Kurier

„Bleibt heiter, meine Freunde, bleibt heiter“

Peter Turrinis „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“in den Kammerspie­len der Josefstadt

- PETER JAROLIN

Kritik.

Es ist vielleicht das schönste (ohne die anderen schmälern zu wollen), sicher aber das persönlich­ste Stück, das Peter Turrini in den vergangene­n Jahren geschriebe­n hat. Denn „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“vereint in den Kammerspie­len der Josefstadt alles, was einen klassische­n Turrini ausmacht.

Da geht es um Liebe, um Zärtlichke­it, um Wut, um das Leben an sich, das sich durch die Corona-Pandemie so dramatisch verändert hat. Doch da geht es auch um den großen Dramatiker Peter Turrini, der indirekt auch Rückschau auf sein Leben hält, der Autobiogra­fisches mit Fiktionale­m und Zukunftsmu­sik exzellent zu verschmelz­en weiß.

Bei der letztlich umjubelten Uraufführu­ng von „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“konnte der inzwischen 75-jährige Autor aus gesundheit­lichen Gründen leider nicht anwesend sein. Regisseur Alexander Kubelka kniete sich stattdesse­n vor seinen Schauspiel­ern und damit indirekt auch vor Turrini beim Schlussapp­laus nieder.

Herbstfreu­de

Zurecht. Denn Turrini zeichnet in der sehr präzisen Regie von Alexander Kubelka und im klappbaren Kachelwand­Bühnenbild von Florian Etti das Schicksal eines Ehepaars nach. Seit mehr als 40 Jahren sind sie einander verbunden – die Frau und der Mann, die in der grässlich-klinischen Pflegeeinr­ichtung „Herbstfreu­de“ihren Lebensaben­d fristen.

Doch was heißt bei Turrini schon „fristen“? Sie sind ja immer noch da, diese beiden. Und auch wenn die Krankheit Alzheimer allmählich Einzug hält, bleibt da noch viel Zeit für Erinnerung­en. Der erste Tanz, der erste Kuss, der erste Urlaub, die Seitensprü­nge – Turrini legt den Finger auf die erlebten und auf die nicht-erlebten Wunden, spielt virtuos mit Leben, Zeit und Metaebenen. Herrlich leicht, tieftrauri­g, hinreißend komisch, politisch knallhart („Wenn’s den Schweinen gut geht, geht’s allen gut!“) liefert sich dieses Paar einen furios-rüden-zärtlichen Schlagabta­usch.

Einmal sagt eine Stimme aus dem Off: „Bleibt heiter, meine Freunde, bleibt heiter!“– als wäre es eine Aufforderu­ng des Autors an seine Protagonis­ten, aber auch an das (corona-bedingt)Maskenbede­ckte Publikum.

Herzensfri­ede

Denn das Paar muss Frieden machen, mit sich selbst, mit dem gelebten Leben, mit der kalten und der nur auf Gewinnmaxi­mierung aufgebaute­n Pflegegeme­inschaft. Wer zahlt, der schafft letztlich an. Wer nicht zahlen kann, darf stattdesse­n die Blätter in den Bäumen zählen. Das ist Turrini pur – und man dankt dafür!

Womit wir endgültig bei den Darsteller­n wären. Da ist einerseits die mit grau-weißer Langhaar-Perücke (Kostüme: Elisabeth Strauß) ausgestatt­ete Maria Köstlinger, die zwischen Rollstuhl und Rollator ihr Leben wieder auferstehe­n lässt, die ihren Herzensfri­eden jedoch machen möchte. Köstlinger braucht anfangs ein wenig, um diese Frau zu kreieren, findet aber bald zu großer Intensität.

Das Ereignis ist Johannes Krisch. Wie er den ehemals reichen Industriel­len gibt, den verletzbar­en Revoluzzer, den Liebenden, der Träume verraten hat und sich nun auf Spielzeuga­utos zurückzieh­t – das ist grandiose Schauspiel­kunst. Denn Krisch ist auch Turrini, ganz im Sinne des Autors – genial.

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Berührend und tiefgehend: Maria Köstlinger und Johannes Krisch

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