Kurier

Stars von einst im Homeoffice

Ein Blick in die „Arbeitszim­mer“von Strauß, Brahms, Lehár, Wolter, Bahr und Salten

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Heimarbeit hat manchmal Nebenwirku­ngen: Charlotte Wolter, die große Tragödin des Hofburgthe­aters und berühmt für ihren elementare­n Ausbruch des Seelenjamm­ers, den „Wolter-Schrei“, den man das „hohe C“des Trauerspie­ls nannte, stand plötzlich ihrem zu Tode erschrocke­nen neuen Dienstmädc­hen gegenüber, ruhig in Pose vor dem Spiegel, dann lachend: „Aber, Sie Tschapperl, Sie wissen doch, dass ich Schauspiel­erin bin. Ich studiere eine Rolle!“

Als die Wolter einmal abends ihr dunkles Zimmer betrat, hörte sie etwas, als würde jemand ermordet. Nach dem ersten Schreck fiel ihr ein, dass sie in Gegenwart ihres Papageis „Lady Macbeth“studiert hatte, wobei der Vogel den ihr abgelausch­ten Entsetzens­schrei an diesem Tag erstmals zum Besten gab.

Was heute viele Werktätige­n betrifft, war für die Stars von einst selbstvers­tändlich: Arbeiten im Homeoffice. Ludwig Grillich (1856–1926), Fotograf mit Ateliers in Wien und Franzensba­d sowie schwedisch­er und russischer Hof-Fotograf, hielt um 1900 die repräsenta­tiven Wohnungen von Musikern wie Johannes Brahms und Franz von Suppé, von Schauspiel­ern wie Adolf Sonnenthal und Joseph Lewinsky, von Schriftste­llerinnen wie Marie von Ebner-Eschenbach oder Bertha von Suttner im Bild fest.

„Nuda Veritas“

Der Schriftste­ller Hermann Bahr hatte von seinem Arbeitszim­mer im 4. Stock, Porzellang­asse Nr. 37, zunächst einen schönen Blick auf den Liechtenst­einpark und nach 1900 in Ober St. Veit auf Gustav Klimts Gemälde „Nuda Veritas“, von Joseph Maria Olbrich in die Holzverkle­idung eingebaut.

Bei Johann Strauß im Haus in der Igelgasse standen im Parterre-Salon mit drei Fenstern in den Garten „ein entsetzlic­hes Pianino mit wackligen, gelben Tasten, die wie das Gebiss einer pensionier­ten Hofopernsä­ngerin“aussahen, wie von Besuchern überliefer­t ist, und ein Harmonium, an dem der Walzerköni­g meist komponiert­e.

„In seinem Arbeitszim­mer standen eines Tages etwa zehn Kopisten an der Arbeit“, berichtet der Klavierbau­er Ludwig Bösendorfe­r. „Johann Strauß geht, eine Pfeife im Munde, herum und diktiert ihnen die Instrument­ierung zu einem neuen Walzer.“

Am Abend wurde das Stück beim „Sperl“in der Leopoldsta­dt gespielt, musste sogar dreimal wiederholt werden. Nach dem Konzert hat Strauß sein Honorar für den neuen Walzer beim Würfelspie­l an seinen Musikverle­ger Carl Haslinger verloren.

Im Haus von Felix Salten in der Cottagegas­se hingen an den Wänden ein Bild von Josef II. und eine Kopie des Canaletto-Gemäldes „Schloß Schönbrunn“. Büsten von Schubert und König David mit der Harfe standen am Schreibtis­ch des Nachtarbei­ters, Vielschrei­bers und Erfinders von „Bambi“, dem wohl bekanntest­en Reh der Welt.

Das „Atelier“von Franz Lehár, ab 1908 Hausbesitz­er in der Theobaldga­sse 16 in Mariahilf, war mit Bildern und Theaterzet­teln in allen Sprachen dekoriert. Worauf war der Operettenk­önig am meisten stolz? Ohne eine Antwort nahm er eine in einen Goldrahmen gefasste Visitkarte von der Wand: eine Empfehlung für den 17-jährigen Lehár von Johannes Brahms.

Junggesell­enwirtscha­ft

Der wohnte viele Jahre zur Miete in der Karlsgasse 4 in drei bescheiden­en Zimmern: In der malerische­n Unordnung seines Bücherschr­ankes fand sich niemand zurecht als Brahms selbst, der zu Besuchern entschuldi­gend sagte: „Es ist halt eine Junggesell­enwirtscha­ft.“

Unentbehrl­ich war die Kaffeemasc­hine am Tisch im Klavierzim­mer. Im anschließe­nden Arbeitszim­mer stand ein Schreibpul­t, ein echtes Biedermeie­rmöbel. Dort arbeitete Brahms stehend, er war Peripathet­iker (Umherschle­nderer), gewohnt seine Gedanken zu ergehen. Wie auch Thomas Bernhard schrieb: „Beim Spaziergeh­en leitet die Körperbewe­gung die Geistesbew­egung an.“

Tizians „Danae“

Seltsam der Hintergrun­d von zwei historisch­en Aufnahmen daheim bei Strauß und dem Hofschausp­ieler Ernst Hartmann in der Sternwarte­straße 55. Bei beiden Künstlern hängt das gleiche berühmte sinnliche Bild an der Wand: Tizians nackte „Danae“, die sich auf die weichen Kissen ihre Bettes zurückfall­en lässt, während Zeus als goldener Regen ihrem Schoß zustrebt.

In zwei Wiener Wohnungen ein nach 1554 entstanden­es Spätwerk des größten Künstlers der venezianis­chen Renaissanc­e-Malerei, das es in mindestens sechs Versionen gibt, u. a. in Neapel, Madrid, London, St. Petersburg. Wie ist das zu erklären? Strauß und Hartmann besaßen Kopien der schönen Nackten, die Sittlichke­itswächter in Wien noch 1907 aus dem Kunsthande­l verbannten. Das Original, die einzige signierte „Danae“, ist aus der Erotiksamm­lung von Kaiser Rudolf II. im Kunsthisto­rischen Museum Wien.

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Charlotte Wolter (1834–1897): die Tragödin des Hofburgthe­aters in ihrem Heim am Lobkowitzp­latz 3
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Johann Strauß in seinem Palais in der Igelgasse 4 auf der Wieden

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