts ziemlich vereint“, sagt OGMChef Wolfgang Bachmayer.

Beim Familienna­chzug zeigen sich die Wiener übrigens nicht mehr so gastfreund­lich. Die Eltern von Flüchtling­skindern wollen nur noch 44 Prozent der Wiener aufnehmen, 50 Prozent sind dagegen. Der Grund: Während alle anderen Parteigäng­er bei ihrer Meinung bleiben, schwenken die SPÖ-Anhänger um. „Das dreht das positive Stimmungsb­ild ins Negative“, sagt Bachmayer.

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Wiens SP-Chef will Flüchtling­e aus Moria aufnehmen – Innenminis­ter hat Gegenvorsc­hlag
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