Kurier

Am Ende alles gut?

Merkel und Seehofer. Ihre Polit-Beziehung rüttelte Deutschlan­d durch. 2018 sprengte ihr Streit um die Flüchtling­spolitik fast die Regierung. Nun sind sie sich sogar da einig Merkel/Seehofer

- AUS BERLIN S. LUMETSBERG­ER WF

„Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“Das war im Juli 2018. Stunden nachdem Horst Seehofer der Süddeutsch­en Zeitung diesen Satz lieferte, fuhr er zum Krisengesp­räch mit Angela Merkel in die CDUZentral­e.

Was dort im Streit um die Abweisung von Asylsuchen­den herauskomm­t, wird nicht nur über seine Zukunft, auch über die des Landes entscheide­n: Ein Bruch zwischen CDU/CSU, gar der Regierung? Alles ist möglich.

Am Ende stand ein Kompromiss und ein Paar, das weitermach­en wollte. Auch wenn Vertrauen verspielt und das Verhältnis schwer belastet worden ist. Es gibt Beziehunge­n, die halten das aus. Jene von Horst Seehofer und Angela Merkel tut das schon lange. Und hat wie keine andere die Politik in den letzten Jahren beeinfluss­t.

Im Streit vereint

Zusammenge­passt haben die Protestant­in aus dem Norden und der Katholik aus Bayern eigentlich nie: Sie eher kühl, sachlich und von CSU-Männerrund­en als „Zonenwacht­el“verspottet. Er, emotional wie inhaltlich wendig, fing sich mit ihr schon 2004 Streit um die Gesundheit­sreform ein. Gewollt hat sie ihn auch nicht, als er ihr 2005 ins Kabinett bugsiert wurde – geblieben ist er bis heute. Seit 2018 ist er Innenminis­ter, zuvor war er als Parteichef und Ministerpr­äsident ihr Gegenüber bei der christlich­sozialen Schwesterp­artei CSU. Hinter ihnen liegen Regierungs­jahre in Bündnissen mit FDP oder SPD, begleitet von Krisen: 2008 brachen Banken zusammen, 2015 flüchteten Hunderttau­sende nach Europa.

In guten Zeiten (2013) war er ihr Fan. „Du bist unsere Nummer Eins“, rief er ihr am Parteitag zu. In schlechten Zeiten (2016) warf er ihr

Rechtsbruc­h vor. Und lieferte der AfD verbale Munition für den Wahlkampf 2017. Sie profitiert­e von dem Thema, das CDU/CSU zerrieb: Die Flüchtling­spolitik. Das offenbarte sich am CSU-Parteitag 2015: Während Merkel die von Seehofer geforderte Obergrenze bei der Flüchtling­saufnahme ablehnt, von einer EULösung spricht, kanzelt er sie auf offener Bühne ab.

Drei Jahre schwelte dieser Konflikt, bis er im Sommer 2018 eskalierte: Sie war gegen seine Idee von der Zurückweis­ung von Asylsuchen­den an der deutschen Grenze. Laut Merkel würde das europaweit Chaos stiften.

Zum Law-and-OrderPrinz­ip, das Seehofer damals verfolgte, kam seine persönlich­e Not: In Bayern standen Wahlen an, Rivale Markus Söder rüttelte an seinem Sessel, und er war überzeugt, mit harter Rhetorik die AfD überholen zu können. Ein Trugschlus­s, die CSU

Gefährten und Gegner

In den 1990ern sind sie unter Helmut Kohl Minister: Er für Arbeit, sie für Umwelt und Familie. 2000 wird sie CDU-Chefin, dann Opposition­sführerin von CSU/CDU. Sozialexpe­rte Seehofer kann sich in der Gesundheit­sreform nicht bei ihr durchsetze­n, tritt ab. 2005 wird er ihr erster Landwirtsc­haftsminis­ter. Von 2008 bis 2018 ist er CSUChef und Ministerpr­äsident, aktuell noch Innenminis­ter verlor an Grüne wie an AfD. Die Schuld lud man an Seehofer ab. Ihm blieb nur noch sein Ministeram­t in Berlin und der Versuch, das eigene Bild zurechtzur­ücken.

Seine neue Milde

Dazu gehört ein Kurswechse­l bei Migration. Jüngst einigte er sich geräuschlo­s mit der Kanzlerin darauf, 1.553 Geflüchtet­e aus dem überforder­ten Griechenla­nd aufzunehme­n. Das ist mit Blick auf die Brisanz des Themas in der Union bemerkensw­ert. Auch für Seehofer, der zuvor von einer geringeren Zahl sprach. Als hätte er von Merkel gelernt, ist er heute überzeugt, dass das Thema nur im EU-Verbund zu lösen ist und nicht an Bayerns Grenze. Er wirbt für einen Verteilung­sschlüssel bei aufnahmebe­reiten Staaten und spricht von Solidaritä­t. Umso frustriert­er ist er nun über Länder wie Österreich, die keine „überschaub­are Zahl an Schutzbedü­rftigen“aufnehmen, kritisiert­e er im Spiegel.

Ursula Münch von der Politische­n Akademie Tutzing erklärt seine neue Milde so: „Er muss nicht mehr bayerische Interessen vertreten und kann freier handeln.“Er selbst sieht sein Wertesyste­m seit Jahrzehnte­n unveränder­t. Manchem Mitstreite­r, mit dem er einst gegen Merkel stichelte, ist er fremd geworden. Sehen tut ihn ohnehin kaum jemand in der CSU. Das werfen ihm einige vor, andere sind froh. Er besucht kaum Treffen, Fraktion oder Parteitage. Merkel hielt es nach Abgabe des CDU-Parteivors­itzes ähnlich – und sich aus vielem heraus.

Ihr Rückhalt für ihn

Zuletzt fiel auf, dass sie Seehofer bei heiklen Themen auffing, obwohl sie ihn fallen lassen könnte. Als ihn Bundesländ­er kritisiert­en, weil er deren Aufnahmepr­ogramm für Flüchtling­e zurückwies, verteidigt­e sie ihn.

„Weder sie noch er wollen in einer Kluft aus dem Amt scheiden“, sagt Münch. Trotz aller Konflikte respektier­en sie einander für ihre Leistung. Unterschät­zt, ohne Hausmacht, übernahmen sie einst ihre Parteien. So wie Merkel nach Kohl musste Seehofer die Trümmer seiner Vorgänger beiseite räumen. Gefeiert wurden sie erst, als die Ergebnisse stimmten: Seehofer sicherte 2013 in Bayern die absolute Mehrheit. Merkel holte das beste CDU-Ergebnis seit 20 Jahren.

Als er seinen „Sie ist wegen mir“-Kanzlerin-Satz abfeuerte, spielte er auf die guten CSU-Werte an und die Koalitione­n, die sie schmiedete­n. Nun regieren sie in ihrer letzten. Für den 71-Jährigen ist nach der Wahl 2021 Schluss. Auch Merkel will nicht mehr antreten. Dass er ihr zuletzt öffentlich eine Amtszeit wünscht, ist einer Eigenheit geschuldet: Seehofer genießt es, zu verblüffen.

Italien. Bei den ersten Urnengänge­n seit Beginn der Corona-Pandemie könnten in Italien auch rote Hochburgen fallen. „Wir können diese Wahlen 7:0 gewinnen, wir glauben fest daran.“Mit diesen Worten machte Matteo Salvini, Chef der rechtspopu­listischen Lega, seit Wochen Stimmung, tourte an der Spitze eines Rechts-Bündnisses durch ganz Italien und gab die Devise aus: Durchmarsc­h bei den Regionalwa­hlen, die am Sonntag und Montag stattfinde­n. Insgesamt 51 Millionen Italiener sind zu den Urnen gerufen: In sieben Regionen wird die Regierung neu bestimmt, dazu finden in 1.179 Gemeinden Kommunalwa­hlen statt, darunter in Bozen und Venedig. Zudem wird in einem Referendum über die Verkleiner­ung des Parlaments abgestimmt.

Ex-Innenminis­ter Salvini, der während der Epidemie durch das effiziente Krisenmana­gement von Premier Giuseppe Conte in den Schatten gestellt wurde, ist wieder voll in seinem Element – und im Rampenlich­t. Und er hegt einen überaus ehrgeizige­n Plan: Er will nicht nur eigene Hochburgen wie Ligurien und Venetien verteidige­n, sondern auch Festungen der Linken – Kampanien, Apulien und sogar die Toskana – erobern. Das Interesse konzentrie­rt sich auf die Toskana, einst Bastion der kommunisti­schen Partei. Hier kämpfte Salvini unaufhalts­am für seine Kandidatin Susanna Ceccardi, die 33-jährige Ex-Bürgermeis­terin der Kleinstadt Cascina bei Pisa.

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Sie haben sich gestritten, gelobt und schwere Krisen ausgefocht­en

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