Kurier

Schuhsohle befreit aus Parkinson-Starre

„Freezing“. Rund die Hälfte der Parkinson-Patienten leidet an einem Begleitsym­ptom, bei dem der Körper ohne Vorwarnung erstarrt. Eine neuartige Schuheinla­ge kann sie aus diesem Zustand lösen „Parkinson verläuft bei jedem Patienten anders, so auch das Symp

- VON ANDREEA IOSA

Der Waldspazie­rgang geht heute ruhig und mühelos vonstatten. Doch genau an der Stelle, an der sich der Weg gabelt, erstarrt der Körper ohne Vorwarnung und bleibt minutenlan­g regungslos. Das Gehirn will zwar weiter vorankomme­n, die Beine aber streiken.

Für Millionen von MorbusPark­inson-Patienten weltweit gehört dieses Begleitsym­ptom namens „Freezing“zum Alltag. Alleine in Österreich leiden etwa 20.000 Menschen an Parkinson, weltweit schätzt die World Health Organisati­on (WHO) etwa 6 Millionen Betroffene. Verursacht wird die neurologis­che Erkrankung aufgrund des Funktionsv­erlusts jener Gehirnzell­en, die für die Produktion des Glückshorm­ons Dopamin verantwort­lich sind. Im Wesentlich­en ist die verlorene Kontrolle über die Muskeln die Folge.

Schuheinla­ge mit Impuls

„Bei ungefähr der Hälfte aller Patienten tritt das Symptom Freezing auf“, sagt Philipp Lederle, Mitbegründ­er des Wiener Start-ups helpsole. Grundsätzl­ich gibt es eine besonders einfache und effektive Methode, den Körper aus dieser Starre zu befreien: Leichtes Zwicken. Dazu muss jedoch eine Begleitper­son anwesend sein. Ist der Patient alleine unterwegs, kann das „Einfrieren“gefährlich werden. Möchte er gedanklich weitergehe­n, kann sich aber nicht bewegen, kann es zu schweren Stürzen kommen.

Um diese Folgen zu vermeiden, hat helpsole eine Schuheinla­ge mit mehreren Sensoren entwickelt, die eine anbahnende Freezing-Episode automatisc­h erkennt. „Im Prinzip verändert sich dabei das Bewegungsm­uster. Grundsätzl­ich messen wir mehrere Parameter – zu den wesentlich­en zählen die Kadenz (Anzahl der Schritte pro Minute) und die Druckverte­ilung“, so Lederle. Typisch sei etwa das sogenannte „Trippeling“, also kürzere Schritte vor einer Freezing-Episode. Die Beschleuni­gungssenso­ren in der Schuheinla­ge messen diese Kadenz.

Ein weiterer Sensor misst die Druckverte­ilung: Beim Stehen verlagert sich das Gewicht des Betroffene­n nicht wie sonst auf den mittleren Fußbereich, sondern auf den vorderen, weil er eigentlich weitergehe­n möchte. Diese Gewichtsve­rlagerung wird ebenfalls gemessen und im gleichen Moment ein elektromec­hanischer Reiz abgegeben.

Aber: „Parkinson verläuft bei jedem Patienten anders, so auch das Symptom Freezing. Manche schleifen beispielsw­eise vor einer FreeJahres.

Philipp Lederle Mitbegründ­er von helpsole zing-Episode das Bein nach“, erklärt Lederle. Auch dieses Verhaltens­muster könne vom Algorithmu­s erkannt werden und dazu dienen, das anbahnende „Einfrieren“zu erkennen. Der freigesetz­te Impuls gleicht dem Experten zufolge jenem eines Trainingsg­ürtels, den man um den Bauch spannt und zu Muskelkont­raktionen führt. „Es ist nichts anderes als ein kleiner Impuls, wie ein leichtes Zwicken.“

Prototyp-Entwicklun­g

Aktuell ist helpsole mit der Entwicklun­g des Prototypen beschäftig­t. Dabei werden nicht nur Gangdaten aus zahlreiche­n Studien, sondern auch die Bedürfniss­e mehrerer Parkinson-Patienten, mit denen das Startup eng zusammenar­beitet, berücksich­tigt. „Die klinische Phase erwarten wir Mitte oder Ende nächsten

Die Marktreife kalkuliere­n wir mit spätestens Anfang 2023“, so Lederle.

Erst unlängst wurde das Projekt von der Österreich­ischen Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG) gefördert. Nun will helpsole für die Folgefinan­zierung weitere Investoren und Business Angels für sich gewinnen.

Hirnstimul­ation

Neben der Schuhsohle kann auch ein sogenannte­r „Neurostimu­lator“die Lebensqual­ität von ParkinsonP­atienten erhöhen. Anfang des Jahres wurde der weltweit erste Parkinson-Patient an der Neurochiru­rgischen Klinik des LMU Klinikums München mithilfe eines Elektroden­Geräts per Hirnstimul­ation behandelt. Es ähnelt einem Herzschrit­tmacher, nur dass damit nicht das Herz, sondern bestimmte Hirnareale elektrisch stimuliert werden.

Damit könnte künftig eine Behandlung möglich gemacht werden, bei der die Stimulatio­n gezielt den Anforderun­gen an die jeweilige Handlung, etwa dem Gehen oder Sprechen, angepasst wird. Auch schwierige­re Alltagssit­uationen, wie reden und gehen zur gleichen Zeit, könnten auf diese Weise besser bewältigt werden.

Gehirnsign­ale erfasst

Die Methode wird als Tiefe Hirnstimul­ation (THS) bezeichnet und dient seit Jahrzehnte­n zur Behandlung von neurologis­chen Bewegungss­törungen. Nun hat sie sich auch zur Behandlung von Morbus Parkinson als effektiv erwiesen. Ist die Aktivität der motorische­n Zentren im Gehirn gemessen, schickt der Stimulator Impulse mit unterschie­dlicher Stimulatio­nsstärke aus.

Neuerdings kommt zusätzlich eine sogenannte BrainSense-Technologi­e zur Anwendung. Die erfasst erstmals permanent die Gehirnsign­ale des Patienten. In Verbindung mit selbst aufgezeich­neten Ereignisse­n zu Symptomen oder Nebenwirku­ngen von Medikament­en kann damit eine gezielte, personalis­ierte und datengeste­uerte Neurostimu­lation erfolgen.

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