Moria erreicht Wien-Wahlkampf
Briefwechsel. Bürgermeister Ludwig will Kinder aus Moria aufnehmen – Innenminister macht „zynisches Angebot“
Flüchtlinge. ÖVP und SPÖ liefern sich einen Schlagabtausch. Die Wiener sind laut OGM-Umfrage dafür, Kinder aufzunehmen.
Traiskirchen statt Moria – so lautet die Devise von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), wenn es um die Verteilung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen geht. Bestätigt fühlt man sich, wenn man jenen Brief liest, den Nehammer Wiens SPÖ-Chef und Bürgermeister Michael Ludwig per eMail an die SPÖZentrale schickte und der dem KURIER vorliegt.
Den Grund für Nehammers Schreiben gab Ludwig selbst. Er ließ – wie einige Bürgermeister quer durch Österreich und quer durch alle politische Lager – wissen, dass Wien jedenfalls 100 Flüchtlingskinder aus dem Lager Moria (auf der griechischen Insel Lesbos) aufnehmen könne.
Die ÖVP-geführte Bundesregierung ist bekanntlich dagegen und will statt „Symbolpolitik“(Kanzler Kurz) lieber vor Ort helfen. Nehammer nimmt Ludwig nun in besagtem Brief beim Wort und schreibt: „Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Lieber Michael! Auch mich haben die Bilder und Informationen, die uns aus Griechenland erreichen, zutiefst betroffen gemacht. Als Innenminister der Republik Österreich ist es mir wichtig, dass den Menschen in Moria auf der Insel Lesbos geholfen wird.“
Ziel müsse es sein, Hilfe vor Ort zu leisten und „kriminelle Machenschaften, die aus dem Leid der Menschen Profit schlagen wollen, zu unterbinden“. Dann leitet er quasi eine argumentative „Retourkutsche“ein. „Seit 2015 wurden in Österreich rund 200.000 Asylanträge gestellt. Unser Land hat allein in diesem Zeitraum insgesamt 119.000 Menschen Schutz gewährt, davon rund 80.000 Frauen und Kindern.“
100 unbegleitete Kinder
Da sich derzeit rund „170 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Bundesbetreuung befinden“, könne Ludwig sein Angebot wahr machen und 100 von ebendort in Wien aufnehmen. Konkret heißt es: „Diesem Wunsch können wir gerne nachkommen, und 100 unbegleitete Minderjährige aus der Bundesbetreuung nach Wien in die Landesversorgung bringen. Abschließend bedanke ich mich für die zum Ausdruck gebrachte Hilfsbereitschaft und das Engagement im Hinblick auf den Umgang mit hilfs- und schutzbedürftigen Menschen“. Der Minister schließt mit „Dein Karl Nehammer“.
Zu Wort meldet sich in der Debatte auch der Leiter des
Corona-Krisenstabes. Franz Ruf, Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass sich derzeit 1.600
Menschen in Bundesbetreuungseinrichtungen befinden würden, 700 davon im Lager Traiskirchen. Ruf sei daher „froh, dass sich Länder und Gemeinden wie Wien, Innsbruck und einige Orte in Vorarlberg gemeldet haben, um Asylwerber aufzunehmen.“
Im Wiener Rathaus ist man ob des „zynischen“Angebots des Ministers grob verärgert. Und antwortet – wie könnte es anders sein – ebenfalls mit einem Brief: Ihn hätten „die Bilder aus Moria menschlich sehr berührt und zutiefst betroffen gemacht“, schreibt Ludwig in dem Brief, der dem KURIER vorliegt.
Wirklich „überrascht bin ich jedoch, dass Sie die Lebensumstände jener Menschen, für die Sie als Innenminister verantwortlich sind, mit der Situation in Moria, einem völlig überfüllten und inzwischen abgebrannten Flüchtlingscamp, vergleichen“, heißt es in dem Schreiben. Ludwig spielt den Ball an Nehammer zurück: „Ich kann Ihnen versichern: Aber selbstverständlich! Wenn Sie der Meinung sind, dass Menschen in Ihrem Verantwortungsbereich – wir sprechen hier über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die sich in der Bundesbetreuung und damit in Verantwortung des Innenministeriums befinden – auch so schlecht untergebracht sind wie die Menschen in Moria, dann ist die Stadt Wien bereit zu helfen. (...) Denn wie hat der große Bruno Kreisky einmal gesagt? Als Politiker muss man die Menschen gern haben!“
Wiener auf Ludwig-Linie
Die knappe Mehrheit der Wiener hat Ludwig hinter sich. Das ergibt eine OGM-Umfrage für den KURIER. 53 Prozent der Wiener sprechen sich dafür aus, 100 Flüchtlingskinder aufzunehmen. Am größten ist die Hilfsbereitschaft bei Grünund Neos-Anhängern; Ablehnung kommt von FPÖ- und ÖVP-Wählern (siehe Grafik). „In der Asylfrage sieht man die alten Lager links und rechts ziemlich vereint“, sagt OGMChef Wolfgang Bachmayer.
Beim Familiennachzug zeigen sich die Wiener übrigens nicht mehr so gastfreundlich. Die Eltern von Flüchtlingskindern wollen nur noch 44 Prozent der Wiener aufnehmen, 50 Prozent sind dagegen. Der Grund: Während alle anderen Parteigänger bei ihrer Meinung bleiben, schwenken die SPÖ-Anhänger um. „Das dreht das positive Stimmungsbild ins Negative“, sagt Bachmayer.