Kurier

Das omnipräsen­te, unentrinnb­are Grauen

Opernhaus Graz zeigt zur Eröffnung eine beklemmend­e „Passagieri­n“von Weinberg

- HELMUT CHRISTIAN MAYER

Das Grauen ist stumm, aber omnipräsen­t, wie auch die alte Frau, die schon vor Beginn der Oper im hellgrauen Einheitsra­um mit unzähligen Türen herumräumt. Sie beobachtet, summt das Lied vom „Lieben Augustin“vor sich hin und greift auch immer wieder ins Geschehen ein. Es ist Lisa, die ehemalige Aufseherin des KZ Auschwitz in fortgeschr­ittenem Alter.

Mit diesem Kunstgriff hat Regisseuri­n Nadja Loschky noch eine dritte Zeitebene eingezogen. Denn eigentlich beginnt die Geschichte der Oper „Die Passagieri­n“von Mieczyslaw Weinberg, basierend auf der Novelle von Zofia Posmysz, auf einem Schiff: Genauer auf einer Überfahrt in den 1960er Jahren nach Brasilien von Lisa und ihrem Mann Walter, der keine Kenntnis von der Vergangenh­eit seiner Frau hat.

Da vermeint Lisa in der Passagieri­n Marta eine ehemalige KZ-Insassin zu erkennen. Erinnerung­en kommen hoch und wir switchen immer wieder vom Schiff nach Auschwitz ins Jahr 1944 zurück. Die Regisseuri­n setzt dabei nicht auf peniblen Realismus, sondern legt drei Zeitebenen übereinand­er, in denen das Grauen präsent bleibt. Man sitzt nicht als distanzier­ter Zuhörer da, sondern erspürt beklemmend das Leid der Insassen.

Es ist dem Grazer Opernhaus hoch anzurechne­n, dieses Werk – 1968 komponiert, szenische UA erst 2010 bei den Bregenzer Festspiele­n – dessen Aufführung eigentlich letzten März geplant war, jetzt zum neuen Saisonbegi­nn durchzufüh­ren.

Sprachen-Kaleidosko­p

Gesungen wird in deutscher, polnischer, französisc­her, tschechisc­her, jiddischer, russischer und englischer Sprache. Dshamilja Kaiser als Lisa beeindruck­t mit expressive­m Spiel und charakterv­oller Stimme. Ihr Mann ist mit Will Hartmann solide besetzt.

Nadja Stefanoff ist eine intensive Marta, ihren Verlobten Tadeusz hört man bei Markus Butter mit weichen aber tremolorei­chen Bariton. Auch die vielen kleineren Rollen sind wunderbar besetzt. Die Musik von Weinberg (1919-1996) – der seine gesamte Familie im Holocaust verloren hat – kann mit berührende­n Harmonien in den unvorstell­baren Wahnsinn dieser Zeit hineinzieh­en, mit Elementen der Zwölftonmu­sik, lyrischer Folklore über Jazz, Walzer bis hin zu Bruchstück­haftem.

Der neue, exakt agierende Chefdirige­nt Roland Kluttig lässt bei den Grazer Philharmon­iker ein wunderbar farbig schillernd­es Kaleidosko­p der Emotionen und Erinnerung­en entstehen.

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