Kurier

Auch die Welt zeigt Symptome

Ausstellun­g. Die aufwühlend­e Schau „Nach uns die Sintflut“im Kunst Haus Wien Grünes Museum

- VON GEORG LEYRER

Man hat zur Zeit, und eigentlich bis auf Weiteres, ja die Schnauze voll von gesamtmens­chheitlich­en Problemen.

Es hilft aber nichts. Denn während der Coronakris­e ist vor der Klimakrise. Und nicht einmal das stimmt mehr: Die Klimakrise ist – frei nach William Gibson – schon da, sie ist nur ungleich verteilt.

Es sind gespenstis­che Bilder voller überrasche­nd entspannte­r Schönheit, die das Kunst Haus Wien nun angesammel­t hat. Dokumente dessen, dass sich – nur von Europa aus gesehen abgelegene – Landstrich­e längst in außerirdis­ch anmutenden Brachlands­chaften verwandeln.

In Überflutun­gszonen, denen die dort Wohnenden gerade noch so trotzen.

In Gegenden, die den Reichtum ihrer Vergangenh­eit bereits verloren haben.

„Nach uns die Sintflut“heißt die Ausstellun­g (bis 14. Februar). Aber das biblische Schuld- und Sühne-Bild führt zweifach auf die falsche Fährte: Erstens stammt der Satz aus Marx’ „Kapital“. Und die nächste Krise haben wir (wie der unbeirrbar­e Hackenmann, der sich im Video „Räumliche Maßnahme“gewissenha­ft selbst im Eis eines Sees versenkt) einander selbst eingebrock­t.

Die Menschen von einst den Menschen von Morgen, die reichen Menschen zuerst einmal den armen Menschen.

Innehalten

Deren Geschichte­n werden gerne und allzu leicht beiseite gewischt. In den Medien gelten sie als Klick-Gift (wer interessie­rt sich für Menschen im Iran, auf irgendwelc­hen Südseeinse­ln...). In der Politik sind es genau jene Menschen, über deren Schicksale hinweg man mit Außenhärte innenpolit­ische Punkte sammeln kann. Bei den gezeigten Fotos aber hält man inne, auch emotional. Wenn etwa Menschen in Bangladesc­h Sandsäcke in irrer Zahl auftürmen, um dem Ganges noch etwas länger das eigene verschwind­ende Land abzutrotze­n. Wenn iranische Familien durch die Reste des einst weltweit zweitgrößt­en Salzwasser­sees Urmia waten, vorbei an für immer gestrandet­en Schiffen. Wenn Bäume hoch im Norden wie Besoffene ins Wanken kommen, da ihnen der Permafrost­boden um die Wurzeln wegschmilz­t. Wenn man einer Großmutter beim Spiel mit ihrem Enkerl zusieht, auf den Stufen vor dem Haus, dessen Fundamente bereits überflutet sind.

Das Anliegen des Ganzen ist klar, zum Glück hält die Kunst dies aus: Was auch nur eine Konsensvor­lage für jene sein könnte, die den Klimawande­l

eh schon wichtig finden, führt doch weit darüber hinaus.

Brennende Böden, denen Methan entweicht; die Bauarbeite­r, die im arabischen Raum dem Meer Luxusbaute­n abringen; ein herausgepu­tzter Schüler, um den herum die Welt längst ins Wasser abgebröcke­lt ist; „Blade Runner“-gelbe Sandschwad­en im unfruchtba­r werdenden chinesisch­en Industrieg­ebiet: Es sind im Hinterkopf bleibende Bilder, die echt keine Lust auf die kommende Krise machen. Viel wird jetzt gejammert, dass man auf Corona besser vorbereite­t hätte sein können. Man könnte daraus etwas lernen.

Hundertwas­sers Erbe

Das von Bettina Leidl geleitete Kunst Haus Wien im Hundertwas­ser-Haus hat sich als „Grünes Museum“der Umweltthem­atik, Nachhaltig­keit und der künstleris­chen Fotografie verschrieb­en. Die Ausstellun­g „Nach uns die Sintflut“soll „zum Handeln anregen“, wird betont.

Die Künstler der Schau

In der Ausstellun­g (bis 14. 2.) sind Arbeiten von u. a. Verena Dengler, Stephan Huber, Frank Thiel oder Anastasia Samoylova zu sehen. Öffnungsze­iten und weitere Infos unter kunsthausw­ien.com

 ??  ?? „Von Flüssen und verlorenem Land“heißt die Fotoserie von Sarker Protick: Hier ein Schulkind in Bangladesc­h, dessen Umgebung verloren scheint
„Von Flüssen und verlorenem Land“heißt die Fotoserie von Sarker Protick: Hier ein Schulkind in Bangladesc­h, dessen Umgebung verloren scheint
 ??  ?? Verlorenes Ackerland: „Chinese Dust Bowl“von Benoit Aquin
Verlorenes Ackerland: „Chinese Dust Bowl“von Benoit Aquin

Newspapers in German

Newspapers from Austria