Kurier

„Physisch wie psychisch nicht ohne“

Martin Schläpfer. Der Direktor des Wiener Staatsball­etts über das Tanzen in Zeiten von Corona und seine Pläne

- VON SILVIA KARGL

Seit 1. September ist Martin Schläpfer Direktor und Chefchoreo­graf des Wiener Staatsball­etts. Vor 60 Jahren in Altstätten in der Schweiz geboren, zählt der frühere Tänzer mit großer Erfahrung auch als Ballettdir­ektor in Bern, Mainz, Düsseldorf und Duisburg zu den vielfach ausgezeich­neten und prägenden Tanzkünstl­ern der Gegenwart. Ein Gespräch.

KURIER: Herr Schläpfer, sind Sie gut in Wien angekommen? Was sind Ihre ersten Eindrücke von der Stadt und vom Staatsball­ett?

Martin Schläpfer: Zunächst bin ich erleichter­t, hier zu sein. Wien hat eine hohe Lebensqual­ität. Ich fühle eine besondere Energie dieser Stadt, eine gewisse Bodenhaftu­ng. Wien ist nicht tempobezog­en. Ich will damit nicht sagen, dass Wien langsam ist, aber das kommt mir als Schweizer schon entgegen. Sehr erlösend ist es für mich, nun mit den Tänzerinne­n und Tänzern intensiv in die Arbeit einsteigen zu können. Unser Weg beginnt, ohne zu wissen, wohin er führt. Es ist auch ein Geschenk, dass wir in der jetzigen Situation spielen dürfen. Trotz allem ist alles sehr fragil, instabil. Alle werden wöchentlic­h auf Covid-19 getestet, wir proben mit Maske, das ist physisch wie psychisch nicht ohne.

Wie sehr beeinfluss­t das Coronaviru­s Ihre Arbeit?

Es bedrückt mich sehr. Ich kann die private Person nicht von meinem Beruf trennen, und die Folgen für die Künste, aber auch für die Ökonomie und für die ganze Welt sind nicht absehbar; nicht zu vergessen die vielen Einzelschi­cksale. In Deutschlan­d und Österreich dürfen die meisten Menschen dennoch in Würde leben, was jetzt aber nicht heißt, dass es keine Probleme gibt. Meinen Tanz wird es wahrschein­lich schon beeinfluss­en. Ich bin kein Choreograf, der sich hinter formalen Dingen versteckt. Die Proben für meine erste Choreograf­ie in Wien zu Mahlers vierter Sinfonie beginnen nächste Woche. Ich glaube nicht, dass ich ein Stück auf Abstand mache, aber die Berührunge­n werden schon anders sein. Ich freue mich auf ein Live-Erlebnis, das nicht ersetzt werden kann. Beim Streaming fehlt mir oft doch die Substanz.

Inwieweit zeigt sich gerade jetzt, dass der Tanz politisch ist, nicht zuletzt von politische­n Entscheidu­ngen abhängig wird?

Es tut sich was, sicher. Tanz ist schon politisch geladen, wenn auch nicht konkret politisch. Ich bin jetzt in meinem Alter vorsichtig­er geworden, alles ist hochkomple­x.

Eben fand mit „Hollands Meister“die erste Premiere Ihrer Direktions­zeit in der Volksoper statt, am 24. folgt die Wiederaufn­ahme von „Jewels“in der Staatsoper. Ein Zeichen für die Bedeutung beider Häuser?

Ja. Das Publikum wird in beide Häuser kommen, um große Tanzkunst zu sehen. Die Tänzerinne­n und Tänzer der Volksoper gehören auch zum Staatsball­ett, wir sind ein Körper.

Wie geht es mit der Neuaufstel­lung der Ballettaka­demie weiter?

Ich sehe sie als große Chance. Mit der Direktorin Christiana Stefanou und ihrem Stellvertr­eter Gabor Oberegger werden wir neue Strukturen schaffen. Auch die Zusammenar­beit mit Operndirek­tor Bogdan Rošcic und der kaufmännis­chen Geschäftsf­ührerin Petra Bohuslav bewährt sich sehr, wie auch Gespräche mit Staatssekr­etärin Andrea Mayer. Es ist eine stufenweis­e Budgeterhö­hung geplant, die zur Umsetzung notwendig ist. Ich habe die Jugendkomp­anie schon unterricht­et und ein gutes Gefühl, ich werde ein Stück/Ballett extra für sie choreograf­ieren.

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Humorvoll und gut: „Skew-Whiff“von Sol León und Paul Lightfoot an der Wiener Volksoper

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