Kurier

Alle Augen auf die Außengrenz­en

Migration. Die EU-Kommission präsentier­t ihren Pakt, wie Migration in der EU künftig besser geregelt werden soll. Streit ist vorprogram­miert, es gibt weiterhin keine gleichmäßi­ge Verteilung von Flüchtling­en

- VON INGRID STEINER-GASHI

Liefe alles nach Plan, würden weniger illegale Migranten nach Europa kommen. Denn sie würden sehen, dass es künftig viel schwierige­r werde, Asyl zu erhalten. Und dann würde auch der Streit abflauen, welcher EU-Staat wie viele Flüchtling­e aufnimmt. So in etwa nimmt sich die Grundidee aus, die hinter dem „Pakt für Migration und Asyl“der EU-Kommission steht.

Heute, Mittwoch, wird er präsentier­t. Er soll den giftigen Migrations­streit unter den EU-Staaten beruhigen. Doch „wenn man eine wirklich effiziente europäisch­e Migrations­politik umsetzen wollte, müsste man viel weitergehe­n“, sagt EU-Migrations­experte Florian Trauner. „Die Kommission hat es versucht, aber es war unmöglich“, führt der österreich­ische Professor am Institut für Europäisch­e Studien (Freie Universitä­t Brüssel) aus.

Denn der alte Streit – Asylwerber aufnehmen oder nicht – er ist nach wie vor da.

Laut Kommission­splan könnten im Krisenfall alle EUStaaten künftig gezwungen sein, ein bestimmtes Kontingent der Menschen aufzunehme­n. Im Gegenzug sollen sie für jeden Erwachsene­n 10.000 Euro aus dem EUBudget erhalten. Ländern, die sich weigern, drohen Vertragsve­rletzungsv­erfahren vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f. Bleiben die Migrations­raten ähnlich niedrig wie derzeit, bestimmen willige EU-Staaten selbst, wie viele Asylsuchen­de sie aufnehmen. Im Vorjahr wurden 140.000 illegale Ankünfte in der EU registrier­t.

„Verpflicht­ende Solidaritä­t“nennt sich diese Vorgabe – sie ermöglicht EU-Staaten, sich lange Zeit von einer Flüchtling­squote quasi „freizukauf­en“, indem sie mehr Geld und Personal etwa in den Außengrenz­schutz investiere­n. Oder künftig mehr Rückführun­gen übernehmen.

Weniger Asylverfah­ren

Die Kommission lenkt den Schwerpunk­t der Migrations­politik damit von der Verteilung­sfrage zur europäisch­en Außengrenz­e. „Grenzverfa­hren werden sehr wichtig werden“, schildert Florian Trauner: „Wenn Menschen etwa auf den griechisch­en Inseln ankommen, sollen sie sehr schnell überprüft werden. Nicht alle sollen zu Asylverfah­ren zugelassen werden. Wenn sie keinen Anspruch haben, sollen sie auch sehr schnell wieder zurückgesc­hickt werden. Dadurch wird die Zahl der Flüchtling­e stark reduziert“, sagt der Migrations­experte und führt fort: „Die meisten sollen das Ende des Verfahrens direkt an der Grenze abwarten und erst dann in Europa verteilt werden. Der grundlegen­de Unterschie­d

zur bisherigen Vorgangswe­ise liegt also darin, dass nun viel mehr direkt an der Grenze geschieht.“

Doch warum soll nun funktionie­ren, was schon bisher nicht funktionie­rt hat? Nämlich rasche Entscheidu­ngen etwa auf den griechisch­en Inseln? Trauner ist entspreche­nd skeptisch: Das Flüchtling­slager Moria mit seinen katastroph­alen Zustände könnte möglicherw­eise nicht das letzte seiner Art gewesen sein, befürchtet er. Auch wenn man in Brüssel nun verspricht: Das neu aufzubauen­de „Zentrum“auf Lesbos könne ein Vorzeigemo­dell werden, wo griechisch­e und europäisch­e Beamte künftig gemeinsam und viel schneller vorgehen. Ziel sei also eine Art „Europäisie­rung der Verfahren“.

Die Last auf dem Süden

Trauner gibt auch zu bedenken: „Die Hauptlast der Migration liegt weiterhin auf den Ländern Südeuropas.“Denn die europäisch­en Außengrenz­en, an denen künftig die überwiegen­de Mehrheit der Asylverfah­ren abgewickel­t werden soll, liegen in Italien, Griechenla­nd, Malta, Zypern und Spanien.

Weitere Vorgabe der Kommission: Die Zahl der Rückführun­gen soll massiv erhöht werden. „Diese Ankündigun­g ist auch nicht gerade neu“, sagt Trauner. Bisherige Erfahrunge­n zeigen, dass mehrheitli­ch in der EU bleibt, wer es bis hierher geschafft hat. Nur 38 Prozent der abgewiesen­en Asylwerber verlassen Europa wieder. Das müsse sich grundlegen­d ändern, sagt die EU-Kommission und will deshalb den Druck auf die Herkunftsl­änder erhöhen. Sei es in Form von Visaverwei­gerungen, sei es in Form von verbessert­er wirtschaft­licher Kooperatio­n.

Trauners Fazit zum neuen Migrations­paket: „Nicht der große Wurf, aber der typisch europäisch­e Weg, in kleinen Schritten voranzugeh­en. Aber wahrschein­lich sind alle diese kleinen Schritte zusammen nicht genug, um für die nächste Krise gewappnet zu sein.“

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Migrations­experte Trauner: „Nicht der große Wurf“

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