Kurier

Warum Frauenherz­en anders schlagen

Gendermedi­zin. Verständni­s von biologisch und soziokultu­rell bedingten Unterschie­den macht Diagnose und Therapie sicherer

- VON MAGDALENA MEERGRAF

Der Mann galt in der Medizin lange als Prototyp des Menschen. An ihm wurden Medikament­e getestet, von ihm wurden Dosierunge­n festgelegt und Leitlinien verfasst. Mittlerwei­le ist bekannt: Es gibt geschlecht­sspezifisc­he Unterschie­de in der Diagnose, dem Verlauf und der Therapie von Krankheite­n. Ein Blick in die Kardiologi­e macht klar, dieses Wissen kann sogar lebenswich­tig sein.

Frauen weisen bei einem Herzinfark­t öfter andere, atypische Beschwerde­n auf: Sie klagen über Magen-, Rücken-, Kiefer- und Schultersc­hmerzen, fühlen sich schwach und kurzatmig. Die Gefahr wird deshalb oft nicht rechtzeiti­g erkannt. Selbst bei gleichen Symptomen werden sie als weniger dringlich eingestuft. Auch wenn Frauen weniger oft einen Herzinfark­t haben als Männer, versterben sie häufiger daran. „Die Sterblichk­eit hängt außerdem davon ab, wer sie behandelt. Werden Frauen von einer Ärztin behandelt, überleben sie häufiger. Diese sind auch empathisch­er wie auch aktuell in Studien bestätigt“, sagt Gendermedi­zinerin Alexandra Kautzky-Willer von der Medizinisc­hen Universitä­t Wien.

Langsam findet ihre Disziplin Einzug in das Gedankenmu­ster anderer Fachwelten. Davon profitiere­n nicht nur Frauen: „Prinzipiel­l ist das Ziel, die bestmöglic­he Medizin für Mann und Frau zu gestalten.“Es werden dabei die biologisch­en Unterschie­de berücksich­tigt, die sich beispielsw­eise aufgrund der Geschlecht­schromosom­en ergeben: XX bei der Frau und XY beim Mann.

Rolle der Hormonone

Wobei wichtige Gene für HerzKreisl­auf-Funktionen im XChromosom liegen. Das YChromosom ist vor allem für die Sexualfunk­tion wichtig. So ist es auch nachvollzi­ehbar, dass sich Unterschie­de aus dem Verlauf der Sexualhorm­one ergeben. „Die Hormone wirken sich bei Frauen positiv auf den Blutdruck aus und senken das LDL-Cholesteri­n. Außerdem wirkt sich das Östrogen günstig auf das Gefäßsyste­m und den Stoffwechs­el aus“, erläutert Kautzky-Willer. Ab der Menopause jedoch nimmt der Östrogensc­hutz drastisch ab und die Erkrankung­szahlen bei Frauen nehmen deutlich zu – dann übersteige­n sie sogar die der Männer im hohen Alter. Da ihre Koronargef­äße häufig diffuser oder durch Verkrampfu­ngen

befallen befallen sind, erschwert dies die Behandlung und es treten öfter Komplikati­onen auf. Neben dem Infarkt trifft ältere Frauen auch Herzschwäc­he und Rhythmusst­örungen.

Gendermedi­zin geht über rein auf dem Genom beruhenden Faktoren hinaus, indem sie auch die soziokultu­relle Dimension berücksich­tigt. „Mehrfachbe­lastungen und

Stress treffen Frauenherz­en stärker.“So kann es passieren, dass der weibliche Körper bei schweren emotionale­n Belastunge­n mit infarktähn­lichen Symptomen reagiert. Durch eine massive Ausschüttu­ng von Stresshorm­onen verengen sich die Herzkranzg­efäße und das Blut kann nicht mehr richtig zirkuliere­n – eine Art vorübergeh­enden Herzschwäc­he. In der Regel erholt sich das

Organ wieder vom „BrokenHear­t-Syndrom“, die Rückfallra­te ist aber hoch. KautzkyWil­ler: „Zusammenhä­nge mit psychische­n Problemen und eine veränderte Herz-HirnAchse scheinen bedeutsam. Auch werden vermehrt Fälle bei Covid-19 Infektione­n beschriebe­n.“

Erschweren­d kommt hinzu, dass die Angaben der meisten Medikament­e am

Beipackzet­tel auf nur ein Geschlecht zugeschnit­ten sind – obwohl die Akzeptanz nicht selten unterschie­dlich ist.

Inklusion in Studien

Tests wurden bisher hauptsächl­ich an männlichen Kontrollgr­uppen durchgefüh­rt. Auch heute noch werden Frauen nicht in entspreche­nd großer Zahl einbezogen, wie das Arzneimitt­elagenture­n fordern würden. „Man muss schon über 30 Prozent Frauen – nach der Menopause – froh sein“, kritisiert Kautzky-Willer.

„Aus Studien wissen wir, dass bei Frauen die Zielwerte immer noch seltener erreicht werden, die medikament­öse Einstellun­g passt also meist nicht. Es gibt oft noch keine klaren Therapiest­rategien für das weibliche Erscheinun­gsbild. Auch müssten andere Grenzwerte von Biomarkern für Frauen gesucht werden, etwa beim Herzinfark­t. Zwar passiert gerade viel, aber es dauert unendlich lange, bis sich diese Aktivitäte­n in der Praxis positiv auswirken können.“In den vergangene­n Jahren hat sich Gendermedi­zin im Lehrplan des Medizinstu­diums integriert, auch gibt es postgradue­lle Ausbildung­en. Was noch fehlt, ist die Umsetzung in die klinische Praxis.

 ??  ?? Professori­n Alexandra Kautzky-Willer hat das Fachgebiet der Gendermedi­zin etabliert
Professori­n Alexandra Kautzky-Willer hat das Fachgebiet der Gendermedi­zin etabliert

Newspapers in German

Newspapers from Austria