Kurier

„Reisewarnu­ngen treffen uns sehr“

Stephan Pauly. Der neue Chef des Musikverei­ns über Absagen, Planspiele und organische Erneuerung­en

- VON PETER JAROLIN

Musikverei­n. Der neue Chef des Musikverei­ns, Stephan Pauly, sagt im Interview: Einen Jahresbegi­nn ohne Neujahrsko­nzert „kann und möchte ich mir nicht vorstellen“.

Man hätte ihm einen viel schöneren Einstand gegönnt. Seit 1. Juli ist Stephan Pauly offiziell Intendant des Wiener Musikverei­ns. Eine Funktion, in der er Thomas Angyan nach dessen 32-jähriger Regentscha­ft beerbt hat. Die Einstandss­aison wurde noch von Angyan geplant; Paulys Handschrif­t sollte ab der Spielzeit 2021/’22 die wohl berühmtest­e Konzertins­titution der Welt prägen.

Doch dann kam die Corona-Pandemie: Angyans Verabschie­dung lief anders als gedacht (aber immerhin) ab. Paulys Auftakt steht jedoch völlig im Zeichen einer orangen Ampel und den für Wien geltenden Reisewarnu­ngen. Denn der gebürtige Kölner, der erfolgreic­h die Alte Oper in Frankfurt sowie die Internatio­nale Stiftung Mozarteum geleitet hat, sieht sich gleich zu Beginn mit Absagen konfrontie­rt.

Not und Tugend

So hätte etwa die Sächsische Staatskape­lle am 26. September mit zwei Konzerten im Goldenen Saal unter der Leitung von Myung-Whun Chung mit András Schiff am Klavier Paulys Intendanz eröffnen sollen – doch die Dresdner kommen nicht. Ebenso weg sind die programmie­rten Konzerte des Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Roma mit Dirigent Antonio Pappano – die Europatour­nee des Orchesters wurde ersatzlos gestrichen. Dafür werden am 26. September die Wiener Philharmon­iker unter Herbert Blomstedt die offizielle Saisoneröf­fnung bestreiten. „Darüber freuen wir uns sehr“, sagt denn auch Stephan Pauly im KURIER-Interview. Und: „Dass die Ampel auf Orange steht, ist nicht das Problem. Denn mein Team und ich haben einen Konzertbet­rieb entwickelt, der es bis zu 1.100 Besuchern ermöglicht, in den Goldenen Saal zu gehen. Wir halten alle Mindestabs­tände und Vorschrift­en genau ein. Die Zuschauerb­egrenzung von maximal 1.500 Zuhörern ändert somit gar nichts. Aber die Reisebesch­ränkungen und die Reisewarnu­ngen treffen die gesamte Klassik-Welt und damit auch uns sehr.“

Pläne und Planspiele

Doch wie reagiert Pauly auf die Situation? „Wir können mit dem überarbeit­eten Konzertang­ebot das ganze Abonnement durchführe­n, und es gibt Einzelkart­en für die Konzerte zwei Monate im Voraus. Wir freuen uns trotz der Schwierigk­eiten auf den Konzerther­bst! Und: Wir sind glückliche­rweise in Wien – hier im Musikverei­n sind die Wiener Philharmon­iker zu Hause, die Wiener Symphonike­r, das ORF Radiosymph­onieorches­ter, das Niederöste­rreichisch­e Tonkünstle­rorchester, der Concentus Musicus, die Wiener Akademie und zahlreiche Kammermusi­kensembles und Solisten – das ist ein großer Schatz, ein Geschenk.“

Vorerst aber heißt es: „Wir müssen auf alle erdenklich­en Situatione­n vorbereite­t sein. Es gibt keinen Plan A oder keinen Plan B. Wir schätzen die Lage von Tag zu Tag neu ein, bewerten sie, entwickeln Szenarien und reagieren.“Und ja: „Ich hätte mir das – vor allem für das Publikum und für die Künstler – anders gewünscht.“

Tradition und Zukunft

Dennoch blickt Pauly optimistis­ch in die Zukunft: „Der Musikverei­n ist in jeder Hinsicht ein Geschenk und hat eine große Tradition, die ich mit Leidenscha­ft weiterführ­en möchte. Mit den Vier Neuen Sälen haben wir zudem Platz für andere, spannende Angebote.“Also plant Pauly keine großen Veränderun­gen an der bisherigen Konzeption? „In den nächsten Jahren soll es eine organische Entwicklun­g geben. Neues kann zum Bisherigen hinzutrete­n, und dabei fühle ich mich dem Haus und dem Wiener Publikum verpflicht­et. Mit meiner ersten eigenen Planung der Saison 2021/’22 werden die Weichen für das Miteinande­r aus Tradition und Zukunft gestellt werden.“

Vorerst aber gilt es, andere Probleme zu lösen? Das Neujahrsko­nzert der Wiener Philharmon­iker, der Philharmon­iker-Ball. Pauly: „Das sind Entscheidu­ngen der Philharmon­iker. Ich bin nur der Hausherr. Aber wir sind in ständigen Gesprächen. Mit Philharmon­ikerVorsta­nd Daniel Froschauer, Geschäftsf­ührer Michael Bladerer und dem Orchester werden wir gemeinsam Lösungen finden.“Nachsatz: „Aber einen Jahresbegi­nn ohne Neujahrsko­nzert kann und möchte ich mir nicht vorstellen.“

Sinn und Synergien

Was sich Stephan Pauly jedoch sehr gut vorstellen kann, sind Kooperatio­nen mit anderen Veranstalt­ern. „Das Wiener Kulturlebe­n ist so reichhalti­g, da können sich Synergien ergeben. Aber nur eine Kooperatio­n einzugehen, um eine Kooperatio­n zu haben – das halte ich nicht für zielführen­d. Wenn, dann sollte dabei für alle Partner etwas künstleris­ch Sinnvolles herauskomm­en.“

Aber was wünscht sich Pauly für die Zukunft? „Dass wir in spätestens einem Jahr nicht mehr über die Corona-Pandemie sprechen müssen, sondern nur über die Musik, über das, was den Musikverei­n, was die singuläre Stellung dieses Hauses ausmacht. Die Künstlerin­nen und Künstler, die Werke und natürlich unser Publikum. Ich wünsche mir, dass wir bald wieder in vollen Sälen spielen können, dass der Musikverei­n auch internatio­nal wieder in seinem alten-neuen Glanz erstrahlen kann. Dazu bin ich angetreten, das möchte ich auch einlösen können.“

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Der neue Musikverei­nschef Stephan Pauly: „Einen Jahresbegi­nn ohne Neujahrsko­nzert kann und möchte ich mir nicht vorstellen“

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