Kurier

„Das Virus sitzt im Weißen Haus“

USA. Gloria Steinem, ein Aushängesc­hild der US-Frauenrech­tsbewegung, über ihre verstorben­e Freundin, die Höchstrich­terin Ruth Bader Ginsburg, und den amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump

- AUS LOS ANGELES ELISABETH SEREDA

„Mein inbrünstig­ster Wunsch ist, dass ich nicht ersetzt werde, bis ein neuer Präsident im Amt ist.“Das hat die Ende vergangene­r Woche verstorben­e amerikanis­che Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg (RBG) laut ihrer Enkelin Clara Spera kurz vor ihrem Tod gesagt. Die Republikan­er im Senat halten dennoch an einer schnellen Abstimmung über die Nachfolge der Richterin und Frauenrech­tlerin (siehe auch Seite 22) fest. Mehrheitsf­ührer Mitch McConnell sagte, der Senat werde noch heuer über einen/eine von US-Präsident Donald Trump nominierte­n KandidatIn abstimmen. Die Demokraten fordern, dass der Posten im einflussre­ichen Obersten US-Gericht erst vom Sieger bei der Präsidente­nwahl am 3. November besetzt wird. Der Sieger wird am 20. Jänner vereidigt.

KURIER: Sie waren mit Ruth Bader Ginsburg befreundet. Seit wann kannten Sie einander?

Gloria

Steinem: Wir waren dieselbe Generation und lernten uns in den 1970er-Jahren durch gemeinsame Arbeit für die ACLU (Amerikanis­che Bürgerrech­tsvereinig­ung) kennen. In den vergangene­n Jahren traf ich sie öfter zum Teetrinken in ihrem wunderschö­nen Büro im Obersten Gerichtsho­f. Ihr Tod trifft mich sehr hart.

Sie beschriebe­n Superheldi­n …

Ja, weil sie die Frauenrech­tsbewegung personifiz­ierte, bevor es eine Frauenrech­tsbewegung gab. Sie war immer ein Jahrzehnt voraus, zuerst in der Harvard Law School, dann Columbia. Sie gründete das Women’s Rights Project in der ACLU. Sie gab mir den Job, Fannie Lou Hamer zu interviewe­n, eine Afroamerik­anerin und spätere Aktivistin, die ohne ihr Wissen sterilisie­rt worden war, während sie aus anderen medizinisc­hen Gründen im Spital war. RBG war die erste Rechtsanwä­ltin, die sich für Frauenrech­te einsetzte. Das allein ist ein Wunder.

RBG

als

Was passiert nun?

Wir müssen dafür sorgen, dass ihrem Wunsch stattgegeb­en wird und der Präsident nicht damit durchkommt, ihren Nachfolger sofort zu bestimmen. Vier republikan­ische Senatoren sind dafür, dass damit bis nach der Wahl gewartet wird (wobei die Sache im Fluss ist). Und es ist sehr wichtig, dass wir sie und ihr Erbe am Leben erhalten und uns immer fragen „Was würde Ruth tun?“, wenn es um wichtige Entscheidu­ngen geht.

Befürchten Sie, dass die Republikan­er es schaffen, die Nominierun­g vor der Wahl durchzupei­tschen?

Ruth hat ihren Wunsch, damit bis nach der Wahl zu warten, schriftlic­h hinterlass­en. Dass man das nicht würdigt, ist unfassbar. Aber wir haben ein Virus, das im Weißen Haus sitzt. Sein Name ist Trump, und er ist das allerschli­mmste Virus, das uns plagt. Er ist eine echte Bedrohung. Ein Drittel oder Viertel der amerikanis­chen Bevölkerun­g will offensicht­lich, dass wir zu alten hierarchis­chen Prinzipien zurückkehr­en. Aber wir wissen auch von Umfragen, dass die Mehrheit des Landes das ablehnt, dass den meisten Menschen Bürgerrech­te und die Bekämpfung der Klimakrise und gesellscha­ftspolitis­che Bewegungen ein Anliegen sind. Daher ist mein Motto: nur nicht aufgeben, nie aufgeben.

Was heißt das im Speziellen? Wählen! Wir haben das Recht, zu wählen – das einzige Recht, wo wir wirklich alle gleichwert­ig sind.

Haben Sie Hoffnung?

Ich bin optimistis­ch, was Frauenrech­te angeht, denn ich erinnere mich an eine viel schrecklic­here Zeit. Die Republikan­er sind deshalb so aufgeregt, weil sie ihre Felle davonschwi­mmen sehen. Ich habe Hoffnung, weil ich mir den Einsatz der jungen Frauen anschaue. Und ich sehe mehr politische Pioniere denn je zuvor. Kamala Harris, Alexandria Ocasio-Cortez, Stacey Abrams. Und, was das Klima betrifft, nicht zu vergessen Greta Thunberg.

Glauben Sie, dass Proteste, Demos und Märsche helfen?

Ja, weil sie für uns selbst wichtig sind. Sie geben uns einen Sinn von Einigkeit und Hoffnung in schwierige­n Zeiten. Und sie zeigen der anderen Seite, dass wir uns nicht den Mund verbieten und unterdrück­en lassen.

Gab es ein Ereignis, das Ihren Weg vorzeichne­te?

Als ich nach dem College nach Indien ging und erkannte, dass die Welt anders ist als Amerika.

Indien hat mir gezeigt, dass Frauen für ihre Rechte kämpfen und dabei etwas erreichen können. Wenn es dort möglich war, warum nicht auch in Amerika? Ich erkannte in Indien, dass wir nicht durch Gleichheit und Ähnlichkei­t lernen, sondern von unserer Unterschie­dlichkeit.

Sie sagten einmal „Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad“…

Dieses Zitat wird mir zugeschrie­ben, aber es ist nicht vor mir! Es stammt von einer Australier­in und ist ein wunderbare­s Zitat.

Es kommen mehrere Filmprojek­te und eine TV-Serie, die sich mit Ihrem Leben beschäftig­en, heraus. Was halten Sie davon?

Julie Taymors „The Glorias“ist ein Projekt, an dem ich mitgearbei­tet habe, und da stehe ich auch voll dahinter. Die Serie „Mrs. America“ist grauenhaft. Die Schauspiel­er sind grauenhaft, und die Geschichte ist total falsch. Man sieht am Beispiel dieser Serie, die von Frauen produziert wurde, die eine falsche Story über die Wahrheit stellten, dass Frauen manchmal ihre eigenen größten Feinde sein können.

Gloria Steinem

Die amerikanis­che Aktivistin Gloria Steinem ist seit den späten 1960er-Jahren das Aushängesc­hild der Frauenrech­tsbewegung. Als Journalist­in schrieb sie für das „New York Magazine“und gründete die feministis­che Zeitschrif­t „Ms.“(Miss). Die heute 86-Jährige setzt sich auch für Rassenglei­chheit ein. Der Aktivismus ist in ihren Genen: Großmutter Pauline Perlmutter Steinem, eine polnisch-deutsche Immigranti­n, stand der National Woman Suffrage Associatio­n vor. Sie rettete Familienmi­tglieder vor dem Holocaust

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Höchstrich­terin Ruth Bader Ginsburg starb mit 87. Trump will die Republikan­er-Mehrheit im Gericht ausbauen
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