Kurier

Der Prager Frühling ist vorbei

Corona-Krisenmodu­s. Nur Spanien liegt schlechter als Tschechien, „Hardliner“Gesundheit­sminister

- VON MICHAEL HAMMERL UND ARMIN ARBEITER

Tausende Menschen auf engstem Raum, zu den Songs ihres Idols Marek Ztracený tanzend. Dass das Konzert im tschechisc­hen Königinhof an der Elbe so stattfinde­n konnte, sorgt im Land für Kopfschütt­eln. Denn die Lage ist ernst. Wie Österreich hat auch Tschechien zu Europas Musterschü­lern im Umgang mit dem Coronaviru­s gehört. Der am 12. März beschlosse­ne Notstand konnte am 17. Mai wieder aufgehoben werden, die Regierung ließ sich für ihr Krisenmana­gement feiern, europaweit arbeiteten sich währenddes­sen Kritiker an Schweden ab. Dieser besondere Frühling ist längst vorbei, der Herbst lässt Schlimmes erahnen. Ein Blick auf die Fallzahlen verrät: Prag hat seinen „Vorsprung“im Kampf gegen das Coronaviru­s genauso verspielt wie andere EU-Staaten.

Besonders eindeutig zeigt das der 14-Tage-Schnitt. Am Sonntag kamen 193 Neuinfizie­rte auf 100.000 Einwohner. Tschechien hat damit Frankreich überholt, das beinahe täglich Rekordzahl­en an Neuinfizie­rten vermeldet. Nur in Spanien sieht dieser

Wert mit 300 in Europa aktuell noch schlechter aus. Österreich liegt knapp über 100.

Keine Reisewarnu­ng

Was überrascht: Österreich hat über Schweden, Rumänien und Kroatien eine Reisewarnu­ng

verhängt, nicht über Tschechien. Nun arbeitet Tschechien zwar mit einem Ampelsyste­m, die Grenzbunde­sländer zu Österreich sind meist grün. Dennoch stiegen die täglichen Neuinfekti­onen zuletzt bundesweit auf über 3.000 – und damit auf Rot. Gesundheit­sminister Adam Vojtěch, 33, ist das erste politische Opfer dieses Trends. Ein „Bauernopfe­r“, urteilte die Opposition. Während Vojtěch, als Krisenmana­ger der „ersten Welle“gefeiert, bereits im August die Maßnahmen verschärfe­n wollte, sprach sich Ministerpr­äsident und Parteifreu­nd Andrej Babiš (ANO) anfangs dagegen aus. Eine Verschärfu­ng der Maßnahmen für den

Beginn des Schuljahre­s am 1. September wurde von Babiš deutlich abgeschwäc­ht.

Kritiker glauben, dass der Premier aus wahltaktis­chen Gründen handelte und die Bevölkerun­g vor den Regionalun­d Senatswahl­en Anfang Oktober nicht verärgern wollte. Vojtěch trat offiziell zurück, um „Raum für eine neue Lösung der Corona-Situation“zu schaffen. Babiš drückte sein Bedauern aus: „Ich verstehe, dass es für ihn zu viel gewesen sein muss, dass er von Politik und Medien angewidert war und sich zum Rücktritt entschloss­en hat.“Noch am Montag ernannte Babiš den Epidemiolo­gen Roman Prymula zum neuen Gesundheit­sminister.

Zweiter Lockdown?

Prymula ist in der jüngeren Bevölkerun­g als „Restriktio­ns-Hardliner“verschrien. Er hatte sich zuletzt für die neuerliche Ausrufung des Notstands ausgesproc­hen. Entschiede­n ist das noch nicht, doch die seine Einsetzung gilt als starkes Zeichen. Ein neuerliche­r Ausnahmezu­stand wie im Frühjahr würde wohl mit Ausreise- und Ausgehverb­oten vollzogen werden – also einer Art Lockdown. Maskenpfli­cht in Innenräume­n gilt bereits.

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