Warum Frauenherzen anders schlagen
Gendermedizin. Verständnis von biologisch und soziokulturell bedingten Unterschieden macht Diagnose und Therapie sicherer
Der Mann galt in der Medizin lange als Prototyp des Menschen. An ihm wurden Medikamente getestet, von ihm wurden Dosierungen festgelegt und Leitlinien verfasst. Mittlerweile ist bekannt: Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede in der Diagnose, dem Verlauf und der Therapie von Krankheiten. Ein Blick in die Kardiologie macht klar, dieses Wissen kann sogar lebenswichtig sein.
Frauen weisen bei einem Herzinfarkt öfter andere, atypische Beschwerden auf: Sie klagen über Magen-, Rücken-, Kiefer- und Schulterschmerzen, fühlen sich schwach und kurzatmig. Die Gefahr wird deshalb oft nicht rechtzeitig erkannt. Selbst bei gleichen Symptomen werden sie als weniger dringlich eingestuft. Auch wenn Frauen weniger oft einen Herzinfarkt haben als Männer, versterben sie häufiger daran. „Die Sterblichkeit hängt außerdem davon ab, wer sie behandelt. Werden Frauen von einer Ärztin behandelt, überleben sie häufiger. Diese sind auch empathischer wie auch aktuell in Studien bestätigt“, sagt Gendermedizinerin Alexandra Kautzky-Willer von der Medizinischen Universität Wien.
Langsam findet ihre Disziplin Einzug in das Gedankenmuster anderer Fachwelten. Davon profitieren nicht nur Frauen: „Prinzipiell ist das Ziel, die bestmögliche Medizin für Mann und Frau zu gestalten.“Es werden dabei die biologischen Unterschiede berücksichtigt, die sich beispielsweise aufgrund der Geschlechtschromosomen ergeben: XX bei der Frau und XY beim Mann.
Rolle der Hormonone
Wobei wichtige Gene für HerzKreislauf-Funktionen im XChromosom liegen. Das YChromosom ist vor allem für die Sexualfunktion wichtig. So ist es auch nachvollziehbar, dass sich Unterschiede aus dem Verlauf der Sexualhormone ergeben. „Die Hormone wirken sich bei Frauen positiv auf den Blutdruck aus und senken das LDL-Cholesterin. Außerdem wirkt sich das Östrogen günstig auf das Gefäßsystem und den Stoffwechsel aus“, erläutert Kautzky-Willer. Ab der Menopause jedoch nimmt der Östrogenschutz drastisch ab und die Erkrankungszahlen bei Frauen nehmen deutlich zu – dann übersteigen sie sogar die der Männer im hohen Alter. Da ihre Koronargefäße häufig diffuser oder durch Verkrampfungen
befallen befallen sind, erschwert dies die Behandlung und es treten öfter Komplikationen auf. Neben dem Infarkt trifft ältere Frauen auch Herzschwäche und Rhythmusstörungen.
Gendermedizin geht über rein auf dem Genom beruhenden Faktoren hinaus, indem sie auch die soziokulturelle Dimension berücksichtigt. „Mehrfachbelastungen und
Stress treffen Frauenherzen stärker.“So kann es passieren, dass der weibliche Körper bei schweren emotionalen Belastungen mit infarktähnlichen Symptomen reagiert. Durch eine massive Ausschüttung von Stresshormonen verengen sich die Herzkranzgefäße und das Blut kann nicht mehr richtig zirkulieren – eine Art vorübergehenden Herzschwäche. In der Regel erholt sich das
Organ wieder vom „BrokenHeart-Syndrom“, die Rückfallrate ist aber hoch. KautzkyWiller: „Zusammenhänge mit psychischen Problemen und eine veränderte Herz-HirnAchse scheinen bedeutsam. Auch werden vermehrt Fälle bei Covid-19 Infektionen beschrieben.“
Erschwerend kommt hinzu, dass die Angaben der meisten Medikamente am
Beipackzettel auf nur ein Geschlecht zugeschnitten sind – obwohl die Akzeptanz nicht selten unterschiedlich ist.
Inklusion in Studien
Tests wurden bisher hauptsächlich an männlichen Kontrollgruppen durchgeführt. Auch heute noch werden Frauen nicht in entsprechend großer Zahl einbezogen, wie das Arzneimittelagenturen fordern würden. „Man muss schon über 30 Prozent Frauen – nach der Menopause – froh sein“, kritisiert Kautzky-Willer.
„Aus Studien wissen wir, dass bei Frauen die Zielwerte immer noch seltener erreicht werden, die medikamentöse Einstellung passt also meist nicht. Es gibt oft noch keine klaren Therapiestrategien für das weibliche Erscheinungsbild. Auch müssten andere Grenzwerte von Biomarkern für Frauen gesucht werden, etwa beim Herzinfarkt. Zwar passiert gerade viel, aber es dauert unendlich lange, bis sich diese Aktivitäten in der Praxis positiv auswirken können.“In den vergangenen Jahren hat sich Gendermedizin im Lehrplan des Medizinstudiums integriert, auch gibt es postgraduelle Ausbildungen. Was noch fehlt, ist die Umsetzung in die klinische Praxis.